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Kein normales Stipendium

Der Deutsche Akademische Austauschdienst will pro Jahr 50 bedrohte Studierende und Promovierende nach Deutschland holen. DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee über ein besonderes Hilfsprogramm, Hürden für den internationalen Austausch und die Debatte um die künftige Wissenschaftsfinanzierung.

Joybrato Mukherjee ist Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) und Präsident der Universität Gießen. Foto: DAAD_Wilke.

Herr Mukherjee, wer war Hilde Domin?

 

Hilde Domin war eine deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin, die ab 1929 unter anderem in Heidelberg, Köln, Bonn und Berlin studierte und 1932 zum Auslandsstudium nach Italien gegangen ist. Da Hilde Domin jüdischen Glaubens war, kehrte sie nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten nicht mehr nach Deutschland zurück. 1939 mussten sie und ihr Mann Italien wegen der dortigen Rassengesetze verlassen und kamen über England und Kanada in die Dominikanische Republik. Seit 1954 lebte und publizierte Hilde Domin dann wieder in Deutschland und wurde als Vertreterin des "ungereimten Gedichts" weltbekannt. Sie liegt in Heidelberg begraben.

 

Nach Hilde Domin ist ein neues vom Auswärtigen Amt finanziertes DAAD-Stipendienprogramm für bedrohte Studierende und Promovierende benannt, denen in ihrem Herkunftsland das Recht auf Bildung verweigert wird. An welche Länder denken Sie da?

 

Erst einmal finde ich, dass das Programm keine bessere Namensgeberin haben könnte als Hilde Domin – in ihrem Verfolgtsein, aber auch in ihrem Mut, trotzdem ihren Weg zu gehen. Wenn man sich heute den Academic Freedom Index anschaut, findet man dort eine Reihe von Ländern, in denen Wissenschaftlerinnen, Wissenschaftler und Studierende sich in ernster Gefahr befinden. Sie alle kommen für ein Hilde Domin-Stipendium und einen Aufenthalt in Deutschland in Frage. Aktuell ist das Programm besonders unter dem Eindruck der Entwicklungen in Belarus entstanden. Aber wie gesagt: Es ist ein weltweites Programm, wobei Studierende aus EU-, EWR- und EFTA-Ländern ausgeschlossen sind.

 

Ist das nicht zu eng gedacht? Was ist zum Beispiel mit Studierenden aus dem EU-Land Ungarn?

 

Grundsätzlich muss für ein Stipendium der Nachweis geführt werden, dass Studierende an der Wahrnehmung ihrer Bildungschancen gehindert werden und – vor allem – dass ihnen Gefahr für Leib und Leben droht. Genau wie das für verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gilt, die über die Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) nach Deutschland kommen. Was Ungarn und die gesamte EU angeht, gehen wir zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass dort die rechtstaatlichen Standards so weit gelten, dass Studierende wegen ihrer Fächerwahl nicht in gleicher Weise repressiv behandelt werden, wie das etwa in Belarus oder Syrien der Fall ist. Aber natürlich beobachten wir die Lage genau, und wenn sie sich in einem EU-Mitgliedstaat fundamental ändern sollte, werden wir uns mit dem Auswärtigen Amt verständigen.

 

Glauben Sie, dass überhaupt viele verfolgte Studierende kommen werden? Gehört zu ihrer Bedrohung nicht auch, dass sie gar nicht in der Lage sind, sie offen einzuräumen und sich für ein solches Programm zu bewerben?

 

Es ist ja nicht so gedacht, dass Studierende sich auf dieses Programm wie auf ein normales DAAD-Stipendium bewerben. Auch hier haben wir uns an der bewährten Praxis der Philipp Schwartz-Initiative orientiert. Soll heißen: Hochschulen und andere Institutionen, die sich zum Beispiel mit Menschenrechtsfragen beschäftigen, können Studierende nominieren und übernehmen zugleich Verantwortung für ihre Betreuung und Integration.

 

"Repressive Regierungen werden nicht erfahren,
dass Studierende für dieses
besondere Stipendium ausgewählt werden."

 

Warum sollten die betreffenden Länder die Studierenden überhaupt ausreisen lassen für ein Stipendienprogramm, das ihnen eine Missachtung der Menschenrechte bescheinigt? 

 

Wie bei der Philipp Schwartz-Initiative werden wir auch beim Hilde Domin-Programm nicht offen kommunizieren, welche Studierenden darüber gefördert werden. Repressive Regierungen werden also nicht erfahren, dass Studierende für dieses besondere Stipendium ausgewählt werden – was im Übrigen auch deshalb wichtig ist, um ihre im Heimatland verbleibenden Angehörigen zu schützen.

