Warum ein neuer Studiengang für Ökologische Waldbewirtschaftung keine Bedrohung für die Forstwissenschaften ist, sehr wohl aber eine dringend nötige Bereicherung. Ein Gastbeitrag von Pierre L. Ibisch.
Neuanlage eines Kiefernforsts nach Waldbrand bei Treuenbrietzen, Brandenburg. Die Fläche wurde zwei Jahre nach der Totholzräumung erneut befahren, gepflügt und mit Kiefern bepflanzt, nachdem bereits Zitterpappeln und andere Pflanzen mit der Renaturierung begonnen hatten. Foto: P. Ibisch.
FORTAN WIRD HÄUFIGER über die ökologische Waldbewirtschaftung zu reden sein.
Wofür benötigen Förster das Adjektiv "ökologisch", wenn doch die Bewirtschaftung von Wäldern sowieso mit Ökosystemen umgeht? Ist nicht Forstwirtschaft allemal ökologisch, da in deutschen Landen die Nachhaltigkeit erfunden wurde? Und schon 1930 veröffentlichte Alfred Dengler in Eberswalde sein Lehrbuch "Waldbau auf ökologischer Grundlage". Ist es nicht Beweis genug, dass die forstliche Ausbildung ökologisch ist? So suggeriert es eine Erklärung von Forstwissenschaftlern diverser Hochschulen und Universitäten, die auf die Ankündigung des Magazins GEO reagierten, dass die Einrichtung eines Studiengangs "Ökologische Waldbewirtschaftung" unterstützt werden soll.
Das brauchen wir nicht, machen wir schon alles, völlig überflüssig, sagten die Forstleute. Die Erklärung der Forstwissenschaftler war im Ton zwar zurückhaltend, aber allein deshalb bemerkenswert, weil sie im Namen der Wissenschaftsfreiheit eine neue Initiative zurückweist. Es handelt sich übrigens keineswegs um eine gemeinsame Erklärung der Hochschulen und Fakultäten, die jeweils durch demokratische Beschlüsse abgesichert wurde. Im Falle mehrerer der betreffenden Hochschulen ist dem Autor bekannt, dass sich Mitglieder des Kollegiums von der Erklärung distanzieren und auch zuvor gar nicht gefragt wurden, ob sie eine Stellungnahme gegen den neuen Studiengang unterstützen würden.
Auf anderen Kanälen wurde persönlich diffamiert und die Wissenschaftlichkeit der Gegner in Frage gestellt, was die Tasten hergeben. Die Landesforsten Rheinland-Pfalz machen sich mit dem Proteststurm gegen die ‚Waldökologie‘-Initiative gemein, der Vorsitzende des Brandenburgischen Waldbesitzerverband beschwerte sich gar bei der Regierung – und zwar darüber, dass in Eberswalde überhaupt derartige Dinge zur Diskussion gestellt werden. Pensionierte Hochschullehrer schrieben sich im Netz den Zorn von der Seele: "Steht der wissenschaftliche Diskurs um den Wald auf der Kippe?", fragte Roland Irslinger allen Ernstes.
Meine Güte! Geht’s auch eine Nummer kleiner? Wobei: Vielleicht gibt es ja doch Gründe für die Erregung?! Nicht nur die Erklärung der Forstwissenschaftler, sondern auch ihre lautstarke Unterstützung durch Forstlobbyisten lassen aufmerken.
Der Waldeigentümerverband AGDW und die Familienbetriebe Land und Forst veröffentlichten unter anderem diese Sätze: "Ökologie ist bereits seit langem ein fester Bestandteil von Forschung und Lehre in der Forstwissenschaft". Die Einflussnahme durch private Sponsoren, die populistische und nicht auf Fakten basierende Themen in die Wissenschaft hineintragen, bewerten die Verbände kritisch. 'Der eindeutigen Erklärung der neun Hochschulen ist nichts hinzuzufügen – für Privatinteressen von Verlagen und deren Autoren sollte es dort keinen Raum geben', so die Vorsitzenden der beiden Verbände", der Landwirt und Waldbesitzer Max von Elverfeldt sowie der Landwirt und CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Georg von der Marwitz.
Wenn Vertreter privatwirtschaftlicher Interessen sich gegen private Sponsoren für Hochschulen wehren, sollte man genau hinschauen. Warum herrschte etwa keine vergleichbare Aufregung in der Forstwelt, als die aus der Motorsägenindustrie hervorgegangene STIHL-Stiftung der Universität Freiburg eine Stiftungsprofessur finanzierte? Frau Eva Mayr-Stihl erhielt 2019 sogar die Ehrensenatorinnenwürde. Stihl stiftet auch den "Deutschen Forstwissenschaftspreis". Ein anderer Preis wird vom größten deutschen Privatwaldbetrieb ausgelobt, der "Thurn und Taxis Förderpreis". Haben Waldeigentümer oder Forstwissenschaftler je dagegen protestiert? Nur um das klar zu machen: Gegen Stiftungsprofessuren ist nichts Grundsätzliches einzuwenden. Aber wie hier mit zweierlei Maß gemessen wird – das ist schon abenteuerlich.
Nun aber zurück zum Thema der Ökologischen Waldbewirtschaftung. Worum geht es, und was ist bisher passiert?
Initiative zur Konzeption eines
Studiengangs "Ökologische Waldbewirtschaftung"
Der Förster und Autor Peter Wohlleben hatte diese Idee, als der Chefredakteur von GEO, Jens Schröder, ihn fragte, was er gern noch anstoßen würde: einen Studiengang für ökologische Waldbewirtschaftung. Verschiedene Akteure waren ebenfalls zu der Schlussfolgerung gekommen, dass die forstliche akademische Ausbildung der größeren Diversität bedürfe. Wilhelm Bode, ehemaliger Forstchef des Saarlandes, forderte es immer wieder: "Eine systemische Waldwirtschaft bekommen wir darum nur, wenn wir – wie einst der Ökolandbau – mindestens eine oder zwei der bestehenden Forsthochschulen als Hochschulen für Waldökosystemwirtschaft speziell darauf ausrichten" (2019 in der Zeitschrift Naturschutz und Landschaftsplanung).
Pierre L. Ibisch, Jahrgang 1967, habilitierter Biologe, ist Professor für Naturschutz und Forschungsprofessor für ökosystembasierte nachhaltige
Entwicklung an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde. Am Fachbereich für Wald und Umwelt war er unter anderem Dekan und Gründungsleiter des internationalen
Master-Studiengangs "Global Change Management". Er ist stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Umweltstiftung und Mitherausgeber des "Jahrbuch Ökologie".
Foto: privat.
Peter Wohlleben kontaktierte dann den Autor dieses Beitrags, Professor für Naturschutz in Eberswalde. Schnell war eine Ideenskizze erarbeitet, Gespräche mit möglichen Unterstützern begannen. Einen Bachelor of Science wollen wir konzipieren, zunächst für wenige Studienplätze – ein Experiment. Schnell zeichnete sich ab, dass es Finanzierung für Stiftungsprofessuren geben könnte – ein altbekanntes Instrument, um neue akademische Disziplinen zu ermöglichen.
Es war und ist naheliegend, den Studiengang an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE) anzusiedeln. Eberswalde ist seit 1830 ein Standort, von dem Impulse für das forstliche Denken ausgehen, und die HNEE steht für die Herausforderung, immer neue Pfade
der nachhaltigen Entwicklung zu erkunden. Im interdisziplinären Lehrbuch "Der Mensch im globalen Ökosystem" entwickelten Mitglieder des Kollegiums ein systemisches Konzept der Nachhaltigkeit. Dabei geht es um ein dem Menschen zugewandtes, aber auf einem modernen ökologischen Fundament ruhenden Verständnis von Entwicklung. Regelmäßig werden in Eberswalde neuartige Studienangebote geschaffen, etwa "Nachhaltiger Tourismus" oder "Global Change Management". "International Forest Ecosystem Management" war 1998 der erste deutsche Bachelor-Studiengang mit Waldbezug (und ein Grund, warum der Autor nach Eberswalde berufen wurde).
Die Leitungen der Hochschule und des Fachbereichs begrüßten nun auch die von GEO, Peter Wohlleben und mir angestoßene Initiative, und so wurde dem Gremium dieses Fachbereichs ein Beschlussantrag vorgelegt. Ziel: Der Bereich möge sein Interesse bekunden, sich mit der Entwicklung des Studiengangs zu beschäftigen.
In dem Antrag wurde erläutert: "Der neue Studiengang (…) zielt auf die Bewirtschaftung der gesamten Bandbreite von Ökosystemleistungen ab. [Er] soll weder inhaltlich noch organisatorisch als Konkurrenz, sondern als Ergänzung zu den bestehenden Bachelorstudiengängen (…) verstanden werden. Insbesondere zielt er nicht primär auf die Ausbildung für den Landesforstdienst ab. Bei 400+ Bewerbungen alleine auf den [Studiengang] Forstwirtschaft scheint ausreichend Potenzial vorhanden zu sein, um weitere 20 Studienplätze anzubieten, ohne in eine interne Konkurrenzsituation zu laufen".
Ein entscheidender Absatz war: "Dem Start des Studiengangs soll eine ca. einjährige Entwicklungsphase vorausgehen, in der im Rahmen eines Drittmittelprojekts der Studiengang, seine Ausrichtung und Module sowie die Beschäftigungsmöglichkeiten der Absolvent*innen weiter detailliert werden sollen. Auch sollen intensive Gespräche mit allen Kolleg*innen geführt werden, die sich gerne an einem solchen Studiengang beteiligen wollen. Sollte sich der Fachbereich im Anschluss entschließen, dem konzipierten Studiengang nicht zuzustimmen, wird er an einer anderen, mit der HNE Eberswalde konkurrierenden Hochschule angesiedelt werden. Bereits in der Konzeptionsphase werden ggf. mögliche konkurrierende (oder kooperierende) Hochschulen einbezogen".
Der Dekan lud im Vorfeld der Gremiensitzung zu Gesprächen mit Mitgliedern ein. Die meisten wollten nicht reden. Stattdessen wurde der Antrag des Dekans nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt, um Diskussion und Abstimmung zu verhindern. Der stellvertretende Vorsitzende des Fachbereichs trat im Anschluss zurück.
Damit war die Beschäftigung des Fachbereichs mit der Entwicklung der Disziplin der Ökologischen Waldbewirtschaftung zunächst verhindert. Das Vorhaben an sich ist damit aber nicht gescheitert. Nunmehr wird es im Rahmen von drittmittelfinanzierter Forschung am Centre for Econics and Ecosystem Management der Hochschule betrieben. Dies geschieht im regen Austausch mit deutschen und international tätigen Expert*innen und Kolleg*innen. Und unabhängig vom späteren Standort.
