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Willkommen in Deutschland

Deutsche Forscher gehen dieses Jahr leer aus bei den Nobelpreisen. Doch Deutschlands Wissenschaft ist wettbewerbsfähig wie lange nicht, zieht mehr Forschende und Studierende aus dem Ausland an als je zuvor. Welche Baustellen bleiben.

Innenansicht der TU München in Garching. Foto: TobiasK, CC BY-SA 4.0.

DIESES JAHR gab es keinen Nobelpreis für eine Deutsche oder einen Deutschen, und trotzdem konnte Deutschlands Wissenschaft feiern. Weil Ferenc Krausz, Preisträger im Fach Physik, in der Bundesrepublik forscht, genauer am Max-Planck-Institut für Quantenoptik bei München. Weil Katalin Karikó, wie Krausz gebürtige Ungarin und ausgezeichnet mit dem Medizin-Nobelpreis, bis Ende 2022 neun Jahre lang als Senior Vice President bei Biontech in Mainz fungierte.

 

Hier setzt sich ein Muster der vergangenen Jahre fort. 2022: Der Schwede Svantje Pääbo, den seine wissenschaftliche Karriere 1990 nach Deutschland führte, wird mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. 2020: Die Französin Emmanuelle Charpentier, seit 2013 in Deutschland, erhält den Chemie-Nobelpreis. Hinzu kamen in den vergangenen drei Jahren drei neue deutsche Preisträger, die ebenfalls in Deutschland arbeiten oder bis zu ihrer Emeritierung hier gearbeitet haben: Benjamin List (Chemie), Reinhard Genzel und Klaus Hasselmann (beide Physik).

 

Sieben Belege für eine Schlussfolgerung: Deutschlands Wissenschaft kann mit der internationalen Spitze mithalten, ein beachtlicher Anteil der internationalen Spitzenforscher hat sich zudem – zumindest für einen wichtigen Teil ihrer Karriere – Deutschland als Wirkungsstätte ausgesucht. Besondere Anziehungskraft übt dabei traditionell die Max-Planck-Gesellschaft aus: Bis auf Karikó haben oder hatten alle oben genannten Preisträger in der MPG ihr wissenschaftliches Zuhause. 

 

Nur in die USA und nach Großbritannien
wollen mehr internationale Studierende

 

Doch die Anziehungskraft der deutschen Wissenschaft geht weit über Max Planck hinaus, sie besteht vor allem in dem dichten Geflecht aus Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten. Eine besonders erfolgreiche Vermittlerrolle spielt dabei die Alexander-von-Humboldt-Stiftung (AvH). Diese Woche feierte sie per Pressemitteilung, dass bereits 61 Forscherinnen und Forscher aus ihrem weltweiten Geförderten-Netzwerk einen Nobelpreis erhalten hätten – was bedeutet, dass sie einen kürzeren oder längeren Teil ihrer Forschung an deutschen Wissenschaftseinrichtungen und Universitäten geleistet haben. Aktueller Anlass für den AvH-Freudenausbruch war die Verleihung des Physik-Nobelpreises an Pierre Agostini und des Chemie-Nobelpreises an Alexei Ekimov. Beide waren Empfänger des Humboldt-Forschungspreises. 

 

Passend zu all dem meldeten BMBF und Deutscher Akademischer Austauschdienst (DAAD) bereits Ende September, dass Deutschland im vergangenen Wintersemester erstmals auch auf Platz drei der beliebtesten Studienländer weltweit aufgestiegen ist, hinter den USA und Großbritannien. Rund 368.000 internationale Studierende waren an Deutschlands Hochschulen immatrikuliert – mehr als je zu vor, die Corona-Delle ist passé. Damit verdrängte die Bundesrepublik Australien vom Treppchen.

 

Nachzulesen ist die Zahl in der neuen Publikation von "Wissenschaft weltoffen", die der DAAD  gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erarbeitet und, gefördert vom BMBF, herausgibt. 

 

29 Prozent mehr internationale Wissenschaftler
an den Unis, 50 Prozent mehr bei Max Planck

 

Diese jährliche Inventur des internationalen Wissenschaftsaustauschs enthält weitere gute Nachrichten. Etwa die, dass beim Vergleich ausgewählter OECD-Länder Deutschland vor Kanada die beste Bleibequote unter den internationalen Studienanfängern hat, die 2010 gekommen sind: 45 Prozent waren zehn Jahre später noch da. In Kanada waren es 44 Prozent, in Schweden 22 Prozent, in Großbritannien 16 und in Dänemark zwei Prozent.