 

Eben haben Sie Belarus und Syrien als explizite Beispiele genannt, weitere Länder werden hinzukommen und in Berichten über das Programm erwähnt werden. Riskieren sie dadurch diplomatische Verwerfungen? 

 

Natürlich ist da ein Spannungsverhältnis zwischen der notwendigen internationalen Zusammenarbeit mit herausfordernden Partnerländern einerseits und Förderung von Menschen, die unter Drangsalierungen leiden, andererseits. Das müssen wir als DAAD aushalten – so wie es die AvH bei der Philipp Schwartz-Initiative aushält und die Bundesregierung aushalten muss bei der Gewährung von Asylanträgen für Menschen aus Ländern, mit denen wir dennoch zusammenarbeiten.

 

Wie werden sich die internationalen Studierendenzahlen insgesamt entwickeln dieses Jahr?

 

Das Interesse an einem Studienaufenthalt in Deutschland ist ungebrochen. Trotz Pandemie ist die Zahl der internationalen Studienanfänger in Deutschland vergangenes Jahr je nach Zählung nur um etwa 20 Prozent gesunken – viel geringer als zunächst befürchtet. Natürlich rechnen wir auch dieses Jahr mit einem deutlichen Rückgang im Verhältnis zur Vor-Corona-Zeit, was vor allem mit den aktuellen Reisebeschränkungen zu tun hat. Umgekehrt haben die Hochschulen ganz neue digitale Formate entwickelt, von einzelnen Modulen bis hin zu volldigitalen Studiengängen, die natürlich auch den internationalen Studierenden zur Verfügung stehen. Meine Hoffnung ist, dass wir zum kommenden Wintersemester, wenn die Impfungen weiter fortgeschritten sind, zu einer stärkeren Normalisierung an den Hochschulen und auch beim internationalen Studierenden- und Wissenschaftleraustausch kommen. 

 

DAAD und Hochschulrektorenkonferenz haben im vergangenen Herbst, teilweise offiziell, teilweise hinter verschlossenen Türen, die schleppende Abwicklung von Einreiseanträgen internationaler Studierender kritisiert.

 

Die Kapazitäten in den Botschaften und Generalkonsulaten sind pandemiebedingt stark reduziert, was zu einer deutlichen Verlangsamung bei der Bearbeitung von Visumanträgen geführt hat. Allerdings haben wir vom DAAD zu keinem Zeitpunkt Kritik am Auswärtigen Amt geäußert, weil wir sehr frühzeitig signalisiert bekommen haben, dass Studierende, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit ihren Anträgen priorisiert behandelt werden. Das haben wir sehr begrüßt und immer mal wieder daran erinnert, dass ein solches Vorgehen auch im größten Interesse Deutschlands ist. Das werden wir weiter tun. 

 

50 Studierende und Promovierende aller Fächer bis auf medizinische und künstlerische Studiengänge können in das Hilde Domin-Programm aufgenommen werden, sie bekommen ihre Lebenshaltungs- und Studienkosten finanziert, Promovierende zum Beispiel bis zu vier Jahre lang. Dafür zahlt das Auswärtige Amt bis 2027 8,6 Millionen Euro. Fürchten Sie, dass die Bundesregierung ansonsten am DAAD-Budget sparen wird in den nächsten Jahren?

 

Klar haben wir Sorgenfalten. Wer hat die nicht in dieser Zeit? Keiner weiß, wie es wirtschaftlich weitergeht. Sicher ist, dass die nächste Bundesregierung den aktuell geplanten Haushalt für 2022 nochmal komplett neu anpacken wird, und klar ist auch: Die Debatte um eine schnelle Rückkehr zur Schuldenbremse wird uns fordern. Doch wir haben gute Argumente für eine auskömmliche Wissenschaftsfinanzierung: Es ist die Forschung, die uns aus der Pandemie herausbringt – mit einem in Rekordzeit entwickelten Impfstoff und einer wissenschaftlichen Beratung der Politik und der Gesellschaft auf allen Ebenen. Außerdem zeigt die Krise, dass die großen globalen Probleme nur durch internationale Kooperation zu bewältigen sind. Zum Glück habe ich den Eindruck, dass viele Mitglieder des Deutschen Bundestages und auch die Verantwortlichen in den für uns zuständigen Bundesministerien all das sehen und anerkennen.

 

Dieses Interview erschien gestern in einer gekürzten Fassung zuerst in meinem Newsletter.


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