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Die WissZeitVG-Eckpunkte sollen "zurück in die Montagehalle", verkündete das BMBF am Sonntagabend. Eine bemerkenswerte Reaktion auf immer lauter werdende Proteste. Warum ist es so gekommen? Und wie sollte es jetzt weitergehen? Ein Kommentar.

MAN KANN sich vorstellen, wie am Wochenende die Telefondrähte heißgelaufen sind zwischen der BMBF-Spitze und den zuständigen Ampel-Wissenschaftspolitikern. Vor allem in den sozialen Medien steigerte sich die Erregung über die am Freitagnachmittag verkündeten Pläne zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) immer weiter, Streikaufrufe wurden abgesetzt, mehr als 400 Professorinnen und Professoren solidarisierten sich bis zum Sonntagabend per Offenen Brief unter dem Hashtag "#ProfsfürHanna" mit den Protesten. Und während sich einzelne Abgeordnete, die an der Ausarbeitung der WissZeitVG-Eckpunkte mitgewirkt hatten, noch Twitter-Scharmützel mit Kritikern lieferten, muss im BMBF am Sonntagnachmittag die Entscheidung gefallen sein: Die Debatte läuft uns aus dem Ruder. Wir müssen jetzt reagieren. 

 

Um 17.58 Uhr setzte der parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg einen Tweet ab. "Der Koalitionsvorschlag zur Reform des #WissZeitVG hat eine Diskussion vor allem zur Höchstdauer der Postdoc-Qualifizierungsbefristung ausgelöst, die wir sehr ernst nehmen", schrieb er. Der "Koalitionsvorschlag" wohlgemerkt – während das Ministerium am Freitagnachmittag noch auf seiner Website meldete: "Das BMBF hat heute seinen Vorschlag für eine Reform des WissZeitVG vorgelegt". Doch das nur am Rande, die entscheidende Botschaft folgte in den nächsten Sätzen: "Schon die Stakeholder-Beteiligung hat uns gezeigt, dass die Erwartungen hier weit auseinandergehen. Umso wichtiger ist es, diese Frage vor Fertigstellung des Referentenentwurfs noch einmal zu debattieren. Wir werden kurzfristig dazu einladen."

 

14 Minuten später meldete sich der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, zu Wort. Es sei "vernünftig", auf die Debatte "nicht mit Verweigerung, sondern mit Diskussionsangeboten zu reagieren", daher werde man vor dem Referentenentwurf noch einmal eine "kompakte Diskussion" eröffnen. 

 

Exakt zeitgleich setzte die beamtete Staatssekretärin im BMBF, Sabine Döring, noch einen drauf und machte deutlich, dass es bei der angekündigten Nachbesserung voraussichtlich um mehr gehen wird als nur ein weiteres Stakeholder-Gespräch oder aber nur den einen – besonders umstrittenen – Passus. "Mein Fazit zu den Reaktionen auf den Vorschlag zum #WissZeitVG", schrieb sie auf Twitter: "Ein Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen wird es nicht tun. Wir brauchen eine neue geteilte Vision." Auf die Nachfrage, ob sie als Staatssekretärin damit gerade die Novellierung des Gesetzes abgesagt habe und ob nun eine gemeinsame Visionssuche unter Federführung des BMBF starten werde, antwortete Döring: "Das heißt, es geht zurück in die Montagehalle."

 

Die Logik des politischen
Mittelwegs ist gescheitert

 

Es ist eine erstaunliche und so nicht zu erwartende Entwicklung – hatten BMBF und Ampel doch mit dem Argument, sie hätten sich ausreichend Zeit nehmen wollen, um es "richtig" zu machen und allen Akteuren zuzuhören, den Beschluss der Eckpunkte überhaupt erst immer weiter nach hinten geschoben. Am Donnerstag dann, nach dem letzten von zahlreichen Gesprächen zwischen Ministeriumsspitze und den zuständigen Wissenschaftspolitikern der Ampel-Fraktionen, fühlte man sich dann offenbar eingeschworen genug, um mit dem gefundenen Kompromiss an die Öffentlichkeit zu gehen. Und um ihn gegen die zu erwartenden Proteste von beiden Seiten zu verteidigen: die der Beschäftigten und die der Hochschulen. 