Andreas Bolte, Leiter des Instituts für Waldökosysteme des Thünen-Instituts, dem Bundeslandwirtschaftsministerium unterstellt, twitterte Ende Februar 2021: "Warum konzipieren Pierre Ibisch und @Peter Wohlleben einen Studiengang "Ökologische Waldwirtschaft“ an der @hneeberswalde, ohne die allermeisten Profesor*innen zu beteiligen? Sehr schade, Beteiligungs- und Mitbestimmungskultur sieht anders aus!"
Erstaunlich, oder?
Wozu der Waldbau auf
ökologischer Grundlage führte
Der Forstakademiker-Brief von März 2021, der fälschlicherweise als "gemeinsame ERKLÄRUNG der Hochschulen (HAW/FH) und Universitäten mit forstlichen Studienangeboten in Deutschland" verbreitet wurde, vertritt die Auffassung, dass die aktuelle Ausbildung hinreichend ökologisch sei. Etwa, weil Professuren "aus biologischen und ökologischen Fachdisziplinen besetzt" seien und viele Lehrinhalte sich mit Ökologie beschäftigten: "Wer vor dem Hintergrund dieser etablierten Studieninhalte, die 'ökologische Waldwirtschaft' als ein neues, dringend notwendiges Programm ausruft, hat das Bestehende nur unzureichend recherchiert". Der Autor dieses Beitrags hatte jedoch gar nicht recherchieren müssen. Er ist seit über 17 Jahren als einer dieser Biologen im Eberswalder "Fachbereich für Wald und Umwelt" tätig. Insofern ist ihm bekannt, dass es über Ökologie und vor allem das Konzept des Ökosystem-Ansatzes heftig gestritten werden kann.
Die Deutung von "Ökologie" durch Teile der deutschen Forstwirtschaft ist nämlich, historisch gewachsen, recht speziell. Das hat auch mit der Geschichte der Eberswalder Hochschule zu tun. Vor einem Jahrhundert lenkte Alfred Möller die Geschicke der Forstakademie (1906-1921). Beeinflusst von seinem in Brasilien ökologisch forschenden Großcousin Fritz Müller, bei dem er einen dreijährigen Forschungsaufenthalt verbrachte, entwickelte er eine revolutionäre ökologische Sicht auf die Natur. Sein ganzheitliches Verständnis des Waldes wurde wesentlich dadurch geprägt, dass er sich wissenschaftlich nicht der Baumproduktion, sondern Pilzen und Symbiosen widmete. Letztlich begriff er den Wald als eine Art Organismus höherer Ordnung. Schlussfolgerungen waren die Forderung nach Kahlschlagverbot und sein Dauerwaldkonzept (dem Wilhelm Bode bald ein neues Buch widmet). >>>
>>> Alfred Möller gehörte zu den Vordenkern, deren Bemühungen Mitte der 1930er Jahre zur Schaffung des Ökosystem-Konzepts führten. Diese systemisch-organismische Betrachtung des Waldes hätte der deutschen Forstwirtschaft eine gänzlich andere Richtung geben können. Zwar entstand eine bis heute wirkende "Dauerwald-Schule", aber der Mainstream bekämpfte Möllers Gedankengut mit Erfolg. Er wurde 1920 als Leiter der Forstakademie abberufen und starb wenig später. Sein Nachfolger Alfred Dengler ließ das weltweit erste Pilzinstitut schließen und begründete eine gänzlich andere Waldökologie.
"'Waldbau auf ökologischer Grundlage' lautetet der Titel seines vor über 90 Jahren zum ersten Mal erschienenen und seitdem stetig weiterentwickelten Lehrbuchs". Dies führen die Forstwissenschaftler in ihrer Erklärung gegen die Initiative zur Ökologischen Waldbewirtschaftung als Argument dafür an, wie ökologisch die forstliche Lehre längst sei. Und berufen sich also auf Dengler, auch wenn der im Wesentlichen Ökologie als Auseinandersetzung der Baumarten mit den Standortbedingungen verstand.
Aus den Eigenschaften des Standorts und der Bäume leitete Dengler ab, wie der Wald zu bauen sei, die "Technik des Waldbaus". Hier verrät schon die Sprache, dass Wald sich nicht organismisch entwickeln darf, sondern dass der Waldbauer wie auf einem Acker pflanzt und erntet. Außenstehenden könnte es spitzfindig vorkommen, doch allein die forstliche Terminologie lohnt eine Durchforstung. So wird bis heute von Holzarten gesprochen, die angebaut werden – gemeint sind aber Organismen, die auch Teil eines Ökosystems sind. "Ein Baum oder einige Bäume machen (…) noch keinen Wald", schrieb Alfred Dengler, "es müssen ihrer viele sein, die eine größere Fläche bedecken". Ja, aber ist das alles?
Die ganzheitliche Sicht seines Vorgängers wird in Denglers Lehrbuch abgekanzelt: "Die Bezeichnung Organismus [für den Wald] ist abzulehnen, weil sie falsch ist und zu falschen Schlussfolgerungen führt. Die Ökologie hat die Aufgabe, den natürlichen standortsgemäßen Typ des Waldes als solchen zu erkennen und seine ursächlichen Zusammenhänge mit den äußeren Bedingungen zu erforschen. Daraus ergibt sich dann erst das volle Verständnis der ungeheuer vielseitigen und verwickelten Erscheinungen der Lebensgemeinschaft, daraus auch erst die richtige Beurteilung aller unserer wirtschaftlichen Maßnahmen im Walde!" (Zitat aus der 3. Auflage von 1944; Seite 5 bis 6). >>>
Gedenkstein für den Eberswalder Waldbauprofessor Alfred Dengler bei Chorin, Brandenburg. Dengler verfasste 1930 das Lehrbuch zum "Waldbau auf ökologischer Grundlage", in dem er sich von den ganzheitlichen Ideen seines Vorgängers Alfred Möller distanzierte. Foto: P. Ibisch.
>>> Etwas abzulehnen, bloß weil es nach eigener Maßgabe falsch sei, ist unwissenschaftlich. Die Selbstsicherheit, mit der Dengler die ‚wahre Lehre‘ verkündete, kann bis heute in forstlichen Kreisen beobachtet werden. Das klingt zum Beispiel so: "Der Studiengang 'Ökologische Waldwirtschaft', den das GEO Magazin und der Autor und Förster Peter Wohlleben aufbauen wollen, hat nichts mit wissenschaftlich fundierter Waldökologie zu tun. Dafür umso mehr mit fragwürdiger Wald-Romantik" (Zitat des pensionierten Waldökologie-Professors R. Irslinger hier im Blog).
Die Idee der "Standortgerechtigkeit" verfestigte sich fortan als das entscheidende Prinzip in der deutschen Forstwirtschaft. Viele Entwicklungen in den ökologischen Wissenschaften wurden verschlafen, ignoriert oder bekämpft. Die moderne Ökologie betrachtet Waldökosysteme nicht als einen aus sich selbst heraus entwickelnden Organismus, sondern als haushaltendes System höherer Ordnung. In ihm zählt vor allem, dass das Ganze größer ist als die Summe seiner Teile. Inzwischen werden Organismen selbst regelrecht als Ökosysteme verstanden, da in und auf ihnen viele Lebewesen auf komplexere Art und Weise zusammenwirken, als es lange für möglich gehalten wurde. Aufregende Befunde beschreiben Lebewesen inzwischen plausibel als komplexe Vielfach- und Überorganismen (Holobionten). Wie gern würde man das mit Alfred Möller diskutieren!
Ökosysteme entstehen nicht als einfache Antwort von Lebewesen auf ihre Umweltbedingungen, sie gestalten diese Bedingungen selbst um. Wälder schaffen sich Waldböden und ein Waldklima, was wiederum ihr Gedeihen verbessert. Gerade in Bezug auf die Bedeutung von Bäumen und Wäldern für den Landschaftswasserhaushalt und das Klima ist deren transformative Kraft deutlich größer als Lehrbücher lange Zeit beschrieben. Wer im 21. Jahrhundert Sätze schreibt wie "dichte Wälder saufen den letzten Tropfen Wasser weg" (R. Irslinger hier im Blog), dem sei dringend ökohydrologische Lektüre empfohlen (wunderbar etwa: Trees, forests and water: Cool insights for a hot world). Es gibt so viel zu lesen heutzutage, dass es für Wissenschaftler schwierig ist, auf dem Stand zu bleiben. Immer wieder fällt auf, dass deutsche Einlassungen zum Wald vieles ignorieren oder ausblenden, was international publiziert wird. Expertenstellungnahmen für politische Gremien kommen teils ohne Literaturhinweise aus.
Mangelhafte Literaturnutzung wurde auch dem Wissenschaftlichen Beirat für Waldpolitik des Bundesministeriums für Landwirtschaft vorgeworfen – etwa, als er sich zu Waldnutzung und Klimaschutz äußerte. Die Frage des Kohlenstoffhaushalts von Wäldern ist leider deutlich komplexer, als manche Akteure suggerieren. Nicht nur die Klimakrise gefährdet die Wälder – das tun auch jene Formen von Klimaschutz, die noch stärkere Eingriffe in Wälder propagieren.
Dem Wald in Deutschland geht es schlecht. Vieles spricht dafür, dass der Klimawandel und die konventionellen Nutzungen dafür mitverantwortlich sind. Die Waldökosysteme wurden im Namen des Waldbaus auf „ökologischer“ Grundlage zerschnitten, homogenisiert und nach Vorgaben des Holzmarkts gestaltet. Bis 70 Tonnen schwere Ernte-Maschinen fahren in ihnen umher, für die im Abstand von 20 bis 40 Metern Wege von Bäumen freigehalten werden. Der überwiegende Anteil der Forsten besteht aus Nadelbaumplantagen, die seit Jahren von Stürmen gefällt sowie von Trockenheit und Käfern dahingerafft werden. Auf geschädigte Waldflächen werden die geschundenen Böden befahren, ihrer Restbiomasse beraubt, gepflügt und bepflanzt. Der Schutz der Photosyntheseleistung von Bäumen, unter anderem durch den Einsatz von Pestiziden, soll nach einigen Experten im Klimawandel das Primat haben. Wälder werden aufgelichtet, damit "Bäume nicht so viel Wasser saufen" – und heizen sich dabei nur noch weiter auf; ältere Bäume sterben ab.
"So kann kein Zweifel daran bestehen, dass die Bedeutung der Waldökologie für die Entwicklung waldbaulicher Konzepte in den vergangenen 30 Jahren stetig zugenommen hat" (Erklärung von Forstwissenschaftlern gegen die Initiative zur Ökologischen Waldbewirtschaftung).
