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Die Aufmach-Spirale

Endlich Bewegung: Ein Bundesland nach dem anderen öffnet die Schulen für den täglichen Präsenzunterricht. Doch was ist mit Berlin, Hamburg und NRW?

JETZT IST SIE da, die bislang vermisste Dynamik. Innerhalb der vergangenen paar Tage haben gleich vier Länder bekanntgegeben, dass sie noch vor den Sommerferien zum täglichen Präsenzunterricht für alle Schüler und Klassenstufen zurückkehren wollen. Solange die Inzidenzen das hergeben. Baden-Württemberg ab sofort. Bayern ab dem 5. Juni, Rheinland-Pfalz ab dem 21. Juni. Erst heute Nachmittag kündigte auch Brandenburg, das Land von KMK-Präsidentin Britta Ernst (SPD), an, "bei weiter guter Entwicklung" bald wieder jeden Schüler und jede Schülerin jeden Tag in den Unterricht zu holen.  

 

Damit sind diejenigen Länder, die trotz sinkender Corona-Zahlen dezidiert beim Wechselunterricht bleiben wollen, und zwar inzidenzunabhängig, plötzlich nur noch drei an der Zahl: HamburgBerlin und Nordrhein-Westfalen. Wobei in NRW die Rufe nach Lockerungen lauter werden. Ebenso im Saarland, wo es bislang auch noch keinen Wiedereinstiegs-Beschluss gibt, das Bildungsministerium jedoch gestern einen solchen für den 31. Mai in Aussicht gestellt hat. Auch Thüringen will ab 4. Juni voraussichtlich lockern.

 

Fast jedes Land
öffnet ein bisschen anders

 

Bereits seit dieser Woche haben Bremen und Mecklenburg-Vorpommern in allen Kreisen mit einer Inzidenz von unter 100 alle Grundschüler in den täglichen Präsenzunterricht zurückgeholt. Für die Älteren bleibt es bis unter 50 beim Wechselunterricht. Ähnliche Regeln gelten schon länger in Hessen und Sachsen – wobei in Hessen nach zwei weiteren Wochen stabil unter 100 auch die weiterführenden Schulen in den Präsenzunterricht dürfen. In Sachen wiederum sind viele Kreise faktisch noch weit von der 100 und erst recht von der 50 entfernt. Anders in Schleswig-Holstein, dem Land mit der seit längerem niedrigsten Inzidenz: Dort gehen seit vielen Wochen die meisten Grundschüler und inzwischen auch die meisten älteren Jugendlichen jeden Tag zur Schule.

 

In Niedersachsen sieht der neue "Stufenplan 2.0" vor, dass Schulen erst unter 50 in den vollen Präsenzunterricht gehen, das gilt auch für Grundschulen. Aber immerhin eine feste Regel. In Thüringen wiederum gilt selbst in den wenigen Landkreisen, die seit mehreren Tagen unter 100 liegen, weiter Wechselunterricht. Ausnahmen gibt es immerhin für Grund- und Förderschulen, die dann eingeschränkt täglichen Unterricht anbieten. Weitere Lockerungen sind laut Bildungsministerium für Anfang Juni anvisiert, wobei die Schulen in mehreren Kreisen wegen der Bundesnotbremse immer noch komplett dicht haben. 

 

Vollen Präsenzunterricht für alle gibt es derweil bei unter 100 bereits in Sachsen-Anhalt. Die dortigen Regeln entsprechen jenen, die ich in meinem Kommentar am Montag für alle Bundesländer gefordert habe. So weit gehen die meisten Öffner dann doch nicht, was die Gefahr eines Pingpongs zwischen Teil- und Vollöffnung bei Inzidenzen über bzw. unter 50 vor allem an den weiterführenden Schulen erhöht. 

 

Manche trauen ihrer eigenen Chuzpe offenbar auch noch nicht so recht – Rheinland-Pfalz zum Beispiel, das die Öffnungen zwar jetzt ankündigt, aber noch wochenlang hinauszögert. Oder Baden-Württemberg, das einerseits die Möglichkeit zum Präsenzunterricht unter 50, für Grundschulen sogar bis 100 ab sofort einräumt, doch den Schulen bis Pfingsten noch die "Option" lässt, ob sie dies bereits umsetzen wollen. Brandenburgs Kabinett wiederum verschob die konkrete Öffnungs-Entscheidung heute auf seine Sitzung nächste Woche. Britta Ernst sagte im Anschluss, diese Woche sollten die Inzidenzen noch beobachtet werden. "Bei weiter guter Entwicklung soll eine stufenweise Öffnung in den vollständigen Präsenzunterricht bis zu den Sommerferien auf den Weg gebracht werden." Die Schulen sollten dann ausreichend Vorlauf haben, um den Betrieb wieder hochzufahren.

 

Auf ihre Inzidenzen können sich die verbliebenen
Wechselunterrichts-Länder nicht berufen 

 

Trotzdem ist die Dynamik der vergangenen Tage bemerkenswert. Wie lange die vier letzten Wechselunterricht-Länder wohl noch bei ihrer Linie bleiben können? Fest steht: Ihre 7-Tages-Inzidenzen  (Hamburg laut RKI heute:42, Berlin: 63, NRW: 86) liefern keinen Grund dafür, die Kinder und Jugendlichen anders zu behandeln als im Rest der Republik. In Hamburg und Berlin gilt sogar eher das Gegenteil, sie liegen allesamt deutlich unter dem Bundesschnitt von 79.