 

Doch haben sich die Verantwortlichen, wie es scheint, an entscheidender Stelle verschätzt. Die Logik ihrer Eckpunkte war die Logik eines parteipolitischen Kompromisses, die Logik des Ausgleichens offensichtlich entgegengesetzter Interessen durch die Formulierung eines Mittelweges. Nur dass ein solches "Treffen in der Mitte" genau dann zum Scheitern verurteilt ist, wenn es – wie in diesem Falle – zu einem Fehlen jeder in sich stimmigen Linie und Strategie führt. Weshalb die Proteste auch von viel mehr als nur zwei Seiten kamen, aus allen Teilen der Wissenschaft, verbreitet und unterstützt von Alena Buyx über Hedwig Richter und Elif Oezmen bis hin zu Carlo Masala.  

 

Am Beispiel der von Brandenburg angesprochenen Höchstdauer der Postdoc-Qualifizierungsbefristung lässt sich das gut nachvollziehen. Bislang sind es sechs Jahre. "#IchbinHanna", andere Initiativen und die GEW forderten dagegen, den Postdoc ganz aus dem Geltungsbereich des WissZeitVG herauszunehmen – also gar keine Befristung mehr nach der Promotion. Als Mitte zwischen beiden Positionen die drei Jahre zu nehmen, ist dann aber absurd. Weil dieses vermeintlich halbe Entgegenkommen in einer ganzen lebensplanerischen Katastrophe resultieren würde für die betroffenen Postdocs, die nun nur noch drei statt sechs Jahre hätten im Rennen um den Dauerverbleib in einem ansonsten unveränderten Wissenschaftssystem. 

 

Und für die Hochschulen, die mit ihren (nicht überall, aber doch weit verbreiteten) Befristungsstrategien wahrscheinlich (und befördert durch ihre meist zu geringe Grundfinanzierung) erst einmal weitergemacht hätten wie bisher, hätte die Regelung einen erheblichen wissenschaftlichen Niveauverlust und Brain Drain bedeutet. Weil die wenigsten Wissenschaftler:innen in den drei Jahren ihre Weiterqualifikation hätten abschließen und erst recht nicht auch noch erfolgreich Auswahl- und Berufungsverfahren hätten durchlaufen können.

 

Die respektable Flucht 

des BMBF nach vorn

 

Doch genau das wäre von ihnen verlangt worden, weil der Drei-Jahres-Kompromiss auf absehbare Zeit keinen Bruch für das bisherige Stellensystem bedeutet hätte, sondern nur eine Verengung. Diese Verengung hätte zwar am Ende auch zu der bereits jetzt nötigen Komplett-Revision der Karrierewege geführt, aber um einen nochmals um vieles höheren Preis für Wissenschaftler und Wissenschaft. 

 

Das heißt nicht, dass BMBF und Ampel-Politiker es nicht besser gewollt haben. Das heißt aber, dass es angesichts der Proteste einzusehen galt, dass es so nicht gehen kann. Und das ist ja das Bemerkenswerte: Sie haben es eingesehen. Und eingeräumt. Nur 51 Stunden nach Bekanntgabe der Eckpunkte. Das ist so richtig wie wichtig und respektabel. Zugleich zeigt es eindrucksvoll, welche Mobilisierungsmacht die Bewegung hinter "#IchbinHanna" inzwischen gewonnen hat. Vor allem sollte die Reaktion des BMBF aber in der Wissenschaftsszene als Zeichen von Ernsthaftigkeit verstanden werden. Eine Ernsthaftigkeit, die nun alle Akteure in die Nach-Eckpunkte-Zeit führt.

 

In der jetzt übrigens keineswegs alles so kommen wird und muss, wie das "#IchbinHanna", die GEW oder andere gefordert haben. Auch die Vorstellungen und Ideen der Hochschulrektorenkonferenz werden weiter eine Rolle spielen. Im Grunde muss es jetzt aber um etwas ganz Anderes gehen als, wie die Tweets von Jens Brandenburg und Oliver Kaczmarek insinuierten, nur darum, die nächste Runde im Stakeholder-Prozess einzuläuten. 

 

Es braucht jetzt ein von
Grund auf neues Gesetz

 

Und genau diesem Anderen sind BMBF und Ampel seit Sonntagabend hoffentlich näher als je zu vor. Anstatt sich besserwisserisch-trotzig hinter ihrem Papier zu verbarrikadieren, haben sie mutig die Flucht nach vorn angetreten. Den größeren Teil des Weges sind sie damit gegangen. Der Rest muss jetzt folgen: Anders als in all den Monaten seit Beginn der ersten Stakeholder-Dialoge können und müssen sie sich jetzt wirklich frei machen von den gedanklichen Begrenzungen des alten Gesetzes.