Was, wenn noch jemand Zweifel hat? Ganz einfach: Dann wird er als "unwissenschaftlich" abgekanzelt.
Ökologische Waldbewirtschaftung als neues Angebot – wissens- und wertebasiert
Fortan wird mehr über die ökologische Waldbewirtschaftung zu reden sein.
Ein aktuelles Ökosystemverständnis auf interdisziplinärer Grundlage wird das Fundament bilden. Studierende dieser neuen Fachrichtung werden sehr viel lesen müssen. Und sie werden sich noch intensiver mit funktionstüchtigen und geschädigten, genutzten und ungenutzten Waldökosystemen beschäftigen müssen als Forst-Studierende bisher. Sie sollen im Wald – im Wortsinn – begreifen, inwiefern theoretische Konzepte im Einklang stehen mit den Beobachtungen auf den Flächen. Gemeinsam müssen wir andere Konzepte als die bisherigen mit größerer Entschlossenheit und Offenherzigkeit verfolgen.
Und dann gibt es tatsächlich auch das, was Jan-Martin Wiarda in seinem Beitrag "Krach im Wald" als "fast schon esoterisch anmutend" beurteilte, als er aus einer einseitigen Ideenskizze zum Studiengang zitierte: "Demütige naturwissenschaftliche Diagnostik der Systemkomponenten und Interaktionen auf dem aktuellen Stand des (Nicht-)Wissens in Kombination mit einfühlsamer Beobachtung und einem empathisch-emotionalen Walderleben." Sind wir nicht ganz dicht? Doch, nur ist das ziemlich verdichtet formuliert, und soll bedeuten …
• …, dass Wald als komplexes System begriffen werden muss, in dem Funktionen sich nicht direkt aus den Einzelteilen ergeben, sondern aus dem ökologischen Zusammenwirken der Organismen.
• …, dass komplexe Systeme sich der exakten Berechenbarkeit entziehen, und dass das Unbestimmtheiten und Unsicherheiten mit sich bringt, die ein gutes Ökosystem-Management berücksichtigen muss.
• …, dass es viele Dimensionen von Nichtwissen gibt - von Wissenslücken, bewusstem Ignorieren bis hin zu ungeahnten blinden Flecken.
• …, dass mit reduktionistisch-mechanistischen Entscheidungen deshalb schnell schwerwiegende Fehler hervorgerufen werden können.
• …, dass wir als zu abstraktem Denken befähigte Lebewesen auch auf Grundlage von Emotionen handeln, die zu unserer Biologie gehören, die uns bei Schutz und Nutzung von Wäldern antreiben – und die wir besser bewusst reflektieren.
• …, dass unsere Fähigkeit zu empfinden und uns in andere Lebewesen hineindenken zu können, durchaus wesentlicher Antrieb der Motivation sein kann, sorgsam mit der Natur umzugehen und mehr über sie lernen zu wollen.
So weit ist es mit uns im 21. Jahrhundert gekommen, dass alte Begriffe wie Demut verdächtig wirken. Demut steht für "Bescheidenheit, Bereitschaft zum Dienen". Vieles spricht dafür, dass die modernen ökologischen Erkenntnisse über unsere Position in der Natur Anlass geben könnten für etwas mehr Bescheidenheit. Die Idee der Ökologischen Waldbewirtschaftung schließt das Wirtschaften und das Vom-Wald-Leben mit ein – aber auf der Grundlage eines ökologischen Primats. Der Wald als Ökosystem muss funktionieren, damit wir seine Leistungen – und idealerweise auch weiterhin das Holz – genießen können.
Ökologischer Bewirtschafter*innen des Waldes fragen nicht nur, was sie dem Ökosystem entnehmen, sondern vor allem, wie sie ihm dienen können. Sie fragen nicht bloß: Wie ernte ich möglichst viel Holz, ohne dabei allzu viel ökologischen Schaden anzurichten? Sondern: Wie schütze ich den Wald mit all seinen Funktionen und der Anpassungsfähigkeit, die es auf dem Weg in die Heißzeit braucht, und wieviel kann ich ernten, ohne dieses Schutzziel zu beeinträchtigen?
Alles Wirtschaften muss dem Menschen dienen und dem Ökosystem, sonst hat es keine Berechtigung. Diese Form der Verknüpfung der sozialen mit der ökologischen Frage soll als Idee des Ökohumanismus auch im Rahmen dieses Studiengangs bearbeitet werden.
Wenn wir Menschen Teil des Ökosystems sind – was sollen wir dann wollen?
Ökologische Waldbewirtschaftung bedeutet in vielen Fällen, mehr Fragen zu stellen, als selbstsichere Antworten zu geben.
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Wilhelm Bode (Donnerstag, 01 April 2021 10:24)
Die Initiative von Ibisch und Wohlleben verdient jede Unterstützung, die man sich nur denken kann. Denn eigene Studiengänge für Waldkosystemwirtschaft sind der einzige Ausweg aus der historisch gewachsenen Sackgasse der fortlichen Lehre und Wissenschaft. Wie nötig das ist lässt sich beim ersten und natürlich auch beim letzten Blick in unsere Waldlandschaft, pardon Forstlandschaft, erkennen - uns zwar von Jedem, der bereits im Kindergartenalter den Wald als komplexes Zusammenspiel der Artenvielfalt kennengelernt hat; es sein denn er hat später einmal Forstwissenschaft an einer der deutschen Universitäten studiert. Wilhelm Bode, Jurist und Diplom-Forstakademiker
Hans D. Knapp (Donnerstag, 01 April 2021 23:51)
Dem Kommentar von Wilhelm Bode kann ich nur zustimmen. Die Initiative verdient jegliche denkbare Unterstützung. Die von Pierre Ibisch dargelegte Zielstellung und Begründung sollten nicht in spitzfindigen Diskussionsrunden zerredet sondern schleunigst in die Tat umgesetzt werden. Der Zustand und die Misshandlung vieler Wälder in Deutschland und Waldzerstörung weltweit erfordern dringend einen anderen Umgang mit Wald. Umso verwunderlicher und beschämender die geradezu aggressive Abwehr von Vertretern etablierter Forstwissenschaft. Mögen sie zur Erkenntnis gelangen, dass sie auf dem Holzweg sind und sich notwendigen Veränderungen nicht weiter verschließen. Ein Studiengang „Ökologische Waldbewirtschaftung“ ist längst überfällig und in Eberswalde am rechten Ort, um Deutschland weit und international positive Wirkungen zu entfalten.
Hans D. Knapp, Dipl.-Biologe, Dr. rer. nat., Dir. u. Prof. a. D.
Bastian Kaiser (Freitag, 02 April 2021 12:56)
Ich lade alle Leserinnen und Leser dieses Beitrags von Herrn Ibisch herzlich ein, auch die gemeinsame Erklärung der Hochschulen zu lesen. Im Unterschied zu anderen Beiträgen nehmen die Autoren der Erklärung nicht für sich in Anspruch, die "Wahrheit" zu kennen und für sich gepachtet zu haben, rechtfertigen nicht etwa die Forstwirtschaft in Deutschland und wenden sich nicht gegen private Investitionen in Hochschulen und in die Wissenschaft oder gegen Stiftungsprofessuren.
Sondern sie machen deutlich, dass dieser Diskurs im Interesse der Forstwissenschaft und unserer Wälder offen, bedingungslos und auch innerhalb der bestehenden Studiengänge und Hochschulen stattfinden sollte. Sie bringen allerdings auch zum Ausdruck, dass das keine neue Idee und durchaus längst Realität ist. Die Waldökologie ist in unseren Studiengängen etabliert und wird - wie andere Fachdisziplinen auch - in Forschung und Lehre stetig weiterentwickelt. Hierzu ist jeder Impuls und jede Kritik sehr willkommen.
Wenn man den Hochschulen und ihren Absolvent*innen aber dennoch vorwirft, in ihrer Arbeit quasi "auf einem Auge blind zu sein", ist es für mich nicht schlüssig, als Reaktion auf diesen angeblichen Mangel ausgerechnet einen Studiengang zu fordern, von dem erwartet wird, möglichst (nur?) mit dem einen (!) anderen Auge zu sehen. Ich halte es grundsätzlich für einen "Sehfehler", wenn jedes Auge nur in eine Richtung sehen kann. Das kann kein gutes Gesamtbild ergeben.
Die von Herrn Ibisch erwähnten Stifter von Stiftungsprofessuren haben ihre Förderung sicher nicht an die Forderung und Gegenleistung gebunden, einen neuen Studiengang mit klaren Zielvorgaben einzurichten oder nur bestimmte Inhalte zu lehren und Fragestellungen zu erforschen. Das ist nach geltendem Hochschulrecht aus guten Gründen nicht möglich und widerspräche guter wissenschaftlicher Praxis. Als Hochschullehrer weiß das auch Herr Ibisch.
Ich freue mich jedenfalls über jede Reaktion auf die Initiative von Gruner&Jahr und auf die Erklärung der Forsthochschulen - sogar über die emotioalen und die unsachlichen -, denn der Diskurs bringt uns in jedem Falle weiter und hilft dem Wald sicherlich mehr als die Inanspruchnahme und Behauptung einseitiger "Wahrheiten".
Zu diesem Dialog - (oder, weil es sicherlich mehr als zwei Positionen zu diesem Thema gibt, mehr als Schwarz und Weiß, besser) zu diesem Diskurs haben wir ausdrücklich und gerne eingeladen.
Prof. Dr. Bastian Kaiser. Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg
Jakob Liesegang (Freitag, 02 April 2021 16:55)
Waldbewirtschafter müssen ihr Handeln immer reflektieren. Die Reflektion sollte auf jeden Fall nicht nur betriebliche Aspekte berücksichtigen sondern auch aufgreifen, dass jeder forstliche Eingriff im Wald einen Einfluss auf das Ökosystem hat und es sich nur um naturnahe Bewirtschaftung handeln kann, die nie zu einem Wald führt, wie er ohne jegdlichen menschlichen Einfluss existieren würde.
Die Bewirtschaftung des Waldes sollte aber auch vor dem Hintergrund reflektiert werden, dass wir in Deutschland in einem sehr dicht besiedelten Flächenland mit über 83 Millionen Einwohnern leben. Diese nutzen täglich Rohstoffe (Erdöl, Metalle etc.) die gar nicht nachhaltig gewonnen werden können. Auch alle Grundprodukte für Lebensmittel werden auf Feldern angebaut, die früher einmal Wald waren.
