Deutschland steckt in der Modernisierungskrise. Was hat das mit seinen Ingenieurwissenschaften und Technischen Universitäten zu tun? Die TU9-Präsidentinnen Tanja Brühl und Angela Ittel über die Suche nach einem neuen Selbstverständnis, die Macht der alten Zirkel und ihre Erwartungen an die Wissenschaftspolitik.
Tanja Brühl (links) und Angela Ittel. Fotos: TU9/Arnoldt.
Frau Brühl, Frau Ittel, in der Coronakrise war der Ruf nach der Wissenschaft lauter als je zuvor. Jetzt herrschen Ukrainekrieg und Rekordinflation, die öffentlichen Haushalte müssen sparen. Heißt das, auch die staatlich finanzierten Hochschulen und Forschungsinstitute geraten wieder unter einen stärkeren Rechtfertigungsdruck?
Tanja Brühl: Ein klares Nein!
Angela Ittel: Ich finde schon. Natürlich hat die Wissenschaft Impact. Aber die Wissenschaftsinstitutionen werden plötzlich ganz anders hinterfragt. Sie müssen viel stärker unter Beweis stellen, dass sie die Steuergelder bestmöglich einsetzen. Dass das Wissenschaftssystem so, wie es gegenwärtig organisiert ist, den Herausforderungen noch gewachsen ist. Mit all seinen Hierarchien und zum Teil überkomplexen Abläufen.
Brühl: Wo wir uns einig sind: In Zeiten knapper Steuergelder wird die Frage nach deren Verwendung viel drängender gestellt. Ich glaube aber, wir können sie selbstbewusst beantworten. Die Wissenschaft hat heute stärker denn je eine gesellschaftliche Verantwortung und nimmt sie auch wahr.
"Ein klar
normatives Leitbild"
Was heißt das konkret?
Brühl: Das heißt, dass Wissenschaft heute andere Lösungen bieten muss als früher. Als TU9 mit ihrem Schwerpunkt in den Ingenieurwissenschaften arbeiten wir deshalb an einem neuen Leitbild, das die Bedeutung von Forschung und Lehre im Sinne der gesellschaftlichen Nachhaltigkeitsziele in den Vordergrund rückt. Ein klar normatives Leitbild.
Wie ist denn ein solches Leitbild mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar?
Ittel: Ein Leitbild gibt nicht vor, welche Art von Forschung erlaubt ist und welche nicht. Es formuliert einen gemeinsamen Wertekanon, warum wir Wissenschaft betreiben. Zu welchem gesellschaftlichen Zweck – und was konkret wir mit unserer Forschung und Lehre erreichen wollen. An der TU Braunschweig verlangen wir bereits jetzt von allen Lehrenden zu sagen, welche Nachhaltigkeitsziele sie konkret in ihrer Lehre bedienen.
Die Politikwissenschaftlerin Tanja Brühl (links) ist Präsidentin der TU Darmstadt, die Psychologin Angela Ittel (rechts) Präsidentin der TU
Braunschweig. Beide wurden im Juli 2022 einstimmig zum Vorstand der TU9-Allianz gewählt. In der TU9 sind seit 2006 neun große Technische Universitäten vereint, die allesamt schon vor dem Jahr 1900 gegründet wurden. Es handelt sich neben Darmstadt und Braunschweig um die RWTH Aachen, die Technischen Universitäten von Berlin, Dresden und München, die Universitäten Hannover und Stuttgart und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Wenn Sie die Wissenschaftsfreiheit nicht einschränken wollen, kann in einem solchen Wertekanon ja nicht viel mehr drinstehen als das Bekenntnis zu dem, was das Grundgesetz ohnehin schon vorgibt.
Brühl: Die Nachhaltigkeitsziele sind nicht im Grundgesetz enthalten.
Der Begriff nicht. Aber wenn man Nachhaltigkeit als Sicherung der Zukunft für die Gesellschaft definiert, dann inhaltlich sicherlich schon.
