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Post aus dem BMBF

Viele Forschungsprojekte zu Corona und Rechtsextremismus sollen mit monatelanger Verzögerung nun doch gefördert werden, bestätigt das Ministerium von Bettina Stark-Watzinger. Andere werden dagegen gestrichen.

DIE ERSTEN MAILS aus dem Ministerium kamen am Montagabend. Adressaten: die Antragsteller verschiedener BMBF-Förderrichtlinien, die seit Wochen auf eine Ansage warten, ob sie nun mit Mitteln rechnen können oder nicht. Jetzt, so scheint es, ist die Hängepartie vorüber. Mit positivem Ausgang für viele, aber längst nicht für alle. Denn vor allem die Corona-Forschungsmittel werden stark gekürzt.

 

"Trotz der schwierigen Haushaltslage", heißt es in den Schreiben aus dem Haus von Bettina Stark-Watzinger (FDP), "haben wir alles unternommen, damit keine laufenden Forschungsvorhaben abgebrochen werden müssen und möglichst viele beantragte Projekte gefördert werden können." Man bedaure die dadurch entstandenen Verzögerungen, doch: "Im Ergebnis, ist es uns gelungen, die Finanzierung der Förderrichtlinie...sicherzustellen."

 

Auf Anfrage bestätigt das BMBF, dass es "eine reduzierte Förderung der Projekte im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich" ab 2023 geben werde. Das betreffe die Förderrichtlinien zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie, zum Rechtsextremismus und zur DDR-Forschung. Konkret stünden für die Corona-Forschung 50 Prozent der beantragten Mittel zur Verfügung, insgesamt rund zehn Millionen Euro, bei der Forschung zum Rechtsextremismus sei es "nahezu" der volle Umfang, in Summe etwa 27 Millionen.

 

In den Briefen aus dem Ministerium an die Antragsteller heißt es weiter, Stark-Watzinger habe sich "persönlich dafür stark gemacht", dass die Fördermittel kämen.

 

"Fahler Nachgeschmack"

 

Doch bringt der Start 2023 in vielen Fällen eine monatelange Verzögerung. Vor allem aber bedeutet eine Ausstattung der Corona-Förderlinie mit nur 50 Prozent eben auch, dass etwa die Hälfte der diesbezüglichen 32 Forschungsprojekte gestrichen wird. Eine solche Aussage gab es aus dem BMBF zunächst nicht explizit, doch bestätigt das Ministerium, dass alle jetzt offiziell bewilligten Projekte zur Corona-Forschung 90 Prozent der von ihnen beantragten Fördersumme erhalten. 

 

Finanziell weniger dramatisch dürften die Auswirkungen in der Rechtsextremismus-Forschung sein, da hier durch die Bank 95 Prozent der beantragten Mittel gezahlt werden sollen.

 

Unter denen, die Montagabend positive Nachrichten erhielten, befinden sich Gudrun Hentges und Nicole Bögelein von der Universität zu Köln. Sie können ihre in der Förderlinie zur Rechtsextremismus-Forschung beantragten Projekte jetzt zwar zum 1. Januar 2023 starten, doch bleibe "ein fahler Nachgeschmack", sagt Bögelein. Eigentlich hätte ihre Forschung zu institutionellem Rassismus in der Justiz schon zum 1. Juli losgehen sollen. "Meine Mitarbeiterin wird einige Monate arbeitslos sein, das Vertrauen bleibt angekratzt." Darüber, dass das Projekt jetzt überhaupt durchgeführt werden könne, sei sie allerdings "sehr, sehr froh".

 

Ähnlich äußert sich Paula-Irene Villa Braslavsky, Soziologin an der Universität München, deren Projekt zum 1. Februar 2023 beginnen kann. Sie sei "ambivalent" in ihrer Einschätzung. Einerseits sei es für das Ministerium eine unwägbare Haushaltslage, "da ist nachvollziehbar, dass es Kürzungen geben muss". Auch sei anerkennenswert, dass die Ministerin in dieser Situation Geld für die Förderlinien herausgeholt habe. "Umgekehrt bleibt es falsch, bei einem so zentralen und wenig beforschten Thema wie der gesellschaftlichen Dimension der Corona-Pandemie satte 50 Prozent der Fördermittel zu streichen, und es ist auch im Lichte neuer Ausgaben, die das BMBF gleichzeitig tätigt, nicht nachvollziehbar. Insofern bin ich auch enttäuscht."