Regional produziertes Holz ist also eines, wenn nicht das nachhaltigste Produkt, welches Menschen verwenden können. Dehalb sollte man eine Maximierung der Holznutzung nicht perse mit niederen, betrieblich profitorientierten Motiven in Verbindung bringen. Jeder Festmeter Holz, der produziert (und nicht importiert) und regional verarbeitet wird, kann weniger nachhaltige Rohstoffe subsitutieren.
Natürlichen müssen bei der Holzproduktion ökologische Restriktionen greifen über die auch gestritten werden muss. Das geschieht meiner persönlichen Erfahrung nach auch in einem forstwirtschaftlichen Studium, wobei sicherlich noch Potential besteht, diese "waldethischen" Abwägungen in einzelnen Modulen auszubauen.
Eine Segregation zwischen Ökologie und Nutzung wäre jedoch ein falsches Signal, da eine nachhaltige Nutzung von Holz in den zuwachsstarken Wäldern Deutschlands in der ökologischen Verantwortung der Gesellschaft liegt. Und dabei müssen auch Massensortimente für Papier, Spanplatten etc. produziert werden, solange die Gesellschaft diese oder energetisch noch schlechtere Produkte verbraucht. Im Vergleich zu anderen Ländern gibt es bereits viele ökologisch sinnvolle Regularien und auch die Eigentümervielfalt ermöglicht es, dass Wald bereits heute nach verschiedenen Zielsetzungen (Stillegung zur Überführung in Naturwälder, Nutzungsverzicht aus Desinteresse, naturnaher Waldbau, ökonomisch optimierte Bewirtschaftung) bewirtschaftet wird. Im Vergleich zur historischen Landnutzung, welche oft zur Degradierung ganzer Landstriche führte, ergibt sich heute ein besseres Gesamtbild. Sicherlich besteht noch Potential, Wälder in bessere Zustandsformen zu überführen, vor dem Hintergrund des Klimawandels und aktueller Kalamitäten ist dies auch dringend nötig. Doch müssen diese Wälder auch in Zukunft weiter genutzt werden und dafür werden in einem Forstwirtschaftsstudium auch alle nötigen Kompetenzen vermittelt. Die Reflektion des eigenen forstlichen Handelns kann noch weiterentwickelt werden, aber nicht in einem anderen Studiengang, da sie durch jeden erfolgen sollte, der in Zukunft Waldflächen bewirtschaftet und gestaltet.
Jens Schröder (Freitag, 02 April 2021 17:37)
Lieber Herr Prof. Kaiser, Sie haben Recht, die Einlassung in der von Ihnen mit auf den Weg gebrachten Erklärung waren erfreulicherweise nicht aggressiv formuliert, dafür auf jeden Fall erstmal ein Dank. Sie sagen: Man sollte lieber die bestehenden Ausbildungsgänge weiter entwickeln. Ich verstehe die Sichtweise. Es gibt aber ganz offenbar ziemlich viele Leute, die sich wissenschaftlich mit Wald befassen, und die das Gefühl haben, mit ihrer Perspektive in den bisherigen Forst-Studiengängen nicht hinreichend durchzudringen. Nur so kann ich die viele der positiven Reaktionen interpretieren, die wir auf die Initiative bekommen. Was spricht dann dagegen, in kleinen, alternativen Studiengang mal die eigene Sichtweise unter Beweis stellen zu wollen? Es hat der Landwirtschaft in Deutschland ganz sicher nicht geschadet, dass es jetzt, unter anderem in Eberswalde, Studiengänge zum Ökologischen Landbau gibt. Diese Studiengänge scheinen mir auch nicht "geltendem Hochschulrecht" zu widersprechen, nur weil sie sich besonders konsequent ökologisch ausrichten und sich auch so benennen. Im Ernst: Es muss doch niemand Angst haben vor diesem wirklich überschaubaren Projekt. Und den Wald muss man davor ganz bestimmt nicht schützen. Das Schöne ist doch: So einen Studiengang einzurichten und an einem Standort anzusiedeln dauert ja eine Weile. Und die Debatte, die in der Zwischenzeit stattfindet, auch hier schon, ist auf jeden Fall schon mal ein Wert an sich und bringt uns hoffentlich alle miteinander weiter. Herzlich, Jens Schröder
Christian Ammer (Freitag, 02 April 2021 21:49)
Herr Ibisch erzählt also die „wahre Geschichte der ökologischen Waldbewirtschaftung“. Leider hat die Erfahrung gelehrt, dass man genauer hinschauen muss, wenn die Wahrheit in Geschichten daherkommt. Was war passiert und führte zu „Krach im Wald“? Der Verlag Gruner+Jahr veröffentlichte am 19.2. 2021 eine Mitteilung, in der die Einrichtung eines Studiengangs „ökologische Waldbewirtschaftung“ gefordert wird. Als Unterstützer der Idee kommen der Autor Peter Wohlleben und der Biologie Pierre Ibisch zu Wort. Die wesentlichen Aussagen in der betreffenden Mitteilung lassen sich wie folgt zusammenfassen: a) Wälder werden bislang nur nach Maßgabe ihres Holzertrages erforscht und geschätzt, nicht aber als komplexes Ökosystem, b) Wälder müssen zu lebenswerten Landschaften entwickelt werden (sind es also bislang nicht) c) die bisherige Ausbildung ist auf die Plantagenwirtschaft fokussiert und d) es muss eine Richtung in Forschung und Lehre angeboten werden, die den Wald als ganzheitliches Ökosystem betrachtet, was offenbar bislang fehlt.
Das also waren die Informationen, die im Raum standen, als die Vertreter der Forstwissenschaftlichen Hochschulen und Universitäten eine Erklärung verfassten, in der sie sich dagegen verwahrten, an ihren Einrichtungen würden waldökologisch-ökosystemare Inhalte nicht vermittelt und stattdessen ausschließlich der Plantagenwirtschaft das Wort geredet. Das alles wurde in einem sehr differenzierten Beitrag von Herrn Jan-Martin Wiarda in diesem Blog dargestellt. Doch nun legt Herr Ibisch in einem Gastbeitrag nach.
Es lohnt sich kaum über Herrn Ibischs Anwürfe dazu, die Erklärung der forstwissenschaftlichen Universitäten und forstwirtschaftlichen Hochschulen sei nicht demokratisch abgesichert, zu reagieren, noch seine Interpretationen zur angeblichen Geringschätzung des Demutsbegriffs zu kommentieren. Zu beidem nur so viel: Wie in anderen Institutionen, gibt es auch an Hochschulen demokratisch gewählte Organe, die für die Zeit, in der sie im Amt sind, als legitime Vertreter der Einrichtung im Rahmen der ihnen jeweils zugewiesenen Aufgaben agieren. Was daran nicht demokratisch sein soll, bleibt Herrn Ibischs Geheimnis. Zum Begriff der Demut äußert sich die Erklärung an keiner Stelle, warum auch? Demut ist gerade in der Bewertung der eigenen Erkenntnisse ein elementarer Bestandteil der wissenschaftlichen Diskussionskultur, warum also sollte dieser Begriff verdächtig sein? Interessant in diesem Zusammenhang ist vielmehr, dass derjenige, der hier zu mehr Bescheidenheit aufruft, die Curricula und Inhalte der forstwissenschaftlichen Studiengänge an vier Universitäten und fünf forstwirtschaftlichen Hochschulen offenbar so gut kennt, dass er beurteilen kann, dass das Primat der Ökologie beim Wirtschaften mit dem Wald bislang nicht vermittelt wird. Das ist eine bemerkenswerte Leistung, denn an jedem Standort werden mehrere grundständige Studiengänge angeboten. Ich könnte das jedenfalls nicht und bin gerade einmal froh, dass ich einen ungefähren Überblick über das habe, was die 19 Kolleg*innen meiner Fakultät in ihrer forschungsbasierten Lehre vermitteln.
Und damit sind wir beim Kern dieses Kommentars, nämlich der Frage: sind Herrn Ibischs Vorwürfe gerechtfertigt, hängt also das Studium der Forstwissenschaften einem überkommenen Weltbild nach und missachtet moderne ökologische Erkenntnisse? Die folgenden Ausführungen beziehen sich ausschließlich auf das Studienangebot an der Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Universität Göttingen, da ich, wie oben erwähnt, im Gegensatz zu Herrn Ibisch, keinen ausreichenden Einblick über Lehrinhalte anderer forstlicher Einrichtungen habe, der es mir erlauben würde, darüber ein Urteil zu fällen. Unsere Fakultät trägt den Begriff Waldökologie bezeichnenderweise bereits in ihrem Fakultätsnamen und das nicht aus purem Zufall. So hatte sich die forstliche Fakultät in Göttingen spätestens seit den Diskussionen um das Waldsterben in der 80iger Jahren des 20. Jahrhundert der sogenannten Ökosystemforschung verschrieben. Gemeint ist damit Waldökosysteme eben nicht nur streng disziplinär, sondern in ihrer Gesamtheit und Komplexität zu untersuchen. Mit dem Bemühen Forschungsverbünde zu etablieren, die dieser Idee folgen, wurde das Forschungszentrum Waldökosysteme eingerichtet, das eng mit dem Namen Bernhard Ulrich verbunden ist, dem unter anderem der Deutsche Umweltpreis verliehen wurde, und das inzwischen im Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung aufgegangen ist. Auch das neue Zentrum hat die Aufgabe Verbundforschung zu unterstützen, die jeweils auf das gesamte zu untersuchende Ökosystem abzielt. Ein Beispiel hierfür ist das von der DFG geförderte Graduiertenkolleg 2300 „Der Einfluss funktionaler Eigenschaften beigemischter Koniferen auf die Funktionsweise von Rotbuchenökosystemen“. ... Fortsetzung folgt
Christian Ammer (Freitag, 02 April 2021 21:51)
... Hier arbeiten 11 Gruppen an der Frage, wie sich die Beteiligung von Koniferen in Buchenbestände auf die Ökosystemfunktionen und -leistungen von Waldbeständen auf unterschiedlichen Standorten auswirkt. Im Gegensatz zu den Unterstellungen der eingangs erwähnten GEO-Mitteilung geht es dabei nicht nur um die Frage der Holzproduktion. Es stehen vielmehr Fragen der komplementären Ressourcennutzung im Boden, des Wassertransports- und verbrauchs, der Mykorrhizierung, der Bodenmikro- und mesofauna, der Arthropodengemeinschaften, der Kleinsäuger (jeweils hinsichtlich Diversität und Funktion), des Nährstoffhaushalts, der Regeneration, der räumlichen Bestandesstruktur und des Mikroklimas im Vordergrund, die im Rahmen einer Synthese verbunden und im Hinblick auf nachhaltige Nutzungsmöglichkeiten diskutiert werden. Das alles fließt naturgemäß in die Lehre ein, denn es ist ein Merkmal universitärer Lehre, die Studierenden unmittelbar mit aktuellen Forschungsfragen in Kontakt zu bringen. Die Grundvorlesung in dem Fach, das ich unterrichte, nennt sich „Waldbau: Bewirtschaftung und Schutz von Wäldern“ und es geht darin, kurz gesagt, darum, die Frage zu stellen, wie der Mensch unter immer besserer Kenntnis der in einem Wald ablaufenden Ökosystemprozesse, mit möglichst wenig Input die Waldentwicklung in einer Weise steuern kann, dass bestimmte Ziele, d.h. gewünschte Ökosystemleistungen erreicht werden und zwar immer unter der Vorgabe die Integrität des Ökossystems nicht zu gefährden. Etwa die Hälfte der Vorlesungszeit verbringe ich mit der Vermittlung von Grundlagen der Waldökologie, denn natürlich ist das Verständnis der ökologischen Zusammenhänge die Basis einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Und meine Kolleg*innen? Diese lehren und forschen ebenfalls ökosystemar, bei einigen weist schon der Name des Lehrstuhls (z. B. „Biodiversität, Makroökologie und Biogeographie“, „Ökosystemmodellierung“, „Waldnaturschutz“) auf diese Ausrichtung hin.