 

Sie können nach dem suchen, was Staatssekretärin Döring als "eine neue geteilte Vision" bezeichnete. Ein neues Gesetz von Grund auf. Das einem Gesamtkonzept folgt, anstatt dem Versuch, als Reaktion auf die Proteste nur einzelne ihrer Eckpunkte "heilen" zu wollen. Und dieses Gesamtkonzept muss lauten: Wir müssen die wissenschaftlichen Karrierewege neu denken. Wir müssen den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt neu denken. Und das Wissenschaftszeitvertragsgesetz kann dafür die Grundlage sein. 

 

Es brauche veränderte Stellenprofile, eine neue Balance zwischen grund- und drittmittelfinanzierter Forschung und das Lernen von anderen Systemen, merkte Heike Solga, die Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats, am Sonntagabend auf Twitter an.  Solange die strukturellen Probleme nicht systematisch angegangen würden, "wird kein arbeitsrechtliches Instrument (wie das #WissZeitVG) Karrierewege und -chancen verbessern." Sie unterstütze die "#ProfsfürHanna", betonte Solga.

 

Apropos Wissenschaftsrat: "Wir haben mit dem Wissenschaftsrat, vor allem seiner wissenschaftlichen Kommission und der Geschäftsstelle, kompetente Akteure, die man einbinden sollte", schrieb ebenfalls am Sonntagabend der bekannte Berliner Soziologe Steffen Mau, der früher im Wissenschaftsrat saß. "Genau für solche Fälle sind sie da und haben sich in der Vergangenheit schon intensiv mit diesen Fragen beschäftigt."

 

Ein bedenkenswerter Vorschlag, weil dann Bund (Zuständigkeit: WissZeitVG) und Länder (Zuständigkeit: Hochschulgesetze) gleichermaßen eingebunden wären. Der Wissenschaftsrat könnte zudem die vielfältigen Interessen anders anhören und moderieren als ein Ministerium.

 

Ja, das würde die Reform noch einmal merklich verzögern. Vielleicht zu lang, dieser Einwand ist valide. Aber die Vorstellung des Wissenschaftsrats als neue "Montagehalle" sollte zumindest die Folie sein, die klar macht, worauf es nun ankommt: nicht auf ein paar Korrekturen an Details, sondern auf ein mutiges Gesamtkonzept. 


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Kommentare: 13
  • #1

    JP Teitinger (Sonntag, 19 März 2023 22:36)

    Danke für die Zusammenfassung! Dazu zwei Ergänzungen:
    - Die Frage "am Rande" (war es ein Koalitionsentwurf oder ein Ministeriumsentwurf) ist durchaus bedeutsam. Wie konnte es zu diesem Unfall kommen, und was sagt das über die wissenschaftspolitische Expertise der Beteiligten aus, wenn so offenkundig die längst bekannten und weithin kommunizierten Bedürfnisse und Forderungen der Betroffenen vollständig aus dem Blick genommen werden? Wie kann es sein, dass Beteiligte offen auf Twitter sagen, sie hätten mit den entsprechenden Gruppen gar nicht gesprochen oder deren Forderungen seien nicht zu ihnen durchgedrungen? Das berührt grundsätzlich die Qualität der Arbeit der beteiligten Fachpolitiker*innen.
    - Was bislang zu wenig durchdringt: Welche Regelung auch immer gefunden wird, es geht um Arbeitnehmerschutz. Es wird darum gehen, den bisher verbreiteten Missbrauch der gesetzlichen Lücken durch die Arbeitgeber (=Hochschulleitungen) zu beenden. Dazu müssen den Universitäten Vorgaben gemacht, Pflichten auferlegt und Grenzen gesetzt werden, die einklagbar sind. Das ist wahrscheinlich insbesondere für die FDP ein schwer zu schluckender Brocken, denn die möchte bekanntlich hin zu einer stärkeren Ökonomisierung des Wissenschaftssystem insgesamt. Da sind nach Gutdünken waltende Arbeitgeber auf Unternehmerart gerade recht und billig. Dass es die nicht mehr geben kann, zeigt der eindrucksvolle Protest.
    Heißt für den künftigen Prozess:
    Die Wissenschaftspolitik muss verstehen, dass die HRK nicht die allgemeine Interessensvertretung der gesamten Hochschulen ist, sondern eine Arbeitgebervertretung. Und genauso ist sie zu behandeln.