 

Das spricht für die – zumindest 2020 herrschende – deutsche Willkommenskultur und die großzügige Rechtslage bei der Arbeitsaufnahme nach dem Studium: Anderthalb Jahre Zeit haben Studierende aus Nicht-EU-Ländern, um nach ihrem Abschluss in Deutschland einen Job zu finden. Wie sich die schärfer werdende Debatte über Zuwanderung, die längst den politischen Mainstream erreicht hat, auswirkt, bleibt indes abzuwarten.

 

Spannend an den "Wissenschaft weltoffen"- Statistiken ist auch, dass die Herkunft der internationalen Studierenden in Deutschland sehr divers ist. Zwar stellten auch hierzulande Indien (erstmals vorn) und China zusammen gut ein Fünftel, doch ist das wenig im Vergleich zu den USA und Australien, wo allein Studierende aus diesen beiden Länder knapp die Hälfte ausmachen. 

 

Nicht weniger bemerkenswert ist, dass die Zahl der an Deutschlands Hochschulen tätigen internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allein zwischen 2016 und 2021 um 29 Prozent zugenommen hat – auf über 59.000, was mittlerweile fast einem Siebtel des gesamten Wissenschaftspersonals entspricht. Wiederum nur in den USA und Großbritannien arbeiten mehr Forschende mit ausländischem Pass.

 

Noch stärker wuchs, wenig überraschend, das internationale Personal an den vier großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen von Max Planck bis Helmholtz: um satte 50 Prozent auf knapp 16.000. Bei der MPG liegt der internationale Anteil mit 52 Prozent wiederum am höchsten, Helmholtz (29 Prozent) folgt mit deutlichem Abstand. Fraunhofer hat mit elf Prozent die niedrigste Quote.

 

Wobei schon letztere Zahl zeigt: Bei genauerem Hinschauen glänzt dann doch nicht alles am internationalen Wissenschaftsstandort Deutschland, und er glänzt auch nicht überall gleichermaßen. Die internationalen Ströme sind nämlich ungleich verteilt.

 

Unterschiede zwischen Fächern und Regionen –
und ein nachdenklich stimmendes Karrieregefälle

 

Erstens zwischen den Fächergruppen: Die Rechts-, Wirtschafts und Sozialwissenschaften etwa kommen an den Unis nur auf neun Prozent internationale Wissenschaftler:innen, an den HAW sogar nur auf vier Prozent. An der Spitze liegen die Mathematik und die Naturwissenschaften an den Unis (22 Prozent) und an den HAW die Geisteswissenschaften (19 Prozent).

 

Zweitens zwischen den Regionen und Bundesländern: In Mecklenburg-Vorpommern stammt elf Prozent des Wissenschaftspersonals aus dem Ausland, in Berlin 18,4 Prozent. Noch extremer ist die Bandbreite bei den internationalen Studierenden. Berlin: 19,4 Prozent. Schleswig-Holstein: 6,4 Prozent, woraufhin Muriel Helbig, Präsidentin der TH Lübeck und DAAD-Vizepräsident, in den Lübecker Nachrichten einen Aktionsplan von der Landesregierung forderte. 

 

Nachdenklich stimmt auch das Karrieregefälle bei der Internationalisierung. Internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind häufiger in Vollzeit und hauptberuflich beschäftigt, aber seltener unbefristet als die Deutschen. Sind Wissenschaftskarrieren schon für Einheimische vielfach prekär, gilt das für viele aus dem Ausland Gekommenen offenbar nochmal stärker. Krass zeigt das auch der Blick auf einen anderen Prozentwert: Nur 7,4 Prozent der Professorinnen und Professoren stammen aus dem Ausland. Womit ihr Anteil nur gut halb so hoch ist wie beim internationalen Wissenschaftspersonals insgesamt.

 

Hinzu kommt, dass von den rund 3.721 internationalen Professorinnen und Professoren in Deutschland jede/r fünfte (722) aus Österreich stammt, weitere 326 kommen aus der Schweiz. Was bedeutet, dass die Quote der nicht deutschsprachigen Inhaber einer Professur in jedem Fall deutlich unter sechs Prozent liegt. Schließlich wuchs die internationale Professorenschaft  mit 17 Prozent seit 2016 auch noch viel langsamer als das internationale Wissenschaftspersonal (29 Prozent).

 

Wenn die Deutschen im Ausland studieren,
dann oft in 
Österreich und in den Niederlanden

 

Relativiert das die Anfangsaussage dieses Artikels, dass ein beachtlicher Anteil der internationalen Spitzenforscher sich Deutschland als ihre Wirkungsstätte ausgesucht hat? Nicht unbedingt. Die Zahlen zeigen jedoch, dass jenseits der zahlreichen Hot Spots der deutschen Internationalisierung die Dynamik in der Fläche weitaus weniger spektakulär verläuft. Mehr noch: Weite Teile des wissenschaftlichen Karrieresystems in Deutschland bleiben für Menschen ohne deutschen Pass äußerst schwer erreichbar.