Das alles hätte man recherchieren oder anfragen können, wenn man an einer ehrlichen Bestandsaufnahme interessiert gewesen wäre, aus der sich wirkliche Defizite eventuell hätten ableiten lassen. Das wäre aber mühsam gewesen und womöglich hätte man festgestellt, dass die eigenen Annahmen, die man so schön zu Phrasen wie der angeblich ausschließlich auf die Holzproduktion auf „Holzäckern“ und „Plantagen“ ausgerichteten Lehre verdichten kann, nicht stimmen. Stattdessen ging man in GEO und STERN an die Öffentlichkeit.
Brauchen wir also eine „demütige naturwissenschaftliche Diagnostik der Systemkomponenten und Interaktionen auf dem aktuellen Stand des (Nicht-)Wissens in Kombination mit einfühlsamer Beobachtung und einem empathisch-emotionalen Walderleben“? Selbst Herr Ibisch fühlt sich in seinem Gastbeitrag bemüßigt, den Sinngehalt dieses sprachlichen Kunstwerks zu erläutern. Unter anderem weist er dabei darauf hin, dass „Wald als komplexes System begriffen werden muss, in dem Funktionen sich nicht direkt aus den Einzelteilen ergeben, sondern aus dem ökologischen Zusammenwirken der Organismen“ und dass „komplexe Systeme sich der exakten Berechenbarkeit entziehen, und dass das Unbestimmtheiten und Unsicherheiten mit sich bringt, die ein gutes Ökosystem-Management berücksichtigen muss.“ Beides ist völlig korrekt, aber beides ist weder neu noch wird aus diesen allgemeinen Beschreibungen deutlich, inwiefern diese Elemente im Studium der Forstwissenschaften bislang fehlen. Leider lassen auch seine weiteren Erläuterungen, die ich hier nicht wiederholen möchte, nicht erkennen, wo die Defizite in der bisherigen Lehre im Einzelnen gesehen werden. Konkret zu werden ist allerdings vermutlich zuviel verlangt, denn dann hätte man sich mit den Inhalten im Detail auseinandersetzen müssen, aber da waren wir ja schon ….
Herr Ibisch spricht davon, dass von der ökologischen Waldbewirtschaftung künftig die Rede sein werde. Auch hier möchte ich widersprechen. Von der ökologischen Waldbewirtschaftung wird nicht erst künftig die Rede sein, sondern von ihr ist bereits jetzt ausführlich die Rede - im Studium der Forstwissenschaften und Waldökologie. Und zwar schon seit einiger Zeit und das ist gut so.
Prof. Dr. Christian Ammer
Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie der Georg-August-Universität Göttingen
Axel Schmoll (Samstag, 03 April 2021 12:31)
Ich finde es sehr interessant, dass sich Vertreter*innen der Forstfakultäten derart vehement gegen diesen neuen Studiengang einsetzen, so dann folgerichtig auch unter diesem Beitrag.
Wenn die bestehenden Forstausbildungen derart ökologisch ausgerichtet wären wie behauptet, warum regt man sich dann so gegen diesen neuen Studiengang auf und sieht ihn nicht einfach als Bereicherung? Warum regt man sich gegen einen solchen neuen Studiengang auf, wenn man sich die Situation in den Wäldern und die aktuellen Aktivitäten der Forstwirtschaft ansieht? Überall sieht man z.B. heftige Einschläge in Buchenbestände, als würde man das Wort Waldbinnenklima oder Klimawandelvulnerabilität nicht kennen, in gestressten Wäldern werden Kronendächer künstlich aufgerissen, weil man angeblich bestimmte Arten fördern will, als gäbe es keine Untersuchungen zur hohen Bedeutung geschlossener Kronenräume, ich sehe überall monotone Plantagenaufforstungen (sogar mit Fichte teils) auf sog. Schadflächen, wo vorher der Waldboden strukturell und klimatisch zu einem Ackerboden degradiert wurde und sämtliche Biomasse abgeräumt wurde? Und ich sehe diese Jungplantagen dann auch absterben. Man könnte meinen, die Erkenntnisse der Lehre sind im realen Wald noch nicht angekommen... Aber warum lese ich dann so häufig, dass renommierte Wissenschaftler der klassischen Fakultäten diese Maßnahmen auch noch gutheißen und teils starke Durchforstungen und (Klein)Kahlschläge propagieren, sogar in Buchenwäldern oder in Leipzig in einem Auwald?
Ich komme nur zum Schluss: Es braucht diesen neuen Studiengang offensichtlich ganz dringend!
Axel Schmoll (Samstag, 03 April 2021 18:33)
Interessant ist auch, dass der Kommentator Professor Ammer einer der Hauptinitiatoren der Onlinepetition gegen Peter Wohllebens Bestseller war - https://www.openpetition.eu/petition/online/auch-im-wald-fakten-statt-maerchen-wissenschaft-statt-wohlleben-. Diese Kampagne ist dann irgendwie mehr oder weniger in sich zusammengebrochen, da wohl zu augenscheinlich war, dass Peter Wohlleben sich zu fachkundig auf evidenzbasierte Forschung gestützt hat, auch wenn er natürlich ein Sachbuch für die breite Bevölkerung geschrieben hat und dem Jargon entsprechend auch häufiger vermenschlicht (muss man nicht mögen, lese ich in solchen Sachbüchern aber eigentlich ständig). Professor Ibisch hat zu dazu folgendes geschrieben, dem m.E. nichts hinzuzufügen ist: https://www.centreforeconics.org/news-and-events/press-release-downloads/zum-wissenschaftlichen-umgang-mit-waldbezogenen-b%C3%BCchern-petitionen-und-gutachten-in-deutschland/ . Die Petition von Professor Ammer et al. gegen Peter Wohlleben hat den Erfolg des "Geheimen Lebens der Bäume" wahrscheinlich noch gestärkt, eine wie ich finde schöne Waldgeschichte!
Ob es hier noch "alte Rechnungen" zu begleichen gilt?
Axel Schmoll - Biologe aus Leipzig
Andreas Linde (Samstag, 03 April 2021 19:08)
Das prophetisch-pathetische Eingangsstatement (Zitat: „Fortan wird häufiger über die ökologische Waldbewirtschaftung zu reden sein“), das im weiteren Text wiederholt wird, ist falsch und anmaßend. Wie der Autor des Beitrags selbst darlegt, wird in der Waldökologie, dem Waldnaturschutz und auch der Forstwirtschaft seit Jahrzehnten über die ökologische Waldbewirtschaftung „geredet“ (diskutiert). Diese fortlaufende Diskussion fand und findet ihren Niederschlag in zahlreichen Publikationen und den in der Praxis mannigfaltig umgesetzten naturnahen Bewirtschaftungskonzepten.
Die Ausführungen von Prof. Ibisch lassen sich so deuten, dass dies in seinen Augen aber nicht die „richtige“ Ökologie sein kann: Die „Deutung von Ökologie“ durch Teile der deutschen Forstwirtschaft sei „recht speziell“. Über das „aktuelle Ökosystemverständnis“ – wie auch über genaue Kenntnisse der „wahren Geschichte der ökologischen Waldbewirtschaftung“ - meint aber der Autor zu verfügen.
Unwahr ist die von Prof. Ibisch ständig wiederholte Behauptung, die Mitglieder des Fachbereichsrates des Fachbereichs für Wald und Umwelt der HNE Eberswalde hätten „nicht reden wollen“. Tatsächlich haben die Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des Fachbereichsrates sowie fünf (der sechs) professoralen Mitglieder und acht weitere (und somit 13 der insgesamt 18) ProfessorInnen des Fachbereichs im Vorfeld der genannten Fachbereichsratssitzung schriftlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Diskussion des geplanten neuen Studiengangs ausdrücklich erwünscht und dringend notwendig sei. Es wurde zugleich aber darum gebeten, diese Diskussion nicht unmittelbar mit einem Beschlussantrag zu verknüpfen, wie es im Antrag des Dekans vorgesehen war. Dieser Bitte wurde vom Dekan nicht entsprochen. Der stellvertretende Vorsitzende des Fachbereichsrates trat aus diesem Grund zurück – nicht etwa, wie im Beitrag von Prof. Ibisch suggeriert, weil die Diskussion und Abstimmung des Tagesordnungspunktes verhindert wurde. Vermutlich soll mit der Wiederholung der falschen Behauptung versucht werden, diese als „Wahrheit“ zu etablieren, wie es in diesem Beitrag auch mit der Darstellung der „wahren“ Entwicklung der ökologischen Waldbewirtschaftung versucht wird. Wir verwahren uns gegen diesen Versuch der Legendenbildung.
Im Übrigen ging es nach Aussage des Dekans bei seinem Antrag sehr wohl um die „mögliche Einrichtung“ des neuen Studiengangs, nicht nur um eine Interessenbekundung zur Entwicklung des Studiengangs, wie von Prof. Ibisch behauptet.