  • #2

    ln2 (Montag, 20 März 2023 09:40)

    @JP Teitinger: Vielleicht vertritt aber der WR die größere Gruppe an Interessen, im Vergleich zur Minderheit die auf Twitter etc einfach nur lauter ruft als die anderen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass im naturweissenschaftlichen Breich oder bei Ingenieuren mit Fassungslosigkeit auf die geforderten Einschränkungen der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit. Vor allem betroffene Postdocs (oft aus dem Ausland) haben kein Verständnis für Gesetze und Vorschriften, die ihnen verbieten, so lange wie sie möchten auf einem Gebiet zu arbeiten...im Zweifel so lange bis die wissenschaftliche Frage geklärt ist.

  • #3

    Aus einer Berliner Uni (Montag, 20 März 2023 10:16)


    Mir fällt vor allem auf, dass der gesamte MINT Bereich in der Unterschriftenliste unter den offenen Brief "Nivellierung statt Novellierung" extrem unterrepräsentiert ist. Das bestätigt meine Erfahrung, dass die Situation in MINT und in den Geisteswissenschaften vollkommen unterschiedlich ist und auch vollkommen unterschiedlich empfunden wird. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Vorstellung aufzugeben, dass es "die Wissenschaft" gibt und in der alle gleich und bzgl Karriereplanung gleich zu behandeln sind. Es verhandeln ja auch nicht die Tarifparteien in der Metallbranche gemeinsam mit den Postzustellern, der IG Bau, oder den Gebäudereinigern.

    Beste Grüße aus Berlin

  • #4

    Kaiser (Montag, 20 März 2023 10:35)

    Schöne Zusammenfassung - Danke! Montagehalle ist meiner Ansicht nicht weitgehend genug, eher zurück in die „F&E“.

  • #5

    BUSchneider (Montag, 20 März 2023 13:30)

    Andere Kommentatoren haben es schon angemerkt: Die Kampagnen "#IchbinHanna" und jetzt auch "#ProfsfürHanna" werden vorrangig von einer Fachkultur (Sozialwissenschaften) und dort vorrangig von einem Fach (Soziologie) getragen.

    Natürlich sind diese Fächer wichtig - aber vorrangig die Gesellschaft und die durch sie repräsentierte Politik muss entscheiden, in welchem Umfang. Alleine die Unterschriftenliste unter den genannten offenen Brief zeigt die zahlenmäßig sehr breite Aufstellung dieser Fachkultur - andere Fächer können davon und von einer solchen Mobilisierungsfähigkeit nur träumen. Auch die Verankerung dieser Fächer in Gewerkschaften und Wissenschaftsorganisationen ist signifikant.

    Die Forderung nach Dauerstellen und einem Befristungsrecht, welches dieses ermöglicht, ist aus der Binnensicht dieser Fächer verständlich. Aber ist das auch im Sinne der Gesellschaft als Ganzes? Denn am Ende bezahlt der Steuerzahler die Dauerstellen.

    Es droht ein "Teufelskreis": Diese "weichen" Fächer haben schon jetzt viele Studierende, deren begrenzte Berufschancen führen zu einem "Drang" als Wissenschaftler in die Hochschulen, die nun Dauerstellen fordern. Dies erhöht dann die Lehrkapazität in den Fächern und führt damit wieder zu mehr Studierenden.

    Auf der anderen Seite gehen die "harten" Fächer und insbesondere die MINT-Fächer in der Diskussion vollständig unter. Diese bestimmen aber wesentlich die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft. In diesen Fächern gibt es ganz andere Sorgen. Hier stellt sich nicht die Frage nach Dauerstellen, sondern wie die vorhandenen Stellen kompetent besetzt werden können und wie der Rückgang der Studierendenzahlen gestoppt werden kann.

    Auch der viel beklagte "brain drain" sollte differenziert gesehen werden. Es ist eine zentrale Aufgabe der Hochschulen, genau diesen "brain drain" zu schaffen - nämlich in Form von hochqualifizieren Absolventen aller Qualifizierungsstufen für Aufgaben in der Gesellschaft. Dauerstellen in der Wissenschaft dürfen nicht der Ersatz für nicht vorhandene (und damit nicht benötigte) Stellen außerhalb des Wissenschaftssystems sein.

