Haltung und Handeln: Wie sich die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften konkret für die Beförderung und Befestigung einer offenen, demokratischen Gesellschaft einsetzt. Eine Replik von Christoph Markschies.
Christoph Markschies ist Professor für Antikes Christentum an der Humboldt-Universität zu Berlin und Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Foto: BBAW, Pablo Castagnola.
UNTER DER ÜBERSCHRIFT "Bekenntnisse sind gut, Taten sind besser", hat Kristin Eichhorn, Literaturwissenschaftlerin an der Universität Stuttgart und eine der Initiatorinnen von "#IchbinHanna", am vergangenen Donnerstag in diesem Blog die Wissenschaft dazu aufgefordert, sich für die Demokratie und die offene Gesellschaft nicht nur mit Erklärungen einzusetzen, sondern sich ihrer Gefährdung und Aushöhlung auch aktiv entgegenzustellen. Sie schreibt: "Um effektiv für den Erhalt unserer Demokratie einzustehen, muss man sich der schleichenden Normalisierung von sie unterwandernden Tendenzen im Alltagshandeln aktiv und ständig entgegenstellen. Das ist unbequem und etwas völlig anderes als der übliche wissenschaftliche Diskurs. Es braucht also ein verändertes Auftreten, um nicht von den Ereignissen überrannt zu werden."
Wer wollte da widersprechen? Längst wird nicht mehr nur gegen eine offene Gesellschaft gehetzt, vielmehr werden konkrete Schritte gegen sie vorbereitet, und man muss befürchten, dass solche Positionen in unserem Land parlamentarische Mehrheiten gewinnen können. Es braucht also ohne Zweifel ein verändertes Auftreten. So wichtig die verschiedenen Erklärungen der Wissenschaftsorganisationen sind (unter dem Hashtag "#LauteWissenschaft" gesammelt), um sich immer wieder der eigenen Haltung zu versichern und sie öffentlich zu machen – auf die Taten kommt es in der gegenwärtigen Situation an, und an ihren Taten kann man die Haltung von Institutionen am besten erkennen.
Genau in diesem Sinne versucht die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften zu handeln: Gerade hat sie gemeinsam mit zahlreichen Menschen aus Politik und Wissenschaft, die zudem aus vielen europäischen Ländern stammen, ein Manifest "Reclaiming Europe" veröffentlicht, in dem nicht nur dazu aufgerufen wird, gemeinsam Europa aus den Händen derer zurückzuholen, die es in eine lose Gemeinschaft antiliberaler oder gar autoritärer Nationalstaaten verwandeln wollen. Vielmehr wird die Gründung eines transnationalen Netzwerks jüngerer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bekannt gemacht, in dem gemeinsam agiert und ein verbreiteter Westzentrismus der Wissenschaft überwunden werden soll. Außerdem werden gemeinsame Forschungsprojekte angestoßen und finanziert. So sollen die demokratischen Kräfte durch konkrete wissenschaftliche Arbeit gestärkt werden.
Die Idee des Netzwerks entstand, weil die Trägerinstitutionen deutliche Konsequenzen aus ihrem Erschrecken über den Angriff Russlands auf die Ukraine, dem allgemeinen Entsetzen über autoritäre Tendenzen in Europa und dem oftmals mangelnden Wissen über unsere Nachbarn ziehen wollten. Das Netzwerk wird "Junges Netzwerk TransEuropa" heißen, weil es bei der Ukraine, den baltischen Staaten, Polen oder Ungarn nicht um "den Osten" geht. Diese Länder liegen, wie es im Manifest heißt, "im Norden, Süden und in der Mitte Europas und gehören allesamt zum Kern der europäischen Landschaft. Ihre komplexe Geschichte ist voller Verflechtungen".