Auch die Behauptung, der neue Studiengang solle inhaltlich nicht als Konkurrenz zu den bestehenden Bachelorstudiengängen verstanden werden, ist falsch. Am Fachbereich für Wald und Umwelt gibt es seit 1992 einen sehr erfolgreichen Studiengang „Forstwirtschaft“, in dem übrigens auch Prof. Ibisch lehrt. Der Studiengang fokussiert sich im Spannungsfeld ökonomischer, ökologischer und sozio-ökonomischer Ansprüche der Gesellschaft an das Ökosystem Wald auf das breite Spektrum verschiedener Ziele nachhaltiger Waldbewirtschaftung und stellt die Sicherung bzw. Verbesserung aller Waldfunktionen in den Mittelpunkt der Ausbildung. Es kann vermutet werden, dass Prof. Ibisch den hochschulüblichen Weg zu einer Veränderung des Studiengangs im Sinne seines „aktuellen Ökosystemverständnisses“ - durch konstruktive Diskussionen innerhalb des Fachbereichs - aufgegeben hat und daher den Studiengang „ökologische(re) Waldbewirtschaftung“ einrichten möchte.
Würden beide Studiengänge am Fachbereich durchgeführt, hätte dies eine Spaltung zur Folge: In Studierende im SG Forstwirtschaft, die (nach Meinung von Prof. Ibisch schon aktuell) keine ausreichend ökologisch fundierten Lehrinhalte für ihre Tätigkeit im und mit dem Wald erhalten, und in Studierende im neuen SG „ökologische Waldbewirtschaftung“, die durch das „aktuelle Ökosystemverständnis“ die besseren Waldbewirtschafter werden. Und das soll keine Konkurrenzsituation sein? Wie würden sich die Studierenden des SG Forstwirtschaft fühlen? Zudem wird damit unterstellt, dass die Lehrenden im Studiengang Forstwirtschaft die falschen und veraltete Inhalte vermitteln.
Fügt man die Puzzle-Steine zusammen, die von den Befürwortern seit einiger Zeit vollmundig in die Medienlandschaft gestreut werden, so sollten sie zur Darlegung ihrer eigentlichen Absichten den geplanten Studiengang „Waldnaturschutz durch Nutzungs- und Konsumverzicht“ nennen.
Dann wäre endlich klar, worum es wirklich geht: die Definition eines Feindbildes (Förster /Forstwirtschaft) ist identitätsstiftend für die eigene Gruppe und führt durch vermeintlich wertvollere moralische Ansprüche zur Überhöhung der persönlichen Position.
Prof. Dr. Martin Guericke Prof. Dr. Andreas Linde
Prof. Dr. Harald Schill Prof. Dr. Wolf-Henning von der Wense
David J. Green (Samstag, 03 April 2021 19:44)
Als reiner Mathematiker kann ich inhaltlich kaum zur aktuellen forstwissenschaftlichen Auseinandersetzung beitragen. Eventuell sind aber ein paar Reaktionen eines Außenstehenden hilfreich.
Herr Ibisch berichtet von der HNEE, dass Hochschulleitung und Fachbereichsleitung seine Idee vom neuen Studiengang unterstützten, aber die Ablehnung im restlichen Fachbereich dermaßen stark war, dass der Fachbereichsrat das Thema nicht einmal diskutieren wollte. Nach meinem Verständnis von akademischer Selbstverwaltung ist das eine abschließende Absage an das Projekt – und wer dann die Idee trotzdem im Rahmen eines drittmittelfinanzierten Forschungszentrums weiterverfolgt, setzt sich über das Prinzip hinweg, dass die Lehre von den Fachbereichen ausgeht.
Bei der gemeinsamen Erklärung der Forstwissenschaften-führenden Hochschulen dagegen weist Herr Wiarda zurecht auf die unklare Zuständigkeiten für die Unterschriften hin. Die HNEE-Studiengangsleitung ist vermutlich eine Einzelperson, ansonsten weckt aber die Erklärung der Eindruck, es liegt an jeder Hochschule einen Fakultätsrats- oder Senatsbeschluss vor, die Erklärung zu unterzeichnen: stimmt das aber wirklich? Wie man es redlicher macht, zeigt z.B. das Memorandum der HochschulratsVORSITZENDEN der ostdeutschen Universitäten (Jan 2020).
Einerseits bin ich sehr froh über den Wert, den das Bundesverfassungsgericht auf die Wissenschaftsadäquanz hochschulpolitischer Strukturen legt. Unter gewissen Umständen aber kann dies den Fortschritt aufhalten: Sind (fast) alle Professor:innen des Faches A der Auffassung, dass die neue Sichtweise B zu ignorieren sei, dann können sie dafür sorgen, dass auch künftig nur jene A-Wissenschaftler:innen berufen werden, die die B-Sichtweise ignorieren. Solange keine externe Begutachtung durch international führende Fachvertreter:innen erfolgt, geht das auch dann gut, wenn die B-Sichtweise sich soweit durchgesetzt hat, dass man in gar keiner internationalen Zeitschrift veröffentlichen kann, ohne die B-Sichtweise zu berücksichtigen. Insofern hätte ich – als das Kommentar von Herrn Ammer noch nicht vorlag – den Unterstützern der gemeinsamen Erklärung dringend empfohlen, Stellung zu Herrn Ibischs Behauptung zu nehmen, „dass deutsche Einlassungen zum Wald vieles ignorieren oder ausblenden, was international publiziert wird“: ich will mich aber darauf verlassen, dass die DFG keine Graduiertenkollegs in Fachrichtungen hineingibt, die von der internationalen Forschungsszene abgeschnitten sind.
Wer sollte die Entwicklung eines wissenschaftlichen Faches lenken dürfen? Der Idealist in mir sagt, dass jede Richtungsänderung aus der Wissenschaft selbst kommen müsste. Aber auch Wissenschaftler:innen sind nur Menschen, die gelegentlich sogar die persönlichen Interessen vor der Sache der Wissenschaft stellen, ferner nimmt die Gesellschaft als Geldgeberin ein weitreichendes Gestaltungsmacht für sich in Anspruch. Aber welche gesellschaftliche Akteure? Die Landespolitik zweifelsohne. Die Wirtschaft genießt inzwischen ein gewisses Gewohnheitsrecht, nur der Fall der JGU Mainz und der Boehringer-Ingelheim-Stiftung wird als Grenzüberschreitung gewertet. Bei anderen Akteuren ist es weniger klar, Anfang 2020 gab es Streit wegen geplanter Stiftungsprofessuren am Konfuzius-Institut an der FU Berlin. Im vorliegenden Fall geht es um die Gegenleistung für Stiftungsprofessuren von einer populärwissenschaftlichen Zeitschrift: einerseits höre ich recht ungern, dass die Zeitschrift Studiengangsinhalte vorgeben möchte, dieser unangenehmer Eindruck wird aber stark durch das selbstloses Einsetzen der privatwirtschaftlichen AGDW für die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre relativiert.
Die Namen Möller und Dengler waren mir bislang unbekannt. Falls nicht bereits geschehen fände ich es wertvoll, wenn jemand die Umstände und Hintergründe von Möllers Abberufung wissenschaftlich aufarbeiten könnte.
Werner Krempe (Sonntag, 04 April 2021 12:20)
Als fachfremder Vertreter hat man natürlich einige Probleme, sich bei dieser ziemlich verbissen geführten
Fachdebatte zu orientieren. Man kennt aber Herrn Ammer als sehr ehrlich und anständig wirkende Person etwa im alten Senat der Universität Göttingen und bei den leidigen Problemen bei der dortigen Präsidentenwahl.
Andreas Bolte (Montag, 05 April 2021 20:07)
In seinem Gastbeitrag liefert Pierre Ibisch durchaus interessante Ansätze zu einem möglichen Diskurs über eine neue Lehr-Elementen wie Ökosystemethik und Ökohumanismus, die spannend wären zu diskutieren. Allerdings liefert er zusätzlich über weite Strecken einen Rundumschlag gegen bzw. ein breites Vorwurfs- und Klagelied über diverse Gruppen, Personen und Akteure aus der Forstwirtschaft und Forstwissenschaft, die ihn kritisieren oder aus seiner Sicht falsch verstehen. Ich selbst werde dabei auch namentlich genannt. Es wäre für die Sache m. E. sehr wichtig, dass der Autor aus seiner sich auferlegten Opferrolle herausfindet und bestehende Diskussionsangebote aus verschiedenen Richtungen annimmt.
Da ein Twitter-Tweet von mir zur Frage der ausreichenden Beteiligung der Professorenschaft an der Studiengangskonzeption m. E. in einen falschen Kontext gestellt wurde, erlaube ich mir folgende Bemerkung hierzu:
Die Diskussion um die Einrichtung des Studiengangs war, wie detailliert im Kommentar #10 von den HNE-Profes. Linde, Schill, Guericke und v. d. Wense dargestellt, im Hinblick auf die Zielhochschule nicht offen gestaltet, sondern zielte klar auf die Etablierung des Studienganges an der HNE Eberswalde ab (s. auch #2 von Hannes Knapp). Sonst wäre auch der aufgebaute Zeitdruck zwischen Zirkulation des Konzeptpapiers und der beantragten und letztlich gescheiterten Abstimmung im Fachbereichsrat (FB) von ca. drei Wochen überhaupt nicht zu erklären. Dass die Professor*innen eine so kurze Beteiligungsfrist mit zwingender Beschlussfassung am Ende gerechtfertigt als nicht ausreichenden Beteiligungsprozess für den Grundsatzbeschluss zur Einrichtung eines komplett neuen Studiengang ansahen, vertrete ich weiter. Das jetzt initiierte Drittmittelprojekt stellt m. E. die alternative Planung im Nachgang dar, wobei mir nicht einleuchtet, warum ein Studiengang von Mitgliedern eines einzelnen, isolierten HNE-Centers (mit eigentlich anderen Aufgaben) im Rahmen ihrer beauftragten Tätigkeiten geplant wird und dann ggf. an einer konkurrierenden Hochschule etabliert wird?! Eine unübersichtliche und wenig transparente Lage aus meiner Sicht. Ein positives Gegenbeispiel für die Etablierung eines neuen Studienganges liefert der von Pierre Ibisch erwähnte und ohne sein Zutun im Jahr 1998 etablierte Studiengang "International Forest Ecosystem Management (IFEM)". Hier erfolgte IM VORFELD DER ERSTKONZEPTION eine gelungene und umfassende Beteiligung von Akteuren mit einer offenen, mehrmonatigen Diskussion von grundsätzlichen Lehrinhalten und Beteiligungen, damals übrigens auch mit den engen HNE-Kooperationspartner Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE) und des Thünen-Instituts (TI), für das ich damals Beiträge liefern durfte. Warum war dies hier nicht möglich gewesen ist, bleibt eine offene Frage an die Initiatoren und potenziellen Förderer des geplanten Studiengangs.
