Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer ist weiter unter Druck. Offenbar stimmen Angaben nicht, die Fraunhofer dem BMBF für die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage gemacht hat. Und für Neugebauers Wirken als Hochschulratschef an der TU Chemnitz hält ein Gutachter persönliche Befangenheit für möglich.
Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer. Foto (bearbeitet): FhG.
"WENN FRAUNHOFER-PRÄSIDENT Prof. Reimund Neugebauer eine Konferenz besucht, einen Veranstaltungssaal betritt oder einen Vortrag hält, war einer meist schon vor ihm da", so beginnt ein Artikel in der Mitarbeiterzeitung der Fraunhofer-Gesellschaft: "der Fahrer des Präsidenten".
Der habe sich in der Regel schon einen genauen Überblick über den Ort verschafft: "Durch welche Eingangstür wird der Präsident gehen" zum Beispiel, "welches Personal wird ihn erwarten" und "wie sieht der mögliche Abfahrtsweg aus?"
Stolz blickt der Mann, der in der Mitgliederzeitung mehrfach als "Fahrer des Präsidenten" betitelt wird, in die Kamera, auf dem Foto schräg hinter ihm eine schwere Limousine, Typ Chefauto. "Ich stelle sicher, dass es keine Überraschungen gibt", wird Neugebauers Chauffeur zitiert.
Ein menschelndes Stück interner Unternehmenskommunikation, nett zu lesen, ansonsten belanglos? Nicht ganz, denn erst vor einer Woche hatte die Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Thomas Sattelberger nach eigenen Fahrern des Fraunhofer-Präsidenten geantwortet: "Es stehen ihm... keine eigenen Fahrer zur Verfügung; er nutzt bei Bedarf die Fahrbereitschaft."
Nur eine nicht
übernommene "Differenzierung?"
Die Antwort ist brisant. Weil sie erstens, siehe oben, faktisch nicht stimmt. Und weil das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das sie verschickt hat, sich zweitens bei der Angabe zu Neugebauers Fahrern nach eigenen Angaben auf die "Auskunft der Fraunhofer-Gesellschaft" verlassen hat.
Die Antwort war aber auch verwunderlich. Denn neben zahlreichen anderen Vorwürfen von Whistleblowern, denen FDP-Mann Sattelberger mit seiner Anfrage auf den Grund gehen wollte, gehörten explizit Berichte, Fraunhofer unterhalte für seinen Präsidenten nicht nur in Berlin, München und Dresden jeweils ein eigenes Büro, sondern Neugebauer stehe auch an jedem dieser Orte jeweils ein eigener Fahrer zur Verfügung.
Und dann sagt die Fraunhofer-Gesellschaft: Er hat nicht einmal einen eigenen Fahrer – obwohl sämtliche andere Präsidenten großer Forschungsorganisationen einen haben?
Auf Anfrage erklärt Fraunhofer-Sprecher Janis Eitner die Diskrepanz wie folgt: Der Artikel in der Mitarbeiterzeitung stelle "die Arbeit eines Fahrers vor, der ganz überwiegend für Prof. Neugebauer im Einsatz ist, jedoch auch andere Aufgaben aus dem Bereitschaftspool übernimmt. In die Antwort auf die Kleine Anfrage wurde diese Differenzierung nicht aufgenommen."
In der Mitarbeiterzeitung allerdings schon – und zwar mehrfach. Doch Bundestagsabgeordnete, die spezifische Vorwürfe klären wollen, verdienen diese Differenzierung, die in dem Zusammenhang nicht ganz unwichtig ist, nicht? Die Nutzung der Fahrbereitschaft "bei Bedarf" bedeutet nach Darstellung in dem Artikel der Einsatz eines Fahrers, der sich selbst nicht nur als des Präsidenten Fahrer, sondern sogar als eine Art persönlicher Sherpa zu verstehen scheint.