Ittel: Und Universitäten haben sich schon immer mit der Sicherung der Zukunft beschäftigt, das ist richtig. Aber es geht um mehr als solche Allgemeinplätze. Es geht darum, die UN-Nachhaltigkeitsziele dezidiert umzusetzen und eine Debatte an den Universitäten anzustoßen, was sie für unser Selbstverständnis bedeuten. Vor zehn Jahren wäre eine solche Debatte in der Tat noch mit dem Hinweis auf die Wissenschaftsfreiheit abgebügelt worden. Fälschlicherweise wohlgemerkt. Jetzt sind wir weiter.
Brühl: Die ambivalente Rolle von Technik und Technologien wird heute anders wahrgenommen – was mit dem menschengemachten Klimawandel zusammenhängt, dessen Dramatik erst seit ein paar Jahren in der Breite wirklich wahrgenommen wird. Lange Zeit war Technik mit dem ungebrochenen Versprechen einer besseren Zukunft verbunden. Jetzt wissen wir: Der technische Fortschritt auch durch die Wissenschaft gehört zu den Mitverursachern der Krise. Die wiederum, und das ist die Kehrseite, sich ohne Technik und ohne die Mitwirkung der Wissenschaft nicht wird lösen lassen. Diesem Verantwortungsethos müssen wir uns als Technische Universitäten stellen und es in die Öffentlichkeit transportieren.
"Aus den Universitäten kommt auch die
veränderte Wahrnehmung der Rolle, die Wissenschaft heute spielen möchte und spielen muss."
Wann werden Sie das neue TU9-Leitbild präsentieren?
Brühl: In wenigen Monaten. Die Zeit drängt. Ohne schon ins Detail gehen zu können: Es gibt neben der abstrakten immer auch die konkrete Projektebene. Die Auswirkungen unseres gemeinsamen Leitbilds auf die jetzt auszuarbeitenden Exzellenzcluster-Anträge zum Beispiel – die auch die ökonomischen und energiepolitischen Implikationen in den Blick nehmen.
Und wie wehren Sie sich gegen den Vorwurf, dass die TU9 opportunistisch auf die Nachhaltigkeitsdebatte aufspringen – weil die in der Forschungsförderung halt gerade angesagt ist?
Ittel: Entspannt. Wenn sich hinter den Begriffen nichts Neues verbirgt, würde das schnell auffallen. Wenn wir zum Beispiel mit rein ingenieur- oder technikwissenschaftlichen Clusteranträgen kämen und die Frage der gesellschaftlichen Implikationen nur Staffage wäre. Das wird nicht passieren, das kann ich Ihnen versichern.
Brühl: Ein solcher Vorwurf würde zudem implizieren, dass der Wissenschaft die Nachhaltigkeitsdebatte von außen aufgezwungen worden wäre. Mitnichten! Denken Sie an Scientists for Future. Die kommen aus Wissenschaftseinrichtungen. Aus den Universitäten kommt auch die veränderte Wahrnehmung der Rolle, die Wissenschaft heute spielen möchte und spielen muss.
Sie tun so, als gäbe es da in den Universitäten eine einheitliche Linie. Als gehörte die Nachhaltigkeitsdebatte nicht zu den kontroversesten in der Wissenschaft überhaupt.
Brühl: Ich kann ehrlicherweise bei uns in Darmstadt keine Konfliktlinie sehen bei dem Thema. Und erst recht nicht, wie so oft behauptet wird, einen Konflikt zwischen den Generationen.
Erstaunlich. Wenn ich über Nachhaltigkeitsforschung berichte, stammen die kritischen Reaktionen meistens von älteren Männern, die nicht selten ingenieurwissenschaftliche Lehrstühle bekleiden.
Ittel: Diese kritischen Stimmen gibt es überall. Da müssen wir gegenhalten, da sind wir in der Führung der Universitäten gefragt. Nur ist mein Eindruck, dass sie an den Universitäten inzwischen in die Defensive geraten – und aus der gestalterischen Verantwortung raus sind.
"Wenn im Ergebnis jetzt vier von neun
TU9-Präsidentinnen weiblich sind, kommen wir dem gesellschaftlichen Anteil näher."