 

Der Forschungsfördertitel für die Geistes- und Sozialwissenschaften im BMBF-Haushalt soll nächstes Jahr insgesamt um zehn Prozent auf knapp 95 Millionen Euro sinken. Der Titelansatz für "Gesellschaftswissenschaften für Nachhaltigkeit" fällt sogar um knapp knapp ein Viertel auf 43 Millionen Euro ab.

 

"Das Glas ist mehr als halbvoll"

 

Nicole Bögelein sagt zur gestrigen BMBF Entscheidung: "Ohne den öffentlichen Druck hätte das nicht geklappt". Auch Villa Braslavsky sieht einen Erfolg der öffentlichen Debatten in den vergangenen Wochen. "Wir haben nicht zugelassen, dass unsere bereits positiv begutachteten Forschungsprojekten geräuschlos weggekürzt werden. Wir haben thematisiert, wie uns das BMBF im Regen stehen gelassen hat, und wir haben gezeigt, wie wichtig unsere Forschung ist."

 

Die Kehrseite thematisierte heute Morgen die Berliner Psychologieprofessorin Jule Specht auf Twitter: "Weitere Kürzungen" beim BMBF, schrieb sie. "Die Hälfte der im Januar in Aussicht gestellten Förderungen zu gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie wird abgesagt, bei den verbliebenen Projekten wird der Projektstart um 7 Monate verzögert." 

 

Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), kommentierte am Vormittag: "Endlich Klarheit." Die Zu- und Absagen seien jetzt zugestellt. "Das Glas ist mehr als halbvoll. Ein Vertrauensverlust bleibt: Karrieren werden verletzt, Forschungsfragen nicht bearbeitet." BMBF und Projektträger müssten daraus lernen. "Das darf nicht noch mal passieren."

 

Zudem bleiben Fragen offen. Zum Beispiel diese: Wie wurde ausgewählte, welche der – allesamt bereits positiv begutachteten – Projekte zur Corona-Forschung nun gefördert werden und welche nicht? Erste Antragsteller machen ihre ebenfalls gestern erhaltenen Absagen bereits öffentlich.

 

Das Ministerium kündigt ausführliches Statement an

 

Das BMBF wollte sich noch am Dienstag ausführlich äußern. Gestern hatte der parlamentarische Staatssekretär im BMBF, Jens Brandenburg (FDP) eine baldige Entscheidung angekündigt. "Natürlich brauchen die Forschenden zeitnah Planungssicherheit", sagte er. "Wir werden das daher sehr kurzfristig noch im Juli entscheiden und kommunizieren."

 

Vor gut zehn Tagen hatte das Ministerium bereits mitgeteilt, dass die verzögerten Bewilligungen in der Förderlinie "Innovative Frauen im Fokus" auf den Weg gebracht würden. Während in der Förderrichtlinie "Sprache der Objekte" zwei geplante zwei Anschlussvorhaben, mit denen Ergebnisse der vorangegangenen Arbeiten im Rahmen von Ausstellungen vermittelt werden sollten, "nicht wie geplant" gefördert würden. Den Förderschwerpunkt "BioTip" beendet das BMBF zwei Jahre früher als eigentlich vorgesehen, alle vorhandenen Projekte seien bis zum Ende ihrer Laufzeit im Februar 2023 gesichert. 

 

Derweil wartet Paula-Irene Villa Braslavsky trotzdem noch auf Post. Denn zwar habe sie als individuelle Antragstellerin Nachricht bekommen, allerdings warte sie als Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS) weiter auf eine Antwort aus dem BMBF. In ihrem Schreiben hatte sie um eine Erläuterung der Kürzungen im Einzelnen und die Angabe aller betroffenen Projekte gebeten. "Ich gehe davon aus, dass diese Antwort aus dem BMBF jetzt auch bald kommt", sagt Villa Braslavsky.

 

Nachtrag am 26. Juli, 15.30
BMBF veröffentlicht weitere Informationen
zur Entscheidung

 

Auf seiner Website gab das Ministerium am Nachmittag weitere Einzelheiten bekannt. 18 von 32 Projekten der Förderrichtlinie zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sollen demzufolge geförderten werden. Sie erhalten wie berichtet von Februar 2023 an 90 Prozent der beantragten Fördersumme. Die Zusage erfolge "auf Grundlage der Ergebnisse der wissenschaftsgeleiteten Begutachtung" – was eine eigenwillige Formulierung ist, die sicherlich zu Nachfragen führen wird. Denn positiv begutachtet worden waren alle 32 Projekte. 