 

Für diese prekäre Seite des Wissenschaftsbetriebs, wenn auch in diesem Fall nicht in Deutschland, ist übrigens die Karriere von Katalin Karikó ein eindrückliches Beispiel: Sie absolvierte in den USA einen befristeten Uni-Job nach der anderen, wurde zwischenzeitlich sogar nach Auslaufen ihrer Stelle als Assistent Professor auf den Rang einer Postdoc zurückgestuft.

 

Zurück zur deutschen Internationalisierungsstatistik. Ziemlich viel Wasser in den Wein mischt "Wissenschaft weltoffen" noch an zwei weiteren Stellen: So war der Anstieg bei der Zahl internationaler Studierender in Deutschland zwar beachtlich, besonders stark im Zehnjahres-Vergleich übrigens an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (+140 Prozent versus +64 Prozent an den Unis). Doch der Sprung auf Platz drei gelang nur wegen der Schwäche der Konkurrenz. In Australien brachen die internationalen Immatrikulationen zwischen 2020 und 2022 um fast 100.000 ein: von 458.000 auf 361.000. Hat Downunders Image bei den ausländischen Studierenden durch die rigide Corona-Abschottung dauerhaft Schaden genommen, oder spiegelt sich darin das stark abgekühlte Verhältnis zum bisherigen Herkunftsland Nummer 1, China? Klar ist: Falls Australien auch nur ansatzweise der Sprung zurück zu alten Größenordnungen gelänge, wäre Deutschland seinen dritten Platz wieder los. 

 

Zuletzt der – nun wirklich ernüchternde – Blick auf die umgekehrte Studierendenmobilität: die der Deutschen ins Ausland. Hier stagnieren die  Zahlen nun schon seit mehr als einem Jahrzehnt. Zuletzt waren 133.400 Deutsche an einer Hochschule im Ausland eingeschrieben, die allermeisten, um dort einen Abschluss zu machen. Wo bei internationales Studium nicht gleich internationales Studium ist: Knapp 50 Prozent der Deutschen, die im Ausland studierten, taten dies in Österreich (30.500), der Schweiz (11.200) und in den Niederlanden (21.300). Weil Deutschlands Hochschulen vielerorts immer noch so überbelegt sind, dass junge Menschen in Scharen zum Studieren bei den Nachbarn abwandern? Gleichzeitig sank der Anteil der Deutschen, die als Teil ihres (deutschen) Studiums ein Auslandssemester einlegen, massiv: von 32 Prozent 2003 auf zuletzt nur noch 19 Prozent. 



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Kommentare: 1
  • #1

    René Krempkow (Dienstag, 10 Oktober 2023 09:07)

    7,4 Prozent internationale Professor*innen bzw. nicht deutschsprachige unter sechs Prozent - diese Zahlen zeigen deutlich, wie "weltoffen" das deutsche System der Wissenschaftskarriere tatsächlich ist. Daran ändert auch die erfreuliche, aber zahlenmäßig doch sehr begrenzte Fallzahl von Nobelpreisen nichts - zumal wenn sie über Jahrzehnte aufsummiert wird.
    Apropos Jahrzehnte: Der Anteil internationaler Professor*innen lag bereits 2011 bei 7,6 Prozent und hat sich damit seit über einem Jahrzehnt praktisch nicht verändert (siehe z.B. https://www.researchgate.net/publication/327581929).
    Dass weite Teile des wissenschaftlichen Karrieresystems in Deutschland für Menschen ohne deutschen Pass äußerst schwer erreichbar bleiben, ist also eine zentrale und sehr wichtige Aussage, die Herr Wiarda hier dankendswerterweise herausgarbeitet hat.

    Und doch ist es nur die halbe Wahrheit, wenn man Internationalität etwas breiter betrachtet (siehe z.B. auch https://www.hof.uni-halle.de/journal/dhs112.htm):
    Denn äußerst wahrscheinlich ist darüber hinaus, dass die hier lebenden mit "Migrationshintergrund" ebenfalls deutlich geringere Chancen haben. Jedenfalls haben sie bis zur Promotion nur halb so große Chancen. Hierzu immerhin gibt es in einer von der Max-Träger-Stiftung finanzierten Studie Zahlen (https://www.researchgate.net/publication/369661150). Ausgerechnet für die Chancen einer Person mit Migrationshintergrund auf eine Professur, wo der "Flaschenhals" in Deutschland bekanntlich besonders eng ist, fehlen leider bislang m.E.n. entsprechende Daten, um dies vergleichbar berechnen zu können.