Vier der TU-Mitgliederuniversitäten werden inzwischen von Frauen geleitet. Und waren die Chefs früher Ingenieurwissenschaftler, so sind Sie, Frau Brühl, Politologin und Sie, Frau Ittel, Psychologin. Was bedeutet das, wenn Ihre Professorenschaft immer noch Dreiviertel männlich ist und die inneruniversitäre Macht der Ingenieurwissenschaften ungebrochen?
Ittel: Der Führungswechsel, den Sie da beschreiben, gibt es nicht nur bei uns, den TU9. Er vollzieht sich bei Technischen Universitäten international – sowohl was den Frauenanteil angeht als auch den fachlichen Hintergrund. Das hängt mit einem neuen Leitungsverständnis zusammen, und da spreche ich kurz mal als Psychologin: Für den Erfolg einer Universität kommt es weniger auf die fachliche und stärker auf die strategische Führung an. Auf eine Personalführung, die die Bedarfe aller Bereiche und Fächer gleichermaßen berücksichtigt.
Brühl: Da hat sich Grundsätzliches geändert in den vergangenen 15 Jahren. Viele Universitäten rekrutieren ihr Führungspersonal heute von anderen Hochschulen. Es wird also professionelles Management gesucht, das unabhängig ist von den bestehenden Machtstrukturen und das genug Expertise und Überzeugungskraft hat, um die nötigen Innovationen anzustoßen. Weshalb der fachliche Hintergrund im Grunde völlig egal ist. Wenn im Ergebnis jetzt vier von neun TU9-Präsidentinnen weiblich sind, kommen wir dem gesellschaftlichen Anteil näher.
Das in der Wissenschaft meist favorisierte Kaskadenmodell – eine allmähliche Erhöhung des Frauenanteils von unten nach oben – zur Abwechslung also mal andersherum?
Brühl: Wenn Sie so wollen. Ich halte es im Sinne einer größeren Chancengleichheit über alle Ebenen der Universität hinweg für immens wichtig, dass es Role Models an der Spitze gibt, die zeigen: Wir sind Frauen, die Wissenschaftlerinnen sind und Familie haben. Das ist wichtig.
Die Inflation lag 2022 auf Rekordhöhe. Es drohen Rekord-Tarifabschlüsse im öffentlichen Dienst, die die Hochschulhaushalte zusätzlich zu den hohen Energiekosten weiter belasten werden. Finstere Aussichten?
Brühl: Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass die Lage anders ist als vor zwei Jahren. Die Koalition in Berlin hat mit der Dynamisierung des Zukunftsvertrags Studium und Lehre (ZSL) das Zeichen gesetzt, dass Wissenschaft und Hochschulen finanzpolitisch sehr wohl ernstgenommen werden.
"Es lässt sich nicht mehr so unbeschwert forschen und nachdenken, wenn über einer Institution ständig diese Bedrohung finanzieller Not hängt."
Was sind die drei Prozent mehr noch wert, wenn die Preise und Gehälter zwei- oder dreimal so schnell steigen?
Brühl: Wir brauchen diese drei Prozent. Aber wir brauchen mehr. Im Bund, vor allem aber auch in den einzelnen Bundesländern.
Wobei Sie da in Hessen im Vergleich etwa zu Niedersachen mit einem Plus von jährlich vier Prozent auf die Landesmittel noch sehr komfortabel da stehen.
Brühl: Wofür wir sehr dankbar sind! Allerdings sehen wir schon, dass die süddeutschen Länder in der Krise noch deutlich stärker entlasten. Wir freuen uns mit den Hochschulen in Bayern und Baden-Württemberg, aber natürlich führt das zu einer Wettbewerbsverzerrung. Etwa bei der Exzellenzstrategie. Wenn der Gürtel zu eng geschnallt wird, kann ich nicht mehr viel Zukunft machen.
Ittel: Es macht schon etwas mit uns Hochschulen in Niedersachsen und anderswo, wenn wir wissen, dass andere Bundesländer ihre Hochschulen stark entlasten und wir im Vergleich dazu wenig oder nichts abbekommen. Ich merke bei uns in Braunschweig ganz deutlich die Unruhe, die das hervorruft. Und die Unsicherheit. Es lässt sich nicht mehr so unbeschwert forschen und nachdenken, wenn über einer Institution ständig diese Bedrohung finanzieller Not hängt.
