Was bedeuten abgesagte Forschungsprojekte für die Antragsteller? Nach der BMBF-Entscheidung vom Dienstag melden sich mehr und mehr Forschende zu Wort, deren Projekte trotz positiver Begutachtung abgelehnt wurden. Sie üben teilweise heftige Kritik am Ministerium.
NACH DER GRUNDSATZENTSCHEIDUNG des Bundesforschungsministeriums zur Finanzierung geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte melden sich nun auch mehr und mehr Forschende zu Wort, deren Anträge trotz positiver Begutachtung abgelehnt wurden. Gleichzeitig wird neue Kritik am Kommunikationsstil des Ministeriums gegenüber Antragstellern laut.
Die Soziologin Julia Gruhlich von der Universität Paderborn erhielt ihre Absage per E-Mail am Dienstagmorgen. Sie hatte zusammen mit der Sozialwissenschaftlerin Mascha Will-Zocholl von der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit einen Antrag in der Förderrichtlinie zu den gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie gestellt. Gemeinsam wollten sie zum "vorzeitigen Berufsausstieg im Gesundheitswesen während der Corona-Pandemie" forschen. Ihrem Projekt sei von Gutachten und BMBF "eine "hohe Förderpriorität" zugesprochen worden, inklusive der Bitte um einen Vollantrag. "Danach ist es eigentlich nur eine Formalität, die Fördergelder auch zu bekommen", sagt Gruhlich. "Zumindest war das in der Vergangenheit so."
Eigentlich hätte das Projekt am 1. Oktober beginnen sollen, jetzt fällt es den Kürzungen im BMBF zum Opfer. "Wir können die Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen", sagt Gruhlich. Mit Blick auf den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen sei es doch auch "unbestreitbar relevant". Gruhlich trifft die Absage persönlich "besonders hart", wie sie sagt, "weil ich mir mit dem Projekt auch meine eigene Stelle finanziert hätte".
Der Forschungsfördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften im BMBF-Haushalt soll nächstes Jahr insgesamt um zehn Prozent auf knapp 95 Millionen Euro sinken. Der Titelansatz für "Gesellschaftswissenschaften für Nachhaltigkeit" fällt sogar um knapp knapp ein Viertel auf 43 Millionen Euro ab.
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) sagte am Dienstagnachmittag, dass die BMBF-Bemühungen um die Finanzierung möglichst vieler Projekte trotz der Haushaltslage Zeit gekostet hätten, wodurch es zu "bedauerlichen Verzögerungen" gekommen sei. Auch wenn, wie Stark-Watzinger erneut betonte, es vorher "keine formalen Förderzusagen" gegeben habe. Es sei gelungen, die Förderung der Projekte im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich "in reduziertem Umfang" ab 2023 sicherzustellen. Das betreffe vor allem die Forschung zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und zu Rechtsextremismus und Rassismus, "die mir besonders wichtig ist". Die Projektverantwortlichen habe das Ministerium bereits informiert, "damit sie entsprechend planen können".
Konkret sollen 18 von 32 Corona-Forschungsprojekten mit 90 Prozent der beantragten Fördersumme von Februar 2023 an gefördert werden, im Umkehrschluss wurden also 14 abgelehnt. In den Förderlinien "Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus" und "Nachwuchsgruppen im Rahmen der Rechtsextremismus- und Rassismusforschung" erhalten alle 19 positiv begutachteten Forschungsprojekte und fünf von sechs Nachwuchsgruppen ab Januar 2023 95 Prozent der beantragten Fördersumme. Doch wie sieht es in anderen BMBF-Förderlinien aus?
Das BMBF priorisiere den Einsatz von Ressourcen
neu, sagt der Projektträger DLR
Klaus Boehnkes Stelle hängt anders als bei Julia Gruhlich nicht von den BMBF-Fördermitteln ab, aber frustriert ist er dennoch. Boehnke ist Professor für sozialwissenschaftliche Methodenlehre an der privaten Jacobs University. Er hatte zusammen mit Kollegen einen Verbundantrag in einer BMBF-Förderlinie zur Wissenschaftlich-Technologischen Zusammenarbeit mit Südafrika gestellt, Thema: "Covid 19: Hemmnis oder Motor einer nachhaltigen Verbesserung von Wohlbefinden und Identitätsentwicklung junger Menschen." Die Peer-Review-Begutachtung durch internationale Forscher im Frühjahr 2021 endete mit einer Förderempfehlung, woraufhin ihn das DLR als Projektträger zur "förmlichen Antragstellung" aufforderte.