    Es bleibt nur zu hoffen, dass die Politik die Notwendigkeiten der Gesellschaft im Auge behält und nicht die - sehr geschickt und laut agierenden - Partikularinteressen einzelner Fächer und ein Befristungsrecht schafft, dass die ganze Breite der Fächer entsprechend ihrem jeweiligen Bedarf abdeckt.

  • #6

    René Krempkow (Montag, 20 März 2023 16:32)

    Es gibt derzeit viel Aufregung im Web hierzu. Ich versuche deshalb, möglichst kühl die Frage zu beantworten: Kann die Regierungskoalition mit den vorgelegten Eckpunkten die formulierten Ziele des Koalitionsvertrags erfüllen? Dies will ich anhand von zwei zentralen Versprechen mit Zahlen und Fakten prüfen:

    1. Zum Knüpfen der "Vertragslaufzeiten von Promotionsstellen an die gesamte erwartbare Projektlaufzeit“: Dazu heißt es im Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs (BuWiN 2021), die Promotionsdauer betrage im Durchschnitt 5,7 Jahre (ohne Medizin, die eine Sonderrolle einnimmt). Dies geht aus vorliegenden Befragungsstudien hervor. Doch selbst wenn man diese anzweifelt (s. auch selbstkritisch BuWiN 2021: 136f.), spiegeln drei Jahre auch nach einer anderen Berechnungsvariante die reale Promotionsdauer nur unzureichend wider. Dies ergibt sich aus einer jüngsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes (2022) zur Statistik der Promovierenden (online unter www.destatis.de). Daraus geht hervor, dass es in drei Jahren gerade einmal etwa die Hälfe der Promovierenden schafft. Es sind fünf Jahre nötig, damit zumindest drei Viertel der Promovierenden es schaffen, ihre Promotion erfolgreich abzuschließen (und das wohlgemerkt gerechnet ab offizieller Bestätigung der Anmeldung der Promovierenden). Die drei Jahre Mindestvertragslaufzeit bei Erstverträgen für Doktoranden können daher zwar als Schritt in die richtige Richtung gelten, sie reichen aber bei weitem nicht aus. Denn selbst bei sehr optimistischer Hoffnung auf eine deutliche Reduzierung der promotionsfremden Dienstleistungen für Professor*innen (wofür es bei weiter bestehenden Mehrfachabhängigkeiten Promovierender keinen Grund gibt), dürften selbst bei durch Begabtenförderwerke Geförderten, die noch am ehesten die nötige größere Unabhängigkeit haben, nach vorliegenden Erfahrungen vier Jahre für viele zu knapp sein.

    2. Zum "darauf Hinwirken, dass in der Wissenschaft Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden": Zwar hat das BMBF (unter Vorgängerregierungen) das Tenure-Tack-Programm geschaffen, mit dem 1.000 zusätzliche Tenure-Track-Professuren gefördert werden sollen (bis 2032). Allerdings ist dies gemessen an der mindestens einer halben Million (Nachwuchs-)Forschenden nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ (Krempkow 2021). Zudem ist – wie schon in früheren Förderprogrammen - nicht wirksam sichergestellt, dass es am Ende tatsächlich zusätzliche Stellen sind, weil die Bundesländer bzw. ihre Hochschulen dies z.B. durch Einsparungen an anderen Stellen unterlaufen können. Über die 1.000 Tenure-Track-Professuren hinaus hat das BMBF bisher keinerlei Planungen (mitgeteilt), ob und ggf. wieviele Dauerstellen für Daueraufgaben durch seine Initiative(n) geschaffen werden sollen, was z.B. durch eine deutliche Ausweitung von Tenure-Track-Stellen geschehen könnte (mit 6 Jahren Höchstbefristungsdauer, auf die die drei Jahre maximale Postdoc-Zeit anzurechnen wären). Grundsätzlich möglich wäre dies, indem z.B. die von der SPD ins Spiel gebrachten zusätzlichen 300 Mio Euro Fördergeld für die Hochschulen daran geknüpft würden, dass zusätzliche Dauerstellen für Daueraufgaben geschaffen werden. Der oft von der HRK und ihr nahestehendem Professorium gebrauchten „Verstopfungs“-Metapher für künftige (Nachwuchs-)Forschende ist zu entgegnen: „Verstopfung“ kann nur eintreten, wenn erstens eine weitgehend altershomogene Gruppe eingestellt wird (Altersdiskriminierung sollte es aber ohnehin nicht geben) und zweitens keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten genutzt würden (z.B. in der Privatwirtschaft, wovon aber angesichts des erwarteten und z.T. bereits deutlich spürbaren Fachkräftemangels auszugehen ist).