Gehört es nicht zu Ihren Führungsaufgaben als Präsidentinnen, ihre Universitäten in so einer Lage durch eigene Anstrengungen handlungsfähig zu halten?
Ittel: Das tun wir ja alle. Alle unsere Universitäten zeichnen auf, einige täglich, wieviel Energie sie einsparen. Das sind enorme Mengen, und das halte ich für einen wichtigen Beitrag zu unserer haushaltspolitischen Stabilität genau wie zur notwendigen Energiewende. Gleichzeitig realisieren wir als Gesellschaft und als Universitäten, wieviel Energie wir lange Zeit aus dem Fenster rausgeschmissen haben. Eine ganz andere Sache ist, dass wir energieintensive Forschung betreiben, und die dürfen wir nicht wegsparen.
"Die Art, wie wir im Augenblick Energie sparen,
lässt sich nicht ewig so fortsetzen. Sonst schaden
wir der Wissenschaft."
Brühl: Aber auch da fragen wir uns schon, wie häufig wir etwa den Teilchenbeschleuniger nutzen müssen. Oder ob es wirklich nötig ist, alle Kalkulationen durch den Hochleistungsrechner laufen zu lassen. Da verändert sich bei uns allen die Haltung. Richtig ist aber auch: Die Art, wie wir im Augenblick Energie sparen, um durch diesen und durch den nächsten Winter zu kommen, lässt sich nicht ewig so fortsetzen. Sonst schaden wir der Wissenschaft. Und aktuell dürfen wir nicht nachlassen in unserem Drängen, als Universitäten doch noch in die Härtefallregelung des Bundes hineinzukommen.
Die bislang auf die außeruniversitären Forschungseinrichtungen beschränkt ist. Glauben Sie, da geht noch was?
Brühl: Wir können als Technische Universitäten sehr klar belegen, dass bei uns ein besonders hoher Anteil an energieintensiver Forschung stattfindet. Es wird dazu eine Anhörung im Bundestagsforschungsausschuss geben. Und als optimistische Menschen gehen wir davon aus, dass man handwerkliche Fehler noch im Nachhinein beseitigen kann.
Ittel: Nicht nur, weil wir Optimisten sind, sondern weil wir ganz überzeugend darstellen können, dass der Bedarf unabweisbar besteht.
Können Sie genauso überzeugend darstellen, dass Sie als Technische Universitäten nicht nur viel Energie verbrauchen, sondern – ganz im Sinne Ihrer beschworenen Nachhaltigkeitsziele – auch den ganzheitlichen Ansatz für die Lösung der Energiekrise zu bieten haben?
Brühl: Hier muss man unterscheiden zwischen der Forschung zu kurzfristigen Energiesparmaßnahmen, zu Effizienzsteigerungen und dem Einsatz schnell verfügbarer Speichertechnologien. Das ist die eine Seite. Die andere ist, dass wir unser gesamtes Wirtschaften als Gesellschaft neu denken müssen in Richtung einer Kreislaufwirtschaft mit regenerativen Energien und geschlossenen Rohstoffkreisläufen. Das können Sie nicht als Einzelkämpfer, auch nicht als eine große Technische Universität. Das leisten wir nur im Verbund, unter der gemeinsamen Nutzung großer Versuchsanlagen. Als Technische Universitäten fungieren wir da als große Denkfabriken, an denen Neues ausprobiert und gelernt wird.
Ittel: Nur in dieser Zusammenarbeit, in der Verbundforschung und auch mit der Politik werden wir das große Bild, das Sie zu Recht fordern, liefern können. Im Moment erzielen wir wichtige Fortschritte. Aber diese Erkenntnisse müssen wir noch besser zusammenführen, daran arbeiten wir.
Haben die TU9 auch eine gemeinsame Antwort auf die strategische Frage, ob wir die Nutzung der Atomenergie weiter verlängern sollten?