Boehnke erhielt seine Ablehnung ebenfalls heute zugestellt. Der vom DLR erstellte Bescheid trägt aber bereits das Datum vom Dienstag vergangener Woche. Darin heißt es: Es bestehe kein rechtlicher Anspruch auf Gewährung der Fördermittel. "Vielmehr entscheidet die Bewilligungsbehörde (gemeint ist das BMBF, JMW) aufgrund ihre pflichtgemäßen Ermessens im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel."
Zwar hätten "kurzfristig wenige Haushaltsmittel" mit dem Ablauf des Haushaltsjahres 2021 zur Verfügung gestanden – womit das DLR offenbar eine Übertragung ins Jahr 2022 meint. Doch seien mit diesen Mitteln "prioritär" diejenigen Vorhaben "zu bewilligen" gewesen, die bereits 2021 "aufgrund einer Unverbindlichen in Aussichtstellung" (sic) begonnen hätten.
Schließlich verweist das DLR auf die "derzeitige weltpolitische Entwicklung", die neben starken politischen Verwerfungen auch "hohe wirtschaftliche Kosten für unser Land" bedeute. "In diesem Kontext" nehme die gesamte Bundesregierung strategische Anpassungen vor. Auch das BMBF "priorisiert den Einsatz von Ressourcen entsprechend den Leitlinien des Koalitionsvertrags und den Bedürfnissen der aktuellen Lage neu".
Der Begriff "schneller Impact" fehlt in dem Ablehnungsschreiben an Boehnke, aber auch die enthaltene Argumentation einer neuen Priorisierung steht in einem zumindest impliziten Widerspruch zu Äußerungen von Forschungsministerin Stark-Watzinger, es gebe keine Verschiebung hin zu Forschungsaktivitäten mit einem "schnellen Impact". Ihr parlamentarischer Staatssekretär Jens Brandenburg (FDP) hatte diese Aussage gestern hier im Blog nochmal bekräftigt. Stark-Watzinger hatte vergangene Woche gesagt, die in einem anderen DLR-Ablehnungsschreiben enthaltene Formulierung vom "schnellem Impact" sei "nicht meine und entspricht weder meiner Haltung noch meiner Politik."
Erst grünes Licht für Verlängerungsantrag,
dann die Vollbremsung
Boehnke sagt, er sehe, "ohne das natürlich juristisch überblicken zu können", den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben verletzt. "Wenn eine international in einer starken Konkurrenzsituation positiv begutachtete Projektskizze, die zudem in Südafrika zur Finanzierung bereits endgültig angenommen wurde, nun auf dem kalten Wege abgelehnt wird, ist das aus meiner Sicht nicht einfach hinzunehmen." Er habe jedenfalls die Juristin seiner Universität und die Rechtshilfestelle seiner Gewerkschaft damit beauftragt, die Option eines Widerspruchs zu prüfen.
Die Marburger Medienwissenschaftlerin Alena Strohmaier hatte bereits seit Oktober 2019 in der BMBF-Förderlinie "Kleine Fächer – Große Potenziale" ein Forschungsprojekt durchgeführt. Wegen der Corona-Pandemie konnte sie den ursprünglichen Arbeits- und Zeitplan nicht einhalten und dies gegenüber dem DLR im Projekt-Zwischenbericht auch deutlich gemacht. "Im Oktober 2021 wurde mir grünes Licht gegeben, einen Antrag auf Laufzeitverlängerung zu stellen", berichtet Strohmaier. "Als ich Anfang 2022 den Entwurf zur Voransicht schickte, hieß es auf einmal, es würden keine Anträge mehr angenommen werden." In einer weiteren E-Mail und zwei Telefonaten sei ihr bestätigt worden, dass "bis Anfang 2024" Anträge auf Laufzeitverlängerungen, auch kostenneutrale, ohne Prüfung abgelehnt würden. "Ich weiß noch von drei anderen betroffenen Projekten" berichtet Strohmaier und fügt verärgert hinzu: "Dass das Projekt nun inhaltlich nicht die erstrebten Ziele wird erreichen können, ist nebensächlich, laut DLR solle ich dann einfach den Status Quo in den Endbericht schreiben."
Sie habe die Absage-Nachricht neun Monate vor Laufzeitende erreicht. "Aktuell sieht es also so aus, dass ich in sieben Monaten arbeitslos sein werde." Das sei "existentiell und zudem noch absurd", da sie noch Projektgelder für eine sechsmonatige kostenneutrale Verlängerung übrig gehabt hätte. Strohmaier bezeichnet die Transparenz von DLR und BMBF als "mehr als mangelhaft.Hätte ich all dies vor einem Jahr gewusst, hätte ich sowohl die Projektplanung, als auch meine persönliche Karriereplanung anders gestaltet."
