"#IchbinHanna" setzt die Universitäten unter Druck. Jetzt reagieren die Rektoren. Ihre Sprecherin kündigt an: Die Universitäten werden eine Reform der Karrierewege angehen.
Anja Steinbeck ist Rektorin der Heinrich-Heine- Universität Düsseldorf und Sprecherin der Mitgliedergruppe der
Universitäten in der Hochschulrektoren-konferenz (HRK).
Foto: Kay Herschelmann.
Frau Steinbeck, die "#IchbinHanna"-Iniatiative gewinnt immer weiter an Momentum, die Ampel-Verhandlungsführer diskutieren über Konsequenzen, aber von der Hochschulrektorenkon-ferenz (HRK) gibt es offiziell kein Wort dazu. Warum nicht?
Die Mitgliedergruppe der Universitäten in der HRK duckt sich nicht weg vor dem Thema. Wir sitzen auch nicht mit verschränkten
Armen da und sagen: "Alles Quatsch. Wir ändern nichts." Im Gegenteil! Wir haben vor zwei Wochen lange über "#IchbinHanna" diskutiert und am Montag erneut. Und es herrschen allgemein die Stimmung und die Erkenntnis, dass jetzt die Notwendigkeit zum Handeln besteht. Und ja, die Handlungsbereitschaft ist auch da.
Was bedeutet das? Haben Sie einen Beschluss gefasst, wie Sie das Karrieresystem an deutschen Hochschulen verändern wollen?
Nein, aber wir haben verabredet, dass wir einen solchen Beschluss fassen werden. Aber erst wenn die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes da ist, was bereits im Frühjahr der Fall sein soll.
Das klingt, mit Verlaub, nach Aussitzen.
Ist es aber nicht! Wir warten nicht ab, wir werden uns in den nächsten Monaten intensiv vorbereiten. Dazu gehört allerdings auch, dass wir vorher ein paar Statistiken geradeziehen müssen.
"Wir brauchen endlich valide Zahlen
zu den Befristungsanteilen."
Welche Statistiken meinen Sie?
Ständig tauchen in der öffentlichen Debatte die 92 Prozent auf – als Quote der Befristungen, die exorbitant und ungerechtfertigt hoch sei. Ich habe mal die Zahlen für meine Universität nachvollzogen. Bei uns gibt es 1200 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neben der Professur. Davon sind aber 600 Doktoranden, für die keiner unbefristete Stellen verlangt. Die anderen 600 sind Postdocs, von denen die Hälfte bereits unbefristete Arbeitsverträge hat. Wir reden also von 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern von 1200, die die "#IchbinHanna"-Debatte tatsächlich betrifft. Von denen wiederum 100 nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz beschäftigt sind, für Elternzeitvertretungen zum Beispiel. Und nur 200 von 1200 Arbeitsverträgen fallen unter das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Das klingt schon anders, finde ich.
Und macht das Problem weniger drängend, wollen Sie damit sagen?
Nein, was ich sagen will: Wir brauchen endlich valide bundesweite Zahlen zu den tatsächlichen Befristungsanteilen. Die haben wir nämlich nicht. Und darum wollen wir sie als Universitäten in den nächsten Monaten erheben. Es ist aber noch etwa Zweites schief an der"#IchbinHanna"-Debatte.
Nämlich?
Es wird überhaupt nicht nach Fächerkulturen unterschieden, da werden alle Disziplinen über einen Kamm geschoren. Es gibt aber zum Beispiel keine "juristischen Hannas", und in vielen anderen Fächern gibt es sie auch nicht.
Keine einzige Hanna in den Rechtswissenschaften? Meinen Sie das ernst?
Zeigen Sie mir eine einzige. Für die Juristen, für mein eigenes Fach, kann ich das definitiv ausschließen. Wer nach einem Jurastudium an der Universität bleiben will und geeignet ist, findet eine dauerhafte Beschäftigung. Die meisten wollen das aber gar nicht. Sie finden lange vorher anderswo lukrative Jobs. Und das gilt in vielen anderen Fächern genauso.
"Richtig etwas verändern, ohne zugleich bestehende und gut funktionierende Strukturen kaputtzumachen."
Sie sagen, es sei bei den Universitätsrektoren ein Bewusstsein für die Handlungsnotwendigkeit da – und dazu die Bereitschaft zu handeln. Aber was genau wollen Sie eigentlich wann und wo ändern?