    Fazit:
    Das Eckpunktepapier des BMBF kann nur enttäuschen, wenn man es am Koalitionsvertrag misst. Es kann nur als Farce anmuten, wenn eine Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für Promovierte mit der Schaffung frühzeitiger Perspektiven begründet wird, ohne zugleich Planungen zu Dauerstellen für Daueraufgaben vorzulegen.
    Zugleich sollte man jetzt nicht „das Kind mit dem Bade ausschütten“, sondern an die z.T. vorhandenen Schritte in die richtige Richtung anknüpfen, wozu es im Eckpunktepapier durchaus noch ein paar mehr gibt (obgleich kleine). Statt einer m.E. in der regierenden Koalition unrealistischen kompletten Abschaffung des WissZeitVG sind daher konkrete Forderungen an den anstehenden Referentenentwurf zu stellen, insbesondere folgende vier:
    - nicht unter vier Jahre Mindestvertragslaufzeit bei Erstverträgen für Doktoranden;
    ...

  • #7

    René Krempkow (Montag, 20 März 2023 16:33)

    ... [Fortsetzung von obigem Kommentar]

    - Verkürzung der Höchstbefristungsdauer für Promovierte auf drei Jahre nur bei gleichzeitiger Schaffung einer deutlich breiteren Basis von Dauerstellen für Daueraufgaben, z.B. mindestens zehn Prozentpunkte mehr unbefristete Stellen (oder mit Tenure Track unter Anrechnung der Postdoc-Zeit) in einer überschaubaren Zahl von Jahren (z.B. eine Legislaturperiode, max. zwei), in diese Richtung gingen übrigens auch frühere Vorschläge des Wissenschaftsrats (2014);
    - Abschaffung der Tarifsperre, so dass die Tarifpartner – wie in anderen Branchen auch – frei über die angemessensten tariflichen Regelungen verhandeln können;
    - Veröffentlichung der Ergebnisse der Evaluation des Gesetzes ca. 5 Jahre nach Inkrafttreten und rechtzeitig vor der entspr. nächsten Bundestagswahl (voraussichtlich 2029).

    Dies sind hier bewusst zunächst Forderungen, die auch kurzfristig umsetzbar sein sollten. Dies spricht m.E. aber keineswegs dagegen, nach dem zu "suchen, was Staatssekretärin Döring als "eine neue geteilte Vision" bezeichnete. Ein neues Gesetz von Grund auf."
    Vielmehr ist m.E. beides nötig: Pragmatische Reparatur, um bis zur "Werkstatt" zu kommen, und dann Neuaufbau des maroden Vehikels von Grund auf. ;-)

  • #8

    aus dem MINT Bereich (Montag, 20 März 2023 17:11)

    Ich kann im Übrigen nicht bestätigen, dass die Forderung nach mehr Dauerstellen hauptsächlich nur Geisteswissenschaften betrifft. Im Gegenteil: Ich beobachte, dass man die Abwanderung ins Ausland oder in die Industrie im MINT Bereich einfach als selbstverständlich hinnimmt. Der Unterschied zu den Geisteswissenschaften mag sein, dass hier die Jobsuche nach Beendigung der akademischen Karriere erfolgreicher ist, aber viele extrem kompetente und gut ausgebildete Menschen verlassen die Akademie ungern, werden aber durch die Umstände dazu gezwungen. Niemand aus den MINT-Fächern schafft es in nur wenigen Jahren genug Arbeit aufzubauen, um danach zu einer festen Stelle berufen werden zu können. Und auch hier sind diese Stellen rar und begehrt. Wenn ich nur dazu zurück denke, wie improvisiert Praktika und andere Lehrveranstaltungen laufen, wird mir wirklich schwindelig. Für diese Aufgaben braucht es viel mehr unbefristete Dauerstellen!