 

Die Förderlinien  "Aktuelle und historische Dynamiken von Rechtsextremismus und Rassismus" und "Nachwuchsgruppen im Rahmen der Rechtsextremismus- und Rassismusforschung" sollen wie ebenfalls berichtet "in nahezu vollem Umfange "finanziert werden, und zwar von Januar 2023 an. Konkret sollen 19 Forschungsprojekte und fünf Nachwuchsgruppen 95 Prozent der beantragten Fördersumme erhalten, eine Nachwuchsgruppe geht leer aus. Auch hier folgt der Satz, die Entscheidung sei "auf Grundlage der Ergebnisse der wissenschaftsgeleiteten Begutachtung" getroffen worden.

 

Denjenigen Projekte zur DDR-Forschung, die bislang noch keine Verlängerung erhalten hätten, finanziert das BMBF "bei pandemiebedingten Verzögerungen im Projektablauf" Laufzeitverlängerungen und ggf. Aufstockungen" im Umfang von vier Monaten.

 

In Summe kürzt das Ministerium die Corona-Förderrichtlinie um die Hälfte auf rund zehn Millionen Euro, für die Rechtsextremismus- und Rassismus-Forschungsprojekte sowie die Nachwuchsgruppen stehen 27,3 Millionen Euro zur Verfügung (hier fehlt ein Vergleichswert). Für die DDR-Forschung will das BMBF 1,3 Millionen Euro zusätzlich zahlen.

 

Ministerin Bettina Stark-Watzinger wird mit dem Statement zitiert, dass die BMBF-Bemühungen um die Finanzierung möglichst vieler Projekte Zeit gekostet habe, wodurch es zu "bedauerlichen Verzögerungen" gekommen sei, auch wenn, wie Stark-Watzinger erneut betonte, es "keine formalen Förderzusagen" gegeben habe. Es sei gelungen, die Förderung der Projekte im sozial- und geisteswissenschaftlichen Bereich "in reduziertem Umfang" ab 2023 sicherzustellen. Das betreffe vor allem die Forschung zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie und zu Rechtsextremismus und Rassismus, "die mir besonders wichtig ist". Die Projektverantwortlichen habe das Ministerium bereits informiert, "damit sie entsprechend planen können".

 

Der Artikel wurde am 26. Juli mehrfach aktualisiert.


In eigener Sache


"Einfach nicht hinzunehmen"

Was bedeuten abgesagte Forschungsprojekte für die Antragsteller? Nach der BMBF-Entscheidung vom Dienstag melden sich mehr oder mehr Forschende zu Wort, deren Projekte trotz positiver Begutachtung abgelehnt wurden. Sie üben teilweise heftige Kritik am Ministerium. (26. Juli 2022) >>>


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Kommentare: 2
  • #1

    Jule Specht (Dienstag, 26 Juli 2022 16:59)

    "18 von 32 Projekten der Förderrichtlinie zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie sollen demzufolge geförderten werden. Sie erhalten wie berichtet von Februar 2023 an 90 Prozent der beantragten Fördersumme. Die Zusage erfolge "auf Grundlage der Ergebnisse der wissenschaftsgeleiteten Begutachtung" – was eine eigenwillige Formulierung ist, die sicherlich zu Nachfragen führen wird."

    Eine in der Tat eigenwillige Formulierung, vor allem, wenn man bedenkt, dass es in dieser Förderlinie über 400 Anträge gab, von denen 32 auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Begutachtung zur Förderung ausgewählt wurden, von denen nun aber nur 18 tatsächlich gefördert werden.

    Das heißt: Von den Projekten, denen im Januar eine Förderung konkret in Aussicht gestellt wurde, werden nun nur noch etwa 50% gefördert, während die anderen 50% abgesagt werden. Von den ursprünglichen Anträgen werden damit weniger als 5% tatsächlich gefördert.

  • #2

    Interessierte (Donnerstag, 28 Juli 2022 08:04)

    Im Text fällt mir auf, dass vor allem Frauen von der Kürzung betroffen zu sein scheinen. Es kann sich hier um eine verzerrte Darstellung handeln. Dann frage ich mich aber auch, warum sich mal wieder vor allem Frauen kritisch öffentlich zu Wort melden und damit negative Folgen risikieren und die Herren sich bedeckt halten? Oder ist vielleicht doch die Forschung von Frauen eher von Kürzungen betroffen?