Wir werden uns unmittelbar nach der Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetz aktiv an einer durchdachten Reform des Gesetzes beteiligen mit dem Ziel, die Karrierewege in der Wissenschaft transparenter und planbarer zu gestalten. Diese Reform muss weitere Rahmenbedingungen mit in Betracht ziehen, zum Beispiel das Erfordernis der Bestenauslese, das Kapazitätsrecht, die Lehrdeputate und das Verhältnis von Haushaltsmitteln zu Projektmitteln.
Das klingt schon wieder arg relativierend.
Das muss es auch. Es muss uns gelingen, richtig etwas zu verändern, ohne zugleich bestehende und gut funktionierende Strukturen kaputtzumachen. Welche Auswirkungen hätte es zum Beispiel auf Heisenberg-Professuren oder Emmy-Noether-Stipendiaten, wenn wir die Regeln für alle verbindlich ändern? Das müssen wir alles genau im Blick haben, bevor wir ein Gesetz ändern. Und noch ein Beispiel aus den Rechtswissenschaften: Wenn Sie die Postdoc-Phase in zweimal drei Jahre unterteilen, wie viele gerade fordern, und zwar unabhängig vom Fach, dann bedeutet das für die Rechtswissenschaften, dass die Habilitation tot ist. Für die braucht man nämlich die ganzen sechs Jahre. Und danach es ist nicht das Schlechteste, wenn man die Universität verlässt an der man habilitiert wurde und vielleicht auch schon promoviert hat.
"Sonst passiert so etwas wie in Berlin,
und das wollen wir nicht."
Die Emmy-Noether-Stipendien gibt seit 24 Jahren, Heisenberg-Professuren seit 2005. Und Sie wollen jetzt gründlich drüber nachdenken? Ich frage nochmal explizit: Garantieren Sie, dass Sie sich als Universitätsrektoren für eine grundsätzliche Reform der Karrierewege einsetzen, an den eigenen Universitäten und gegenüber der Politik?
Wir garantieren, dass wir uns für eine durchdachte Reform einsetzen. Und Berlin ist nicht durchdacht gewesen, ohne Übergangsregeln, ohne die Besonderheiten der Fächerkulturen einzugehen. Darum werden wir jetzt nicht den einen Satz raushauen, dass wir dieses oder jenes ändern. Wir sagen zu, dass wir uns einbringen und dass wir es schnell tun werden, innerhalb weniger Monate nach der Reform. Wir werden aber schon vor der Evaluation in eine bestimmte Richtung denken, diese Richtung dann mit dem Ergebnis der Evaluation abgleichen und unser Konzept vorlegen. Und wir werden schneller sein als die Politik mit einem Gesetzentwurf, denn sonst passiert so etwas wie in Berlin, und das wollen wir nicht.
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Müder Statistiker (Dienstag, 16 November 2021 08:43)
Interessanter Beitrag zur Versachlichung der Debatte.
Gute Statistiken sind immer wichtig (vgl. Corona).
Noch 'ne Hanna (Dienstag, 16 November 2021 10:06)
"Nein, was ich sagen will: Wir brauchen endlich valide bundesweite Zahlen zu den tatsächlichen Befristungsanteilen. Die haben wir nämlich nicht. Und darum wollen wir sie als Universitäten in den nächsten Monaten erheben."
Erm ... und das fällt den Rektor:innen JETZT auf? Diese Datenerhebungsdefizite waren kein Thema, als die Kanzler:innen die "Bayreuther Erklärung" veröffentlicht haben - und damit die rechtswidrige Nutzung des Sonderbefristungsrechts zu Haushaltszwecken verdeckt haben. Da sind die Rektor:innen nicht auf die Idee gekommen, von den Kanzler:innen für jede Hochschule einzeln Daten zu fordern, um dann die Datenbestände bundesweit zusammenzuführen. Die Rektor:innen haben eine völlig unhaltbare Situation geschaffen, jahrelang eine sehr verächtlich machende Sprache zur Rechtfertigung des exzessiven Missbrauch des Sonderbefristungsrechts geduldet und wollen jetzt auch noch mehr Geld dafür, dass sie ihre eigenen Versäumnisse aus der Vergangenheit beheben. Jetzt hat sich der Wind gedreht und plötzlich haben sie angeblich wochenlang diskutiert und betrachten die Karrierewege in der Wissenschaft als Anliegen.
Ich bin an der Hochschule eines HRK-Präsidiums-Mitglieds durch den völlig unverantwortlichen Führungsstil genau dieses HRK-Mitglieds persönlich so schwer geschädigt worden, dass für mich im nächsten Jahr Amtshaftungs- und Strafverfahren auf dem Plan stehen, um zumindest einen nachträglichen Ausgleich der erlittenen Schäden zu erreichen. Bei solchen Äußerungen aus der HRK möchte ich den berühmten Spruch von Max Liebermann entgegen: Man kann gar nicht so viel essen ...