  • #9

    Eric Marioth (Montag, 20 März 2023 17:38)

    Mann kann die Debatte um das WissZeitVG stark verkürzen, in dem man sich die interpretierende Rechtsprechung anschaut:
    1. Es besteht dringender bedarf den Begriff der "Qualifizierung" auf das einzig sinnvolle akademische Ausbildungsziel der Promotion zu begrenzen. Für den dann folgenden Karriereschritt der Habilitation ist eine Befristung nicht nötig, schließlich handelt es sich um Personal, das im Unibetrieb verbleiben möchte und offenbar auch dafür geeignet ist zu habilitieren.
    2. Die Drittmittelbefristung des WissZeitVG wurde im Eckpunktepapier überhaupt nicht erwähnt. Sie ist im TzBfG ausreichend bedacht, eine Notwendigkeit besteht nur aus Gründen der Bequemlichkeit der Arbeitgeberseite sich nach 2 Jahren entscheiden zu müssen, ob jemand entfristet werden solle (was im Übrigen ja der Regelfall eines Arbeitsverhältnisses ist).
    3. 3 Jahre als Mindestlaufzeit für Verträge mit dem Ziel der Promotion als "SOLL" Vorschrift ist ein Affront. Soll-Vorschriften wurden in dem Gesetz immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten und schafft Unsicherheit.
    Was man mit Recht vom BMBF erwarten kann, ist ein Entwurf, der die bestehenden, bekannten Unsicherheiten eliminiert. Und der den Beruf der Wissenschaftlerin oder des Wissenschaftlers in den gleichen Schutzraum anderer Arbeitnehmenden hebt.

  • #10

    Michael Liebendörfer (Montag, 20 März 2023)

    Die Kommentare hier sind substanziell, danke an alle!

    Die Fachspezifika kann man m.E. nicht länger ausblenden (vgl. #3, #5). Die Fächer unterscheiden sich erheblich, z.B. hinsichtlich Habilitation, außeruniversitärem Arbeitsmarkt, Dauer bis zur Fähigkeit, wirklich eigenständig zu forschen, oder Notwendigkeit von Forschung in Teams.

    Die "geteilte Vision" kann ich mir kaum über alle Fächer identisch vorstellen. Teils aber werden dieselben Lösungen für verschiedene Probleme funktionieren. Frühere Karrieresicherheit könnte in MINT die Uni-Karriere attraktiver für die Besten machen und in der Soziologie den schmerzlichen Abschied erträglicher.

    Ohnehin ist auffällig, dass sich die Diskussion vor allem um Bleibeperspektiven dreht, wo klar ist, dass aktuell 90% und selbst nach Einrichtung vieler Dauerstellen wohl noch 80% jedes Promoviertenjahrgangs die Wissenschaft verlassen müssen. Hier werden Hoffnungen genährt, die natürlich zu großer Enttäuschung führen. Wir brauchen eine ehrliche Debatte, wie es für die vielen gehen soll, die die Wissenschaft verlassen müssen, aber bitte nicht gekränt, ausgebrannt oder mit dem Gefühl, ausgenutzt worden zu sein. Dazu wird auch gehören, zu antizipieren, dass mit TzBfG, Vertretungsregelungen, Stipendien, ALG 1, Ausland, Vertretungsprofessuren etc. viele versuchen werden, weiterhin im System zu bleiben.
    Hier übrigens setzen die #ProfsfürHanna eher auf noch mehr als 6+6 Jahre ("Im Eckpunktepapier des BMBF sind die möglichen 12 Jahre [...] statt verlängert, auf 9 Jahre verkürzt worden"), während #ichbinHanna 6+0 will. Es gibt viel zu diskutieren.

  • #11

    Lehramtshanna (Montag, 20 März 2023 19:10)

    Den Beitrag von BUSchneider möchte ich als Vertreterin eines als "weich" bezeichneten Faches (Germanistik - Lehramt) so nicht stehen lassen und gebe Folgendes zu bedenken:

    Wollen Sie, dass an deutschen Universitäten die Lehrkräfte von morgen wie bisher von mehrheitlich fast gleichaltrigen Doktorand:innen und jungen Postdocs "ausgebildet" werden, die sich im Kampf um eine unbefristete WiMi-Stelle oder eine Juniorprofessur ein Engagement für gute Lehre kaum leisten können?

    Wer will, dass seine eigenen Kinder in der Schule von gutqualifizierten Lehrkräften unterrichtet werden, sollte in der universitären Lehramtsausbildung endlich mit dem Befristen, Sparen und Prekarisieren aufhören. Gerade hier werden erfahrene Dozent:innen auf unbefristeten Stellen benötigt, die neben der Lehre auch auf dem aktuellen Stand der Forschung sind und z.B. aktiv neue digitale Lernformen entwickeln und beforschen können. - Stattdessen will das BMBF Postdocs nun schon nach drei Jahren aus der Lehramtsausbildung drängen? Wer in den drei Jahren eine Habil schreiben will (ein durchnittliches Bewerbungsverfahren auf eine Professur dauert ja schon 1-3 Jahre), hätte überhaupt keine Zeit mehr für die Lehre zu verlieren.