Brühl: Die Position aus der Wissenschaft ist, auf regenerative Energien zu setzen. Die Frage, ob und wie lange man die Nutzung der Atomenergie verlängern sollte, ist dagegen eine politische Frage. Wissenschaftlich scheint sie mir längst beantwortet. Ich kenne kein einziges Forschungsprojekt, das Neuerungen auf dem Feld der Atomforschung vorantreibt. Jenseits der Kernfusion, versteht sich, die ist aber ein Thema für sich.
"Sie werden von uns kein Plädoyer für
Militärforschung hören, sondern nur für
gesellschaftlich relevante Forschung."
Und wie ist das mit der Militärforschung? Die sicherheitspolitische Lage hat sich grundlegend verändert, die Bundeswehr steht vor Investitionen in zwei- oder dreistelligen Milliardenbeträgen. Da wird viel Forschung nötig werden. Sind die TU9 dafür offen?
Ittel: Sie werden von uns kein Plädoyer für Militärforschung hören, sondern nur für gesellschaftlich relevante Forschung.
Es gibt Politiker, die würden sagen: Militärforschung ist gesellschaftlich relevante Forschung.
Brühl: Das erscheint mir etwas undifferenziert. Wir müssen die Debatte genauer führen. Das fängt mit den Zivilklauseln an, die sich einige der TU9-Universitäten gegeben haben. Die besagen, dass die Forschung friedlichen Zwecken dienen muss. Sie besagen nicht, dass die Bundeswehr nie Auftraggeber sein kann. Am Ende geht es um dieselbe Frage, die wir am Anfang diskutiert haben: Welche Verantwortung tragen wir als Universitäten? Was erforschen wir mit welchen möglichen Effekten? Natürlich müssen wir als Technische Universitäten da besonders aufmerksam sein, deshalb haben alle unsere Hochschulen Ethikkommissionen oder ähnliche Institutionen eingerichtet.
Ittel: So ist es! Wir reden nicht über Militärforschung, die hat kaum Relevanz für Technische Universitäten. Wir reden über die Bedeutung von Dual Use. Und da müssen wir für jeden Einzelfall genau hinschauen und abwägen.
Ist es mit dem genauen Hinschauen und Abwägen ziemlich schnell vorbei, wenn demnächst die Bundeswehr-Milliarden winken?
Brühl: Das würde implizieren, dass wir als Forschungseinrichtungen, sobald das Geld knapp wird, jeden Cent nehmen, der sich uns bietet, ganz gleich, welche Verpflichtung mit ihm einhergeht. Wir lassen uns aber nicht kaufen. Wir betreiben aus uns selbst heraus die Forschung, die wir für wichtig und relevant halten.
Ittel: Ich sehe unsere Rolle als Hochschulleitungen darin zu sensibilisieren: in Bezug auf die Militärforschung genauso wie etwa bei der Zusammenarbeit mit China, wo es auch wichtig ist, sich die Hintergründe und den Impact jedes einzelnen Projekts genau anzuschauen.
Der Streit zwischen Hochschulen für angewandte Wissenschaften und TU9 um den Zugang zu den Fördergeldern der geplanten Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) ist derweil spürbar abgeflacht. Weil Sie nicht mehr damit rechnen, dass viel zu holen sein wird?
Brühl: Das ist die Wahrnehmung, ja. Aber unabhängig davon, wieviel frisches Geld in eine noch zu gründende DATI fließt, geht es bei der Debatte auch ums Prinzip. Innovation entsteht aus wirklich disruptiven Ideen. Und die beruhen meist auf Erkenntnissen der Grundlagenforschung, wie sie besonders an Universitäten und speziell den Technischen Universitäten geschieht. Wer die Förderung der DATI deshalb von einer bestimmten Höchst-Studierendenzahl abhängig machen will, wird damit alles Mögliche erreichen. Aber nicht die bestmögliche Innovationsförderung.