"Eigentlich eine Missachtung
eines Parlamentariers"
Dass Fraunhofer-Sprecher Eitner in der Stellungnahme zusätzlich betont, Neugebauer sei es "vertraglich gestattet, die Dienste eines Fahrers in Anspruch zu nehmen", verkennt das eigentliche Problem: Nötig wäre eine transparente Aufarbeitung der Vorwürfe – und keine kommunikativen Nebelkerzen, die das BMBF auch noch durchgehen lässt.
Der gerade wiedergewählte Fragesteller Sattelberger zeigt sich entrüstet. "Neben der Dreistigkeit Fraunhofers, einen Fahrer abzustreiten, ist es genauso dreist-naiv vom Forschungsministerium, mich mit einer solchen falschen Antwort abzuspeisen." Die er inzwischen samt und sonders als "eigentlich eine Missachtung eines Parlamentariers " einstuft.
Und der FDP-Politiker ist nicht der einzige, der Druck macht. Der ebenfalls gerade wiedergewählte grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, wissenschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion, nennt die Fraunhofer-Gesellschaft, "eine tragende Säule der Wissenschaft in Deutschland". Es sorge ihn, dass die im Raum stehenden Vorwürfe "offenbar nicht aufgeklärt werden konnten. Wenn die Vorwürfe nicht schnell und umfassend aufgeklärt werden, droht ein Reputationsschaden." Dazu müssten auch die Aufsichtsgremien und das BMBF begründete Hinweise ernst nehmen und solchen Vorwürfen nachvollziehbar nachgehen.
Gehring fügt hinzu, er habe jetzt eine offizielle Anfrage an die Bundesregierung gerichtet, "um zu klären ob sie ihre Pflicht ernst nimmt, für Transparenz, Aufklärung und gute Führung zu sorgen."
Ausstellungskosten, Reisebegleitungen
und eine vorzeitige Wiederwahl
Zuletzt hatte die Wirtschaftswoche über die wachsende Unruhe bei Fraunhofer berichtet. Neugebauer gebärde sich wie ein "Professor Autokrat" und als "Hobbydespot". Er und seine Verbündeten hielten Fraunhofer Insidern zufolge mit einem "Klima der Angst" im Griff. Die Forschungsorganisation wies diese Darstellungen als unzutreffend zurück.
Über Neugebauers Frau wurde berichtet, dass sie seit 2018 als ehrenamtliche Schirmherrin des Fraunhofer-Netzwerks "Wissenschaft, Kunst, Design" fungiert und, selbst Künstlerin, im Rahmen einer von Fraunhofer finanzierten Ausstellung des Netzwerkes eigene Fotografie-Werke habe ausstellen können. Es wurden Fragen laut, ob sie ihren Mann, wie Sattelberger es in seiner Anfrage formulierte, mitunter "ohne eigene Funktion für die Fraunhofer-Gesellschaft auf Fraunhofer-Kosten (und damit auch Steuerzahler-Kosten) auf Reisen und anderen Terminen begleitet hat, und dies ohne inhaltliche Mitwirkung". Es ging um die Bezahlung von Geburtstagskolloquien zu Ehren des Präsidenten – und immer wieder um Ausstattungsfragen: von Büros, mit Dienstfahrern.
Fraunhofer und Neugebauer weisen alle in der Wirtschaftswoche zitierten Vorwürfe zurück. Weder er noch seine Frau hätten sich an irgendeiner Stelle persönlich Vorteile verschafft, es seien keine Compliance-Regeln verletzt worden.
Doch wirkte einiges, was Neugebauer betraf, zuletzt wenig transparent. So wurde der 68 Jahre alte Maschinenbauer Anfang August für viele überraschend und vorzeitig erneut zum Fraunhofer-Präsidenten gewählt. Per Umlaufverfahren und vor der nächsten turnusmäßigen Sitzung des Fraunhofer-Senats – was es nach ihrer Kenntnis noch nicht gegeben habe, wie die Bundesregierung auf Anfrage einräumte.