Jule Specht (Dienstag, 16 November 2021 12:09)
Ich freue mich, dass die HRK den Handlungsdruck erkennt und ein Reform-Konzept für transparentere und planbarere Karrierewege vorlegen wird!
Auch für die Rechtswissenschaften übrigens, wo - auch aufgrund der mangelnden Beschäftigungsperspektiven - unter anderem überproportional viele Frauen die Universitäten verlassen, sodass man das Gelingen der Bestenauslese in Frage stellen sollte.
Richtig ist aber natürlich ganz sicher, dass es je nach Fach und Standort unterschiedliche Möglichkeiten gibt, nachhaltige Personalstrukturen zu gestalten. Umso wichtiger ist, dass möglichst viele Perspektiven aus allen Statusgruppen bei der Umsetzung berücksichtigt werden.
Tobias Denskus (Dienstag, 16 November 2021 12:23)
Ach ja, das Geschwurbel geht munter weiter; ich finde es einfach bemerkenswert wir gleich von Anfang an klar gemacgt wird, dass es nicht um die MitarbeiterInnen geht..."wir brauchen erstmal Zahlen" (die natuerlich belegen, dass das alles nicht so schlimm ist), man erzählt etwas von "Fächerkulturen" weil es ja kein systemisches Problem ist und irgendwie ist auch noch Platz fuer "wir wollen ja nicht Zustände wie in USA" um möglichst wenig am Lehrstuhlprinzip ändern zu muessen. BEFRISTETE VOLLZEITSTELLEN fuer Doktorandinnen sind erstmal vom Tisch, denn die haben ja "sozialversicherungspflichte" Anstellungen und können sich auf ihren 50-60%-Stellen einen Fetten in Uni-Städten wie Duesseldorf machen. Verweise auf elitärste Stipendienprogramme (mir fehlte der Hinweis auf die "Wissenschaftsnation Deutschland") sollen ueberdecken, dass ma im Kern nicht an das Hauptproblem ran will: Wie können Menschen von ca. Mitte 30 an eine unbefristete Vollzeitkarriereperspektive bekommen ohne Professorin werden zu muessen? "Aber viele Juristinnen wollen das gar nicht"-schön, arbeiten die eben nicht an der Uni...am Ende holt man die Buerokratie-Keule raus, "Bestenauslese", "das Kapazitätsrecht", und endet mit dem HORRORSZENARIO schlechthin: Dem Ende der juristischen Habilitation!! Ja, genau, weniger juristische Habilitationen, dieser Säule der demokratischen Verfassheit der Bundesrepublik Deutschland! Fazit: Wer so ueber Menschen & MitarbeiterInnen spricht der ist lediglich daran interessiert seinen Laden so zu regulieren, das am Ende bloss wenige unbefristete Stellen dabei rauskommen, weil das natuerlicjh fuer alle am besten ist...
auch Hanna (Dienstag, 16 November 2021 13:29)
kann #2 und #4 nur zustimmen, warum die Erhebung der Zahlen erst jetzt? Warum solch fadenscheinige Beispiele?
Emmy (Dienstag, 16 November 2021 14:06)
Im Emmy Noether-Programm gibt es doch schon seit x Jahren keine Stipendien mehr?
Michael Liebendörfer (Dienstag, 16 November 2021 18:57)
Der fachspezifischen Betrachtung kann ich schon etwas abgewinnen. In der Mathematikdidaktik gibt es z.B. auch kaum Hannas in dem Sinn, dass sie trotz exzellenter Qualifikation bis mitte 40 auf halben Stellen zwischen Unis pendeln. Das mag damit zusammenhängen, dass die meisten einfach morgen an einer Schule auf 100% A13 anfangen könnten, perspektivisch A14, da fehlt nicht viel zu W2 und man spart sich Unsicherheit und Pendelei.
Es gibt aber durchaus Hannas in dem Sinn, dass Leute darunter leiden, mehrmals die Hochschule zu wechseln, stets kurzlaufende Verträge zu haben, halbe Stelle bei voller Arbeit zu haben und natürlich die Familienplanung aufzuschieben. Insofern besteht auch da und vermutlich auch in der Juristerei Handlungsbedarf.