Hinweis/Korrektur: Ich habe einen Absatz aus diesem Artikel entfernt, weil ich darin eine Verknüpfung vorgenommen habe, die nicht korrekt ist. Eine "unverbindliche Inaussichtstellung" ist ein offizielles schriftliches Dokument aus dem Ministerium und nicht mit einer "mündlichen Zusage" vergleichbar. Ich bitte um Entschuldigung!
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Karl Heinz (Dienstag, 26 Juli 2022 17:35)
Sorry, hier haben sich Leute offenkundig nie damit auseinandergesetzt was sie tun: Wenn man nach positiver Bewertung einer Skizze, eine Aufforderung für einem Antrag erhält, dann ist es NIE ein Automatismus, dass der Antrag positiv beschieden wird. Sonst könnte man sich das Ganze auch sparen. Bis zu einem schriftliche Bescheid (die Aufforderung für einen Antrag ist kein Bescheid) ist alles möglich, auch eine Ablehnung, weil kein Geld da ist, Auflagen nicht umgesetzt wurden oder oder.
Grünes Licht für eine Antragstellung? Voransicht? Wo ist das Problem? Wenn hier bewilligte Projekte eingestellt würden, könnte man die Kritik verstehen, so sind es Projektvorschläge, die jetzt erst mal nicht gefördert werden.
Frederik Elwert (Dienstag, 26 Juli 2022 23:04)
Lieber Karl-Heinz,
ich weiß nicht, ob Sie nähere Erfahrungen mit der Projektförderung des BMBF haben. Was Sie sagen, stimmt zwar juristisch (und genau das ist ja auch die Verteidigungslinie der Ministerin), entspricht aber überhaupt nicht der Praxis des BMBF und des Projektträgers in der Vergangenheit. Das zweistufige Verfahren hieß hier immer: Wissenschaftliche Begutachtung der Skizze in der ersten Runde, nach der die Förderempfehlung steht. Der Hauptantrag ist dann in 99% Formsache gewesen. Den Bruch mit dieser Praxis zu monieren ist eben kein Ausdruck von Naivität seitens der Forschenden, sondern des krassen Vertrauensbruchs seitens des Ministeriums.
J. Melanie (Mittwoch, 27 Juli 2022 11:04)
Lieber Frederik, die von Ihnen genannten „99 %“ sind vielleicht aus eigener Erfahrung als Antragsteller abgeleitet. Sie entsprechen allerdings nicht den Tatsachen in der Breite. Eine Projektskizze, die typischerweise 12-15 Seiten umfasst, dient der Vorstellung einer Idee zu einem Forschungsprojekt. Zumeist bleiben gerade methodische Fragen in dieser Phase noch sehr vage. Häufig werden von den Gutachtenden dazu Auflagen, zumindest Hinweise erteilt, die für ein konkretes Konzept zunächst noch überzeugend umzusetzen sind. Auf dem Weg zu dem eigentlichen und wesentlich umfangreicheren Projektantrag (der eher 40 Seiten umfasst) kann in unterschiedlichster Hinsicht noch viel passieren. Erst im zweiten Schritt findet für viele Antragsteller/innen erst eine tiefere Konzeption und Planung des Forschungsvorhabens statt. Zum Teil unterscheiden sich Projektskizze und Vollantrag im Ergebnis dann sogar deutlich voneinander. Insofern ist sowohl juristisch als auch Arbeits praktisch kein Gleichschluss der beiden Stufen zulässig bzw. naheliegend. Die Projektträger vermitteln den Antragsteller/innen dies auch im Rahmen der Antragsberatung und wecken dabei, soweit mir bekannt ist, ganz bewusst auch keine falschen Erwartungen. Das ist es, was Sie mit den „99%“ hier hingegen leider vermitteln.
Frederik Elwert (Mittwoch, 27 Juli 2022 16:43)
Liebe Melanie, das von Ihnen geschilderte Vorgehen entspricht tatsächlich überhaupt nicht meiner Erfahrung, zumal beim BMBF die Frist für die Einreichung des Hauptantrags regelmäßig so knapp bemessen ist, dass hier kaum substanzielle Änderungen möglich sind. Mir ist durchaus bewusst, dass zweistufige Verfahren bei anderen Förderern einen ganz anderen Charakter haben und dort tatsächlich eine gestufte Auswahl stattfindet. Das versteht auch jeder und hätte kaum die nun zu beobachtenden Reaktionen hervorgerufen.
Raphael Wimmer (Mittwoch, 27 Juli 2022 17:57)
Ich muss Herrn Elwert da zustimmen - auch meiner eigenen und sekundären Erfahrung im Bereich Informatik nach konnte man bisher beim BMBF davon ausgehen, dass der Förderantrag nur noch Formsache ist. Falls dies bei einer Ausschreibung nicht der Fall war, wurde explizit darauf hingewiesen.