Gleichzeitig verließen auffällig viele Führungskräfte schnell wieder die Chefetage bei Fraunhofer: allein in den vergangenen Jahren die Technologievorstände Alexander Verl, Georg Rosenfeld und Ralf Wehrspohn sowie Finanzchef Alfred Gossner. Auch dessen Nachfolger Andreas Meuer soll bald gehen, berichtete die Wirtschaftswoche, und Kommunikationschef Janis Eitner hat inzwischen ebenfalls seinen Abschied offiziell bekanntgegeben. Was geht da vor sich?
Wollte Neugebauer die Wiederwahl des Chemnitzer
TU-Rektors aus persönlicher Abneigung verhindern?
Währenddessen gibt es schon die nächsten aufklärungsbedürftigen Ereignisse um Neugebauer, diesmal an der Technischen Universität Chemnitz (TUC). Dort stehen Rektor-Wahlen an. Amtsinhaber Gerd Strohmeier, im bundesweiten Hochschulchef-Ranking des Hochschulverbands immerhin auf Platz 6, tauchte im Ende Juni beschlossenen Kandidatenvorschlag des TUC-Hochschulrats nicht auf. Hochschulratsvorsitzender ist Reimund Neugebauer.
Der Ausschluss eines amtierenden Rektors, der erneut Rektor werden will, mag gerechtfertigt sein – zumal Strohmeier an der TU Chemnitz keineswegs unumstritten ist. Doch muss in so einem Fall natürlich die Entscheidung des Hochschulrats besonders gut begründet und auch dokumentiert sein.
Daran hatte der TUC-Senat, der den oder die Rektorin auf Vorschlag des Hochschulrats wählt, offenbar seine Zweifel und gab ein externes Gutachten bei einem Verwaltungsrechtler in Auftrag. Der sollte klären, ob der Wahlvorschlag rechtswidrig zustande gekommen ist.
Auf 180 Seiten führt Klaus Herrmann von der Brandenburgisch-Technischen Universität Cottbus-Senftenberg aus, warum das Verfahren seines Erachtens in Teilen unplausibel, ungenügend dokumentiert und dazu in der Lage gewesen sei, das Gleichbehandlungsrecht der Bewerber zu verletzen. Besondere Verbindungen der Fraunhofer-Gesellschaft und Neugebauers, der erst wenige Monate zuvor überhaupt TUC-Hochschulrats-Mitglied geworden war, zu zwei Kandidaten werden untersucht, ebenso eine mögliche Voreingenommenheit Neugebauers gegenüber Strohmeier.
Herrmann stellt dar, unter anderem indem er aus E-Mails zitiert, dass Neugebauer und Strohmeier in der Vergangenheit unter anderem bei Berufungs- und Bleibeverhandlungen im Zusammenhang mit gemeinsamen Professuren der TUC und der beiden Fraunhofer-Institute in Chemnitz heftig aneinander geraten seien. Und der Jurist zieht Schlüsse. Wörtlich heißt es in dem Gutachten: Es müsse geprüft werden, "ob Herr Prof. Dr. Neugebauer Herrn Prof. Dr. Strohmeier wegen der als Rektor verantworteten Leitung der TUC persönlich als Hindernis für die ihm zweckmäßig erscheinende Zusammenarbeit zwischen TUC und Fraunhofer-Einrichtungen ansieht, also aus seinen bzw. den von ihm formulierten Interessen der Fraunhofer- Gesellschaft heraus persönlich ablehnt."
Neugebauer weist Vorwürfe zurück
und geht zum Gegenangriff über
Und weiter: "Sollte Herr Prof. Dr. Neugebauer in die Arbeit des Hochschulrates Eindrücke aus seiner Tätigkeit für die Fraunhofer-Gesellschaft gegen den Bewerber Prof. Dr. Strohmeier eingebracht haben, waren diese jedenfalls sachfremd und aus persönlichen bzw. Interessen der Fraunhofer Gesellschaft getragen. Da sie an Handlungen, Entscheidungen und Abläufe der Selbstverwaltungsgremien der TUC anknüpft, die ihrerseits keinen rechtlichen Zweifeln ausgesetzt waren und – nach überschlägiger Prüfung des Unterzeichners – ausgesetzt sind, stellen diese eigen- bzw. fremdnützigen Vorbehalte sachfremde Erwägungen des Vorsitzenden des Hochschulrats dar."