Andreas Bolte, Thünen-Institut für Waldökosysteme
Kai-Birger Sünram (Dienstag, 06 April 2021 16:26)
1/2
Ich möchte die Gelegenheit nutzen mich auch zur "Causa" eines möglichen neuen ökologischen Waldstudienganges äußern. Ich beobachte die Diskussion mit allen ihren Auswüchsen schon länger und möchte meine Schlussfolgerungen darlegen. Die Debatte ist nun also hierhin verlegt worden. Über die inhaltlichen Punkte ist schon viel gesagt worden. Wenig behandelt wurde jedoch eine Kernfrage, nämlich wie ein zukünftig steigender Holzbedarf infolge einer steigenden Weltbevölkerung gedeckt werden kann. Welche Alternativen stehen außer einer Suffizienz bereit?
Bemerkenswert für mich ist der nahezu missionarischer Eifer, mit welchem Herr Prof. Ibisch und Herr Wohlleben vehement um ihre "Sache" werben. Wie hier bereits messerscharf erkannt wurde, ist dafür nun ein „neues“ Leitbild geschaffen worden. Dieses Leitbild zeichnet sich durch eine Verortung eines moralisch überlegenen Konzepts, nämlich einer „guten“ ökologischen Waldbewirtschaftung im Gegensatz zu einer „bösen“, als konventionell bezeichneten Waldbewirtschaftung aus, die gleichsam paradigmenartig mit Plantagen- und Altersklassenwirtschaft gleichgesetzt wird.
Augenfälligstes Attribut dieses Konzeptes ist gleichzeitig eine Einteilung in verschiedene Lager und eine Vereinfachung von Antworten auf unbestritten dringliche Fragen und komplizierte Herausforderungen unserer Zeit! Antworten, welche Herr Prof. Ibisch im Rahmen meines Studiums der Forstwirtschaft in Eberswalde den fragenden Studenten und Studentinnen schuldig gebliebenen ist. Eine wirklich innovativer und der Zukunft zugewandter Ansatz in der Beantwortung dieser Fragen steht nach wie vor aus.
Für kompromissfähige Lösungen, wie sie in einem Studiengang Forstwirtschaft erarbeitet werden könnten, bleibt Herr Prof. Ibisch in seinen Lehrveranstaltungen mehr als nebulös.
Hier wird lediglich das Argument der Stilllegung des Waldes bzw. der Herausnahme aus einer möglichen Nutzung ins Feld geführt. Die Argumentation beschränkte sich in meiner Wahrnehmung lediglich auf die Generierung eines Untergangsszenarios unserer Welt. Wo bleibt die Fähigkeit, vernunftbegabt auf die Herausforderung mit menschlicher Logik und Innovationsfähigkeit zu reagieren? Aber gerne lasse ich mich eines Besseren belehren.
Zwei Lager nun, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit und natürlichen Widersprüchlichkeit so antagonistisch gegenüberstehen, dass die Auflösung des „Konfliktes“ nur mit dem Verlassen der Bühne eines der beiden Lager beendet werden kann: die Beibehaltung eines konventionellen, von profitorientierter Bewirtschaftung und Ausbeutung getriebenen Waldbewirtschaftungssystems einerseits oder das Überleben des Planeten mit seinen Ökosystemen durch Stilllegung anderseits, um nicht weniger soll es gehen.
Damit wird ein weiteres Merkmal dieses „Öko“-Konzeptes erkennbar. Es lebt in seiner Prägung inhaltlich von der Generierung eines Feindbildes. Ein Feindbild, welches sich jeder bequem zu eigen machen kann, um damit überlegen und unangreifbar auf der richtigen, auf der „guten“ Seite zu stehen. Wer hat schließlich keine Argumente gegen eine maßlose Holzindustrie, einen Raubbau an der Natur und gegen die Protagonisten, welche für diese ausufernde weltweite Entwicklung verantwortlich sind? Doch sind das hier namentlich die Förster und Försterinnen und die Waldbesitzer und Waldbesitzerinnen in Deutschland? Ist dieses Feindbild uneingeschränkt auf Mitteleuropa anwendbar? Die positiven waldzuständlichen Veränderungen allein in den letzten dreißig Jahren werden komplett negiert. Viele Wälder sind durch unermüdliche Bemühungen mittels Pflege in diversere Zustände gebracht worden. Der Mensch ging hier Hand in Hand mit der Natur.
Der faktische Klimawandel wird hier in keiner Weise verleugnet, sondern als harter Gegenspieler in diesen Bemühungen wahrgenommen.
Auffällig ist weiterhin, dass die von Herrn Prof Ibisch geführten Antworten auf Fragen in belegten Fällen die Sachebene verlassen und auf einer persönlichen Ebene weitergeführt werden. Damit ist ein mantraartig vorgetragenes Argument von Herrn Prof. Ibisch in sich selbst ad absurdum geführt, nämlich das der logischen und wissenschaftlichen Argumentation. Eine Spaltung ist die Folge.
Addiere ich meine Schlussfolgerungen zusammen, verdichten sich die Merkmale dieses Leitbildes hin zu einer Ideologie. Wie kann aber ein möglicher offener Diskurs mit Ideologen stattfinden? Zumindest nur schwer logisch.
Kai-Birger Sünram (Dienstag, 06 April 2021 16:27)
2/2
Fasse ich also den für mich im Zeitgeist sehr „modernen“, ja geradezu populistischen Gesamtkontext dieser neuen ökologischen Argumentation zusammen, komme ich unweigerlich zu einem klaren Bild. Ich denke, dass persönliche Interessen beider Wortführer verbunden mit einer möglichen Veränderung der Großwetterlage in Berlin der Schlüssel zur Erklärung dieses Phänomens sind, welche unter dem Deckmäntelchen der Weltenrettung firmieren. Die Zeit wird die Antworten geben…
Ein Fun-fact zum Schluss:
Der immer wieder angeführte Vergleich mit Herrn Professor Möller ist insofern von Interesse, da dieser nachweislich auch für eine moderate Nutzung des „Organismus Wald“ eben auch im Zuge wirtschaftlicher Interessen stand. Ihm war natürlich klar, dass jeder Eingriff in diesen Organismus eine Neuordnung desselben zur Folge hat und Konsequenzen entstehen, welche bedacht werden müssen.
Geht es den Wortführern hier wirklich um den Wald oder geht es darum eine Revolution zu veranstalten? Ich meine: Letzteres! Kompromissorientierte, sachliche Lösungen müssen aber unter der Beteiligung aller Stakeholder gefunden werden!
Kai-Birger Sünram
Eberswalde im April 2021
Jens Schröder (Dienstag, 06 April 2021 16:56)
Ich möchte nicht in den Verdacht geraten, die oben (Kommentar #5) vom GEO-Chefredakteur Jens Schröder geäußerten Standpunkte zu teilen, und weise deshalb darauf hin, dass wir zwei verschiedene Personen mit demselben Namen sind.
Prof. Dr. Jens Schröder, Fachgebiet Waldökologie/Waldbaugrundlagen, Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde
Jens Schröder (Mittwoch, 07 April 2021 15:03)
Lieber Jens Schröder, das hatte ich auch noch nicht, dass jemand nicht in den Verdacht geraten möchte, ich zu sein. Nix für ungut, und bei aller Ernsthaftigkeit des Themas und der Auseinandersetzung: Vielleicht ist dies der Moment, in dem wir auch mal gemeinsam schmunzeln dürfen. Ich tue es jedenfalls. Mit Grüßen.
Erwin Hussendörfer (Donnerstag, 08 April 2021 23:52)
„Hier Fichtenacker, da Naturwald? Zur Diskussion um einen Studiengang für
ökologische Waldwirtschaft -- pointierte Marketingkampagne oder hilfreiches
Angebot?“ So titelt die „gemeinsame“ Erklärung der Hochschulen und Universitäten mit forstlichen Studienangeboten in Deutschland.
Hinsichtlich der „Gemeinsamkeit“ sei mir der Hinweis erlaubt, dass dies nicht per se bedeutet, dass auch alle Mitglieder der genannten Hochschulen diese Erklärung unterstützen. Ich distanziere mich nachdrücklich sowohl vom Prozedere als auch von den Inhalten der Erklärung!
Natürlich ist es erfreulich zu sehen, dass ökologische und naturschutzrelevante Forschung und Lehre zunehmend eine Rolle spielen, aber genügt es tatsächlich schon, daraus den Anspruch abzuleiten, einen Studiengang „Ökologische Waldbewirtschaftung“ in dieser Form zu hinterfragen?
Vergleicht man die Studiengänge der unterzeichnenden Institutionen, so wird doch offensichtlich, dass die meisten tatsächlich „Forstwirtschaft“ im Fokus ihrer Ausbildung haben: „Hochschule für Forstwirtschaft“. Studiengänge wie z.B. ein M.Sc. Forstwissenschaft werden beworben mit: „verbindet fundiertes Fachwissen mit angewandter Praxis um die aktuellen Anforderungen an zukünftige Forstexperten bestmöglich zu vermitteln.“ Warum bilden wir nicht an Hochschulen für Waldwirtschaft aus und nennen unsere AbsolventenInnen nicht WaldexpertInnen?
Eigentlich – so in der Erklärung – tun wir das schon seit Jahrzehnten, es gibt doch immerhin ein Lehrbuch „Waldbau auf ökologischer Grundlage“ mittlerweile in der 8. Auflage mit dem Ziel: „…liefert das moderne Lehr- und Handbuch Studierenden der Forstwirtschaft das komplette Handwerkszeug des Waldbaus: …!“, unter anderem auch diese Kapitel: Forstlich wichtige Baumarten, Forstprodukte, Verfahren der Bodenbearbeitung, Baumklassen, Ziele der Walddüngung, Umformung von Niederwald/Mittelwald in Hochwald, Kahlschlag, Saumschlag, etc.! Kapitel zur Bedeutung und Funktionalität von wichtigen ökologischen Faktoren in Wäldern wie Totholz oder Mykorrhiza und Informationen zur Struktur und Dynamik von Naturwäldern als Grundlage einer ökologischen Waldbegleitung mit z.B. langen Prozessschutzphasen („aktives Nichtstun“) finden sich hingegen nicht. Allein schon die Aussage, dass Totholz u.a. „durch die Erhöhung der Umtriebszeit angereichert werden kann“, zeigt doch wie sehr die ökologischen Grundlagen noch im Altersklassenwald-Denken festgelegt sind. Ökologie kennt keine Umtriebszeit! Auch wenn das zitierte Waldbau-Buch seit Jahrzehnten scheinbar die ökologischen Grundlagen lehrt, ist immer noch keine Totholztradition in der Nutzung unserer Wälder erkennbar, obwohl in vielen Studien Totholz als wichtiger game changer im Zusammenhang mit Kohlenstoffspeicherung, Biodiversität, Nährstoff- und Wasserkreisläufen etc. benannt ist!
Fortsetzung: nächste Seite!