 

Und auch das Argument, die Schulöffnungen würden die Zahlen wieder hochtreiben, lässt sich mit Hinweis auf Schleswig-Holstein eindeutig entkräften. Dort sind wie erwähnt die Grundschulen schon seit vielen Wochen überwiegend im täglichen Präsenzbetrieb, und je mehr Kreise unter die 50 rutschen, gilt das auch für die weiterführenden Schulen (demnächst überall bis auf Kiel). Parallel ist nicht nur die Landes-Inzidenz weiter abgestürzt, auch bei Kindern sanken die registrierten Neuinfektionen binnen vier Wochen von 143 auf 98 pro 100.000 Einwohner und sieben Tagen. Bei den Jugendlichen ging es laut Bildungsministerium sogar von 122 auf jetzt 82 runter.

 

Wobei man zusätzlich bedenken muss, dass die Inzidenzen im Vergleich zu den Erwachsenen durch die Pflichttests für Schüler ohnehin nach oben verschoben sind. Allein in Schleswig-Holstein wurden in der vergangenen Woche 329.248 Selbsttests an Schulen durchgeführt, von denen 129 bei Schülern und 18 bei Schulmitarbeitern positiv ausfielen. 

 

Die Zahlen zeigen jedenfalls: Die in Schleswig-Holstein und überall sonst geltenden Hygienemaßnahmen für den vollen Präsenzunterricht (unter anderem zweimal pro Woche Testpflicht, Masken) funktionieren. Vor allem erweist sich aber erneut: Sinkt das Infektionsgeschehen in der Gesamtbevölkerung, gilt das auch in den Schulen. Deren Offenhalten ist in diesem – direkten Sinne – eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Und ihre Wiederöffnung in den noch verbliebenen vier Ländern jetzt eine dringende politische. 



Nachtrag am 19. Mai:
Jetzt also auch NRW. Ministerpräsident Achim Laschet hat im Landtag mitgeteilt, dass ab dem 31. Mai wieder voller Präsenzunterricht an allen Schulen stattfinden soll – in allen Landkreisen, wo die 7-Tages-Inzidenz stabil unter 100 liege. Wie der WDR berichtet, sollen laut Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) die bisherigen Hygienevorgaben wie zum Beispiel die Maskenpflicht bestehen bleiben. Damit sind nur noch Berlin und Hamburg ohne Beschluss oder Ankündigung der Rückkehr zum vollen Präsenzunterricht. 

 

Anmerkung: Ich habe die zunächst fehlerhaften Angaben zu Thüringen und Niedersachsen korrigiert und bitte um Nachsicht.



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Kommentare: 3
  • #1

    Stephan (Mittwoch, 19 Mai 2021 22:28)

    Könnten Sie kurz eine Quelle angeben? Diese Zahlen sind sonst schwer zu finden (gibt es vergleichbare Zahlen für andere Bundesländer)?

    "Allein in Schleswig-Holstein wurden in der vergangenen Woche 329.248 Selbsttests an Schulen durchgeführt, von denen 129 bei Schülern und 18 bei Schulmitarbeitern positiv ausfielen. "

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Donnerstag, 20 Mai 2021 08:25)

    @stephan:
    Schauen Sie mal hier:
    https://schuldashboard.sh.polyteia.de/app/customer/infektionsmeldungen_an_schulen/testungen

    Dort finden Sie alle aktuellen Zahlen zu Schleswig-Holstein. Ist in der Form sehr vorbildlich aufbereitet im Vergleich der Bundesländer.

    Übrigens muss ich mich insofern korrigieren, dass die Angaben, die ich im Artikel angeführt hatte, nicht die der vergangenen Woche waren, sondern etwas ältere. Die KW 19 ist bislang mit knapp 150.000 Testungen in der Schule und 113 Positiv-Ergebnissen verzeichnet, davon 93 von Schülerinnen und Schülern.

    Die im Artikel erwähnten Zahlen hatte ich vom Bildungsministerium bekommen, allerdings für KW 17, was ich irrtümlicherweise für die vergangene Kalenderwoche hielt.

    Aktuell sind für KW 17 im Dashboard gut 311.000 Selbsttests in den Schulen verzeichnet und insgesamt 139 Positiv-Tests. Wie die leichte Differenz zu den Angaben aus dem Bildungsministerium zustande kommen, kann ich auf die Schnelle nicht klären. Das Bildungsministerium berief sich allerdings auch auf Polyteia als Quelle.

    Beste Grüße!

  • #3

    Stephan (Freitag, 21 Mai 2021 09:28)

    Danke! Das sind ja super spannende Daten. Ich wusste nicht, dass die in Deutschland verfügbar sind. Bisher hatte ich diese Zahlen nur für Österreich gesehen (dort sogar mit Angaben von positiven Tests die durch PCR bestätigt wurden).
    Interessant auch, dass in Deutschland nur wenig Interesse an den Daten zu bestehen scheint, jedenfalls konnte---ich ausser Ihrem Blog---praktisch keine Bezugnahme auf diese Zahlen finden. Spricht für Sie!