Ein Fall von Befangenheit? Gutachter Herrmann befindet zumindest: "Der Hochschulrat hat bisher über die Besorgnis der Befangenheit des Vorsitzenden Prof. Dr. Neugebauer nicht entschieden", obwohl es "Anhaltspunkte für ein besonderes Näheverhältnis " zu einem Bewerber und "eine nicht sachlich begründete Ablehnung" gegenüber Amtsinhaber Strohmeier bestünden.
Neugebauer weist die Vorwürfe zurück. Das in den Medien "als Gutachten bezeichnete Dokument" sei eine "Stellungnahme, die vom Vertreter des Rektors als interimistischer Senatsvorsitzender bei einem Rechtsanwalt in Auftrag gegeben wurde." Es beruhe auf Daten, die hochschul- und datenschutzrechtlich der besonderen Vertraulichkeit unterlägen und unter Verletzung der für das Verfahren geltenden Regeln nach außen gegeben worden seien.
Dass der Begriff "Gutachten" zuerst von der berichtenden Wirtschaftswoche so verwendet wurde, schlicht weil er über dem Dokument steht, erwähnt Neugebauer nicht. Dafür geht er direkt zum Gegenangriff über: Der Hochschulrat werde die Stellungnahme "in Kürze evaluieren" und sich mit dem weiteren Vorgehen für die Kandidatenauswahl befassen. "Dazu gehört auch die Verletzung der hochschul- und datenschutzrechtlichen Bestimmungen bei der Weitergabe der Stellungnahme."
Inhaltlich führt Neugebauer aus, es obliege dem Hochschulrat, am Ende eines Auswahlprozesses dem Senat drei Kandidaten vorzuschlagen, "wobei der Grundsatz der Bestenauslese eingehalten werden muss. Allein von diesem Grundsatz hat sich der Hochschulrat im laufenden Verfahren leiten lassen", betont Neugebauer. In diesem Verfahren sei der amtierende Rektor ein "Kandidat ohne Amtsbonus".
Grüne: Finanzierung der Forschung fußt auf der
"Einhaltung hoher Standards und Redlichkeit"
Seine Nichtberücksichtigung durch den Hochschulrat müsste aber, soviel steht fest, besonders rechtssicher dokumentiert sein, ebenso die Nicht-Befangenheit führender Hochschulratsmitglieder. Ist das geschehen?
Fast scheint es so, als sei Reimund Neugebauer bislang davon ausgegangen, dass sein eigener Amtsbonus eine detaillierte Aufklärung der immer zahlreicheren Vorwürfe gegen ihn überflüssig mache. Doch scheint er damit das Gegenteil zu bewirken: Mittlerweile treffen täglich mehr Berichte von Whistleblowern ein. Was an ihnen dran ist, ist offen.
Klar ist, dass BMBF und Fraunhofer-Präsident gut daran tut, mit den an sie gestellten Fragen offen und transparent umzugehen. Der Grünen-Politiker Kai Gehring sagt, die öffentliche Finanzierung der Wissenschaft sichere den Forschungsorganisationen Freiheit und Autonomie und sei die Grundlage der Wissenschaft. "Das fußt auf dem gesellschaftlichen Vertrauen in die Einhaltung hoher Standards und Redlichkeit. Dazu gehört auch ganz selbstverständlich, persönlichen Abhängigkeiten und Bevorzugungen vorzubeugen und mit wirksamen Compliance- Regeln und Meldeverfahren entgegenzuwirken."
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Hubert Hagenbeck (Sonntag, 03 Oktober 2021 08:13)
Hat der Herr Prof. Neugebauer eigentlich ein Parteibuch
der CDU oder CSU?