    Der Eckpunktevorschlag schadet dem deutschen Bildungssystem immens.
    An unserem Institut sind gerade wieder zwei Fachdidaktik-Expert:innen/erfahrene Postdocs aufgrund des WissZVG vor die Tür gesetzt worden. Für diese kommen nun zwei Berufsanfänger:innen nach, die sich Fachwissen, Lehre und Forschungsprojekte erst neu erarbeiten müssen. Dieser Kreislauf soll sich jetzt statt max. alle 12, nun max. alle 9 Jahre wiederholen?

    Auch in anderen Fächern gilt die Lehre, die ein Rückgrat der deutschen Bildungsgesellschaft und der Fachkräfteentwicklung darstellen sollte, als Hindernis im Wettlauf um die Professur. Es muss endlich mehr unbefristete Stellen für WiMis im Mittelbau geben, die sich ernsthaft der Ausbildung unserer Student:innen widmen können, ohne die eigene Karriere gefährden zu müssen. Und dazu gehören eben nicht Hochdeputatsstellen mit 12-18 SWS Lehre sondern Stellen unterhalb der Professur, die genügend Zeit für eigene Forschung erlauben, um gute, aktuelle Lehre anbieten zu können. - Die Qualität von Studium und Lehre an deutschen Unis, die zum größten Teil ja von WiMis bestritten wird, ist durch das WissZVG schon jetzt massiv gefährdet.

    Abschließend: Wer brilliante Postdocs aus dem Ausland gewinnen will und ihnen sagt, wenn ihr nach drei (oder jetzt sechs Jahren) keine Professur habt, dürft ihr an deutschen Unis nicht mehr arbeiten, erzielt sicherlich keinen "brain gain". Der Wissenschaftsstandort Deutschland schottet sich vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels durch noch restriktivere und prekärere Arbeitsbedingungen eher noch stärker ab als bisher.

  • #12

    Wie bitte? (Dienstag, 21 März 2023 10:49)

    @Eric Marioth: Ich zitiere Sie: "Für den dann folgenden Karriereschritt der Habilitation ist eine Befristung nicht nötig, schließlich handelt es sich um Personal, das im Unibetrieb verbleiben möchte und offenbar auch dafür geeignet ist zu habilitieren."

    Wie kommen Sie denn auf diese Idee? Die Mehrheit der Leute, die nach Promotion im Unibetrieb verbleiben wollen, ist dafür ungeeignet, was die Forschung und fortgeschrittene Lehre betrifft. Da tummelt sich eine riesige Menge an Mittelmaessigkeit, die typischerweise unter falschen Versprechungen ihrer Betreuer animiert werden, weiterzumachen.

  • #13

    Eric Marioth (Dienstag, 31 Oktober 2023 18:28)

    @Wie bitte?
    ...der Habilitation folgt ja nicht zwingend ein Ruf. Aber Sie haben recht, in der universitären Realität kenne ich mich nicht ausreichend aus, um eine generelle Einschätzung über die wissenschaftliche Exzellenz der dort beschäftigten Mitarbeitenden zu geben. Meine vielleicht naive Schlussfolgerung war: Wer als Post-Doc weiter beschäftigt werden soll, hat schließlich eine Qualifikation nachzuweisen, die für eine Habilitation vorauszusetzen ist. Wer diese aus Sicht der aufnehmenden Institution nicht besitzt, soll auch nicht als Post-Doc eingestellt werden. Diese Praxis sollte sich meiner Meinung nach durchsetzen, um genau das zu verhindern, was Sie beschreiben und zur Zeit oft bedauerliche Praxis ist: Wissenschaftler*innen ohne akademisches Karrierepotenzial werden zu lange an den Institutionen gehalten, um nach Ende einer langen Befristungskarriere festzustellen, dass es für einen Ruf nicht reichen wird. Dann ist der Wechsel in den nicht-akademischen Bereich aber schon schwierig, weil entweder "überqualifiziert" oder es wird unterstellt, dass die Kandidat*innen nicht mehr formbar oder flexibel genug sind sich auf neue Arbeitsbedingungen in der Industrie einzustellen.