Ittel: Wenn wir als größte und forschungsstärkste Universitäten nur über Umwege oder indem wir mit einer HAW zusammenarbeiten an Fördergelder kommen sollten, wäre das nicht nur das falsche Signal. Das würde uns auch ratlos vor einer solchen Entscheidung der Wissenschaftspolitik stehen lassen.
"Der Politik scheint es bei der DATI, wenn um Innovation, nur um eine Innovationshilfe
für kleinere Hochschulen zu gehen."
Ist diese Botschaft Ihres Erachtens im Bundesforschungsministerium angekommen?
Ittel: Ich denke: ja. Nur scheint die Politik in Wirklichkeit andere Ziele zu verfolgen, als sie sagt. Ihr scheint es, wenn um Innovation, nur um eine Innovationshilfe für kleinere Hochschulen zu gehen. Aber so wird die DATI sicherlich nicht der große Wurf, den Deutschland in der jetzigen Situation bräuchte. Na, warten wir mal ab. Vielleicht tut sich ja noch was.
Um die Chancen kleinerer Universitäten zu stärken, haben Bund und Länder auch die Regeln beim Exzellenzcluster-Wettbewerb geändert. Wiederum zum Nachteil der großen Technischen Universitäten?
Ittel: Das sehe ich anders. Diese neuen Regeln sind wie für uns gemacht, weil sie die Interdisziplinarität und die gesellschaftliche Relevanz stärker in den Vordergrund stellen. Schon jetzt sind TU9-Universitäten an fast der Hälfte aller Exzellenzcluster beteiligt. Ich glaube, in der nächsten Runde schneiden wir noch stärker ab.
Wenn man Sie so reden hört, kann man den Eindruck bekommen, dass Sie als TU9 ziemlich zufrieden mit sich selbst sind – ein geschlossener Club, der seine Interessen gegen andere durchsetzt und keine neuen Partner aufnimmt.
Brühl: Dass wir neun große Technische Universitäten sind und neun große Technische Universitäten bleiben, ist einfach der Tatsache geschuldet, dass wir die einzigen Hochschulen mit diesen Charakteristika sind. Weshalb sich der Austausch zwischen uns besonders lohnt. Aber keine Sorge, wir bleiben trotzdem offen. Zum Beispiel treffen wir uns regelmäßig mit unseren Kolleginnen und Kollegen von anderen Technischen Universitäten in Deutschland und Europa sowie mit der German U15. Die in vielen Belangen der TU9 sehr ähnlich sind. Und wir entwickeln uns selbst als Allianz weiter. Nicht in die Breite, aber in die Tiefe. Indem wir unseren Austausch auf immer neue Ebenen erweitert haben.
Ittel: Das macht unsere Allianz so wirksam. Wir Hochschulleitungen wechseln alle paar Jahre, aber die Menschen, die die operative Arbeit machen, bleiben oft über einen sehr langen Zeitraum und prägen die Geschicke einer Universität. Weshalb sich inzwischen nicht nur die Präsidentinnen und Vizepräsidentinnen der verschiedenen Ressorts regelmäßig treffen, sondern auch die Leitungen der internationalen Büros, die Gleichstellungsbeauftragten und so weiter. Solche Runden wiederum sind nur produktiv, wenn der Kreis nicht zu groß wird. Nein, neun bleibt eine gute Zahl.
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Bewunderer:in (Mittwoch, 01 Februar 2023 17:10)
Ein interessantes Interview mit zwei tollen Präsidentinnen, die ihre Universitäten voranbringen und auch die schwierigen Themen nicht scheuen (Dual Use, TU9). Danke für den Einblick in die Themen der TU9.
Nikolaus Bourdos (Freitag, 10 Februar 2023 11:28)
Sorry, aber selbstverständlich wurde die Nachhaltigkeitsdebatte den Hochschulen von außen aufgezwungen. Wie so Vieles andere auch. Und die Scientists for Future sind nicht repräsentativ für "die Wissenschaft".
McFischer (Montag, 13 Februar 2023 15:22)
Tolles Interview mit zwei starken Präsidentinnen! Ich glaube nicht, dass der klassische männliche Maschinenbauer an der Spitze einer TU so reflektiert auf die eigene Hochschule geschaut hätte.