Erwin Hussendörfer (Donnerstag, 08 April 2021 23:53)
Fortsetzung:
Möglicherweise hat das ökologische Verständnis der Funktionalität von Wäldern ebenso zugenommen, wie die daraus abgeleiteten Erkenntnisse für die Waldbewirtschaftung und den Naturschutz. Aber warum werden dann nach wie vor in unseren Wäldern große Mengen an Pestiziden eingesetzt, wie es z.B. Greenpeace für Baden-Württemberg mit dem Beitrag „Giftattacke auf Wälder“ auch zahlenmäßig belegt hat? Wieso ziehen nach wie vor tonnenschwere Maschinen scheinbar schwebend aber systematisch (Demarkations-)Linien durch „Bestände“, die wie ökologische Barrieren im Ökosystem wirken, aber dezent als „Feinerschließung“ betitelt werden? Obwohl die Fachbehörden intensiv darauf hinweisen, dass die Mehrzahl der angebotenen „Wuchshilfen“ enorme Risiken zur Einbringung von Mikroplastik bilden, werden sie im ganzen Land hektarweise zu 100tausenden ausgebracht! Nicht-heimische Baumarten werden ohne ökologische Verträglichkeitsprüfung propagiert und gepflanzt , und damit auch ohne Rücksicht auf die heimischen Waldlebensgemeinschaften – immerhin ist im „Waldbau auf ökologischer Grundlage“ dazu zu lesen: bei daraus heranwachsenden Forsten handelt es sich um Plantagen!
Ist entsprechend dieser Beispiele (die Liste wäre verlängerbar!) die Aussage in der Erklärung „Wer vor dem Hintergrund dieser etablierten Studieninhalte, die „ökologische Waldwirtschaft“ als ein neues, dringend notwendiges Programm ausruft, hat das Bestehende nur unzureichend recherchiert.“, nicht zu differenzieren? Zum einen: wer das Bestehende recherchiert hätte, hätte feststellen können, dass die „Ökologische Waldwirtschaft“ kein neues Programm ist, sondern bereits seit Jahrzehnten durch einen Privatwaldbesitzer, Hermann Graf Hatzfeldt, benannt wurde und praktiziert wird. Zum anderen: müssen wir nicht Studierenden die Möglichkeit bieten, über die „forstlich etablierten“ Studieninhalte hinaus, andere Ideen und Strömungen kennen und vergleichen lernen? Insofern sollten wir den Prozess zur Etablierung eines solchen Studiengangs doch offen begrüßen und unterstützen und uns nicht dagegen wehren. Ich bin sicher, dass ein Studiengang mit einem bislang nicht-etablierten Denkansatz zur Waldbewirtschaftung auch inspirierend für die Lehre sein wird und freue mich für jeden Studierenden der dieses Angebot erfahren darf – ich wäre als Student darüber höchst erfreut gewesen!
Prof. Dr. habil. E. Hussendörfer
HSWT Freising
Kai-Birger Sünram (Samstag, 10 April 2021 08:56)
Guten Morgen,
ich gebe hier folgenden Artikel in die Runde :
https://www.geo.de/natur/oekologie/24043-rtkl-waldwende-geo-entwickelt-neuen-studiengang-oekologische
aus diesem sollte sich jeder hier seine Schlussfolgerungen über die Motive und "wahren" Hintergründe zur möglichen Etablierung eines ökologischen Studienganges herleiten !
Axel C. W. Mueller (Montag, 12 April 2021 22:03)
An deutschen Hochschulen lernen ja Studierende aus vielen Ländern und unsere Hochschulen legen auch Wert darauf, international aufgestellt zu sein. Welche ökologischen Konzepte verbindet das Studium mit den Erkenntnissen und Erfahrungen der Anlage von "Wäldern" in der Sahelzone? Welche Erfahrungen vermitteln unsere ökologischen Hochschullehrer nach den Hochtemperaturjahren in der russisch-sibirischen Taiga? Inwieweit gehen in die Ausbildung unser Forst-Ökologen die weltweiten Fragestellungen ein? Wo ist die Ausrichtung auf die weltweiten Veränderungen der Ökosysteme an den Brennpunkten ökologischer Veränderungen und von Stress gebeutelten Naturräumen? Die Studenten wollen in all den Fragen Angebote bekommen. Der Horizont der Erwartungen liegt weit da draußen, Fridays for future hat diese Erwartungen an Politik und Wissenschaft gerichtet, ohne sich in kleinlichen Kämpfen zu erschöpfen.
Charlotte Müller (Sonntag, 14 November 2021 19:17)
Erzählt Herr Ammer eine wahre Geschichte vom forstwissenschaftlichen Studium an der Universität Göttingen? Der Professor ist der Ansicht, Wortlaut und Inhalt der Erklärung der forstlichen Hochschulen und Universitäten würden in Göttingen auf einem demokratischen Fuß stehen. Was soll ich dazu sagen, ich, die als Studierende des zitierten Studienganges nicht einmal von der Erklärung erfahren habe? Ich, die den Studiengang „Forstwissenschaften und Waldökologie“ vollumfänglich und detailliert durchlebt habe, mitten im Geschehen war und meinen Fokus drei Jahre lang zu 100 % auf ihn ausgerichtet habe? Gleichzeitig erklärt Herr Ammer, nur wer einen Studiengang „gut kenne“ und einen „ungefähren Überblick“ über dessen Inhalte habe, könne beurteilen, inwiefern „das Primat der Ökologie beim Wirtschaften mit dem Wald“ vermittelt wird – und nimmt selbiges für sich in Anspruch. Seine und meine Ansichten gehen aber eklatant auseinander.
Herr Ammers Kolleg*innen lehrten demnach „ökosystemar“ – ach, echt? Auch in den Fächern forstliche BWL, Holztechnologie und Holzernte/Logistik? Herr Ammer, saßen sie in einer solchen Vorlesung schon mal drin und haben die „Ökosytemarität“ bilanziert? Sie geht gegen null. Da mag es im Curriculum auch irgendwo versteckt eine 3-ECTS-Vorlesung zum Thema Naturschutz geben, aber darum geht es ja eben nicht – die Fachbereiche müssen ineinander greifen. Interdisziplinär heißt, ein Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten und dann auch nach integrierten Lösungen zu suchen, nicht, verschiedene Fächer und Sichtweisen aneinanderzureihen (und dann doch wieder den nicht-ökosystemaren Fächern den Hauptanteil zu gewähren – zählen Sie die ECTS-Punkte doch mal nach). Das tolle neue Waldökosystem-Forschungszentrum, das tolle interdisziplinäre Graduiertenkolleg? Ist ja schön, aber davon habe ich im Rahmen der Lehre leider nichts mitbekommen. „Forschungsbasierte Lehre“ – das hieß in Göttingen vor allem, wahllos aneinandergereihte feinstdetaillierte Forschungsergebnisse ohne Hintergrundinformationen, übrigens oft auch ohne eine wissenschaftliche Zitation(sweise), an die Wand zu werfen. Wo ist der Gesamtzusammenhang, wie sollen wir solche Details einordnen, vernetzen und anwenden? Wo Herr Ammer doch selbst einsieht, dass „komplexe Systeme sich der exakten Berechenbarkeit entziehen“. Das komplexe System, wir wissen doch nicht mal, von was wir hier sprechen – wir waren ja in der Lehre kaum draußen im Wald. Wissenschaftlich und gesamtheitlich, das heißt auch, Dinge zu hinterfragen, zu diskutieren, zu verbinden und vernetzen, genau zu analysieren. Ist das in den Vorlesungen passiert? Nein – überwiegend haben wir Fakten auswendig gelernt und später in einer Klausur Kreuzchen gesetzt. Die „Wissenschaftlichkeit“, mit der sich besonders die universitären Studiengänge gerne abheben – was ich so erlebt habe, ein relativ inhaltsloser Euphemismus. Und Herr Ammers Vorlesung selbst? Auch hier gehen unsere Wahrnehmungen und Urteile auseinander. Es beginnt schon beim Titel: 2018 hieß seine Vorlesung mitnichten „Waldbau: Bewirtschaftung und Schutz von Wäldern“ sondern schlicht und ergreifend „Bewirtschaftung von Wäldern“. Obwohl das Argument von wegen „es heißt ja …öko…“ sowieso mehr als lächerlich ist. Im Kapitel „ökologische Grundlagen“ reitet Herr Ammer 96 von 104 Folien auf dem Prinzip der „Konkurrenz“ herum, dann geht es noch 6 Folien um „Urwalddynamik“. Schon in der kurz darauf folgenden Bestandesbeschreibung ist die Ökologie vergessen, es geht um Schäden am Holz und Bonitäten. In den restlichen Kapiteln („Waldbauliche Maßnahmen“, „Vielfalt des Waldbaus und Baumartenmischung als Schlüsselelemente“) tritt die Ökologie vor allem dann in Erscheinung, wenn sie die gelehrten und praktizierten Ansätze untermauert. Das also ist „ganzheitlich“ und „systemisch“ und „interdisziplinär“.
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Charlotte Müller (Sonntag, 14 November 2021 19:18)
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Achso! Ist die gemeinsame Erklärung am Ende dann etwa doch eine hysterische Reaktion auf einen „Angriff“, dem man sich verwehren muss, weil sonst schlafende Hunde geweckt werden und Diskussionen vom Zaun brechen? Weil dadurch vielleicht sogar schon vermutete, aber noch längst nicht eingestandene Missstände ans Tageslicht kommen? Weil dann am Ende vielleicht auch noch eine Veränderung winkt? Mir geht es überhaupt nicht darum, das eine ins positive und das andere ins negative Licht zu rücken. Aber mich nervt, dass die Studiengangsinitiative in Göttingen nicht zum Anlass genommen wird, sich vor allem mal ganz stark selbst zu hinterfragen, bevor nach außen mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Meine Liste an Kritikpunkten zu diesem Studiengang, den ich bis in Tiefen hinein kennengelernt habe (und wo aus meiner Sicht noch viel gravierendere Probleme als das Öko-Thema bestehen), würde einen dicken Wälzer füllen – aber man fragt nicht einmal danach. Nicht die Initiatoren des neuen Studienganges, sondern Herr Ammer selbst sollte mit einer „ehrlichen Bestandsaufnahme“ bei seiner eigenen Lehre und in seinem eigenen Verantwortungsbereich eines schon bestehenden Studienganges beginnen. Und wenn ihm nicht nach An-die-eigene-Nase-fassen und Selbstkritik ist, dann sollte er sich wenigstens nicht denjenigen in den Weg stellen, die es anders und besser machen (wollen).
Charlotte Müller, Absolventin B. Sc. Forstwissenschaften und Waldökologie (Universität Göttingen), Abschlussjahrgang 2021