Der begründet sich in solchen Fächern übrigens auch dadurch, dass einige gute Leute aus der Hochschule gehen, obwohl sie die Professur gerne und gut ausfüllen könnten. Aber nicht zu diesem Preis. Ich befürchte ähnliches in Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, vielleicht auch Informatik usw.
Und es entspricht wohl kaum dem Selbstverständnis der Universitäten, eine Meritokratie der Zweitbesten darzustellen.
Diese Leute, Frau Steinbeck, tauchen übrigens in keiner Statistik auf - sie sind ja schon weg.
Andreas Eder (Dienstag, 16 November 2021 23:00)
Ich finde es schade, dass in der #IchbinHanna Debatte die Sicht des Professoriums nicht differenziert wiedergegeben wird. Implizit schwingt hier der Vorwurf mit, dass diese eine Befristung ihrer "Stellenausstattung" (häßliches Wort!) anstreben würden, weil sie von einer hohen Fluktuation profitieren würden. Diese Annahme halte ich für falsch.
Ja, frische Köpfe bringen idR neue Ideen bzw sind offener für diese, aber Kontinuität im Forschungsteam ist genauso wichtig--vor allem wenn es um prozedurales Wissen geht (das WIE der Forschung). Diese zu verlieren, weil es keine Möglichkeit gibt KollegInnen trotz exzellenter Leistung halten zu können, tut weh!
Die eigentlichen Profiteure eines hohen Befristungsanteils sind deshalb mMn andere: Drittmittelgeber mit kurzen Evaluationszeiten (3+3); Universitätsleitungen mit Zusagen einer Stellenausstattung in Berufungsverhandlungen; Wissenschafts- bzw. Bildungsressorts mit schwankenden Budgets.
Es wird höchste Zeit, dass hier die Interessen der eigentlichen Akteure (Wissenschaftler, Dozenten, Professoren) in den Vordergrund gestellt werden. Ob die HRK dafür geeignet ist, halte ich für fragwürdig (Bock -> Gärtner).
Noch 'ne Hanna (Mittwoch, 17 November 2021 07:03)
"Die eigentlichen Profiteure eines hohen Befristungsanteils sind deshalb mMn andere: ..."
Plus die Kanzler:innen. Das Sonderbefristungsrecht flexibilisiert den größten Personalkostenblock und ermöglicht so, Verantwortungsdefizite an anderer Stelle (z.B. in Form von zu hohen Leistungsbezügen an die Professor:innen) zu verdecken. Wegen der Globalhaushalte können die Unis Peter (wissMA) beklauen, um Paul (Profs) zu bezahlen. Und die Professor:innen wählen natürlich bevorzugt, Uni-Leitungen, die ihnen großzügige Leistungsbezüge in Aussicht stellen. Nicht offen, aber Rektor:innen, die mit der Aussage "Liebe Professor:innen, wir können leider nicht die Ko-Finanzierung für den SFB XYZ leisten, weil wir erst die Lehre stärken und die Post-Doc-Befristungen abbauen müssen." Wahlkampf machen, kriegen keinen Fuß auf den Boden.
S. Fleischer (Donnerstag, 18 November 2021 12:13)
Liebe "Noch 'ne Hanna", Ihre Ausführungen unter #9 sind für mein Bundesland schlicht falsch. Leistungsbezüge für Professoren (m/w/d) sind Teil des sog. Vergaberahmens und können nicht durch Einsparungen von allgemeinen Sachmitteln "erhöht" werden. Globalhaushalt hin oder her.
Noch 'ne Hanna (Donnerstag, 18 November 2021 15:58)
Liebe/r S. Fleischer,
stimmt - das war verkürzt dargestellt. Der Vergaberahmen ist mir bekannt, eben weil er in meinem Bundesland (Bremen) aufgehoben wurde und es dort diese Verschiebung zwischen den Töpfen gegeben hat. Ich war dadurch "selbst, gegenwärtig und unmittelbar" betroffen, deswegen musste ich mich mit dem Thema "Hochschulfinanzierung" vertraut machen. In längeren Schreiben (also abseits der Kommentare in einem Blog) verweise ich auch darauf, dass in anderen Bundesländern der Vergaberahmen die Mitarbeiter:innen vor dieser Verschiebung zu ihren Lasten schützt. An der Uni Hohenheim intervenierte z.B. das zuständige Ministerium, als der Vergaberahmen nur um 400.000,00 € überschritten wurde. Das war hier in Bremen nicht der Fall, mit sehr schwerwiegenden Konsequenzen für ganze Kohorten von "Nachwuchswissenschaftler:innen".