Wissenschaft auf die Marktplätze
und in die Fußgängerzonen
Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften wirbt aber mit ihren Partnern nicht nur für den weiteren Aufbau des Jungen Netzwerks TransEuropa um möglichst viel Unterstützung, sondern organisiert gemeinsam mit anderen Wissenschaftsorganisationen wie der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Hochschulrektorenkonferenz ein Programm, Wissenschaft auf die Marktplätze und in die Fußgängerzonen zu bringen, zunächst in den drei Bundesländern, in denen im Spätsommer Landtagswahlen anstehen. Mit dem "Salon Sophie Charlotte", einer jährlichen Großveranstaltung im Akademiegebäude, die mit ihren vielfältigen Formaten in diesem Januar erneut viele hundert Gäste angezogen hat, wurden wieder zentrale Fragen aufgegriffen, die nicht zuletzt auch Menschen bewegen, die dem gegenwärtigen demokratischen System bzw. der Wissenschaft skeptisch gegenüber stehen: der Klimawandel, die Transformationen der Gesellschaft, das Schicksal der Arbeitsgesellschaft. Ich halte das alles für konkrete Taten zur Beförderung und Befestigung einer offenen, demokratischen Gesellschaft.
Zu den genannten Aktivitäten gehört auch das Nachdenken über unterschiedliche Versuche der Diskurskontrolle im deutschen Wissenschaftssystem, über das an der Akademie geforscht wird. Solche Forschung ist sicher kein Teil der "Diskurse der Undemokraten", die das Narrativ einer Cancel Culture nutzen, um den Raum des Sagbaren gegen die offene Gesellschaft schleichend oder offen zu erweitern. Es ist allerdings auch kein vorauseilender Gehorsam gegenüber problematischen Argumenten oder Strategien, wenn man den Debattenraum auch für Positionen innerhalb des demokratischen Spektrums offenhält, die man selbst so nicht oder nur partiell teilt, die aber diskutiert werden müssen. Und es ist schließlich auch kein kommunikativer Missgriff ins falsche Register, wenn man Menschen, die man als Teil der Wissenschafts-Community prinzipiell für diskussionsfähig hält, auf wissenschaftliche Publikationen hinweist. Es geht im Blick auf die Diskussion um die sogenannte Cancel Culture weniger um bekenntnishafte Abgrenzungen, als um wissenschaftliche Argumentation. Dazu hat eine Arbeitsgruppe der Akademie publiziert, und es wäre eher verwunderlich, wenn die Akademie nicht auf diesen eigenen Beitrag zur Debatte verweist, und dies in vorlaufender Sorge, dass ihre Kommunikation möglicherweise nicht jeden und jede erreicht.
Mir widerstrebt, diese Aufzählung von Aktivitäten unserer Akademie fortzusetzen, weil man sich für die Verteidigung der Demokratie natürlich nie genug einsetzen kann und trotz aller sorgfältigen Vorbereitung eigenen Handelns nicht ausgeschlossen ist, dass man die falsche Strategie gewählt hat und das, was man will, nicht richtig kommuniziert. Ich habe beispielsweise sehr viel für die Vorbereitung der Einsätze auf den Marktplätzen und in den Fußgängerzonen von Menschen gelernt, die ähnliche Initiativen teilweise seit Jahren unternehmen. Sie bewahren einen vor der Vorstellung, dass es allein mit dem Aussprechen einer wissenschaftlichen Wahrheit oder dem Bekenntnis zu bestimmten Grundprinzipien getan ist. Kommunikation ist der Ernstfall. Und diese Kommunikation sollte man nicht zu früh abbrechen, solange – wie die Fachleute sagen – noch über zwanzig Prozent unentschlossen sind, ob sie antidemokratisch wählen sollen oder nicht.
Am Ende liegt mir noch einmal daran, eine zentrale Übereinstimmung mit Kristin Eichhorn festzuhalten: Gerade, weil wir nicht vorsorglich in Deckung gehen wollen, ist es notwendig, sicherzustellen, dass die eigenen Taten von größtmöglicher Effektivität im Blick auf Strategie und Kommunikation geprägt sind, und nicht nur von Haltung und Bekenntnis. Letzteres sollte selbstverständlich sein, an erstem müssen wir alle noch arbeiten. Möglichst gemeinsam.
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Tobias Denskus (Montag, 05 Februar 2024 11:33)
Ja, das ja alles nett und ausfuehrlich, aber warum hätte man nicht einfach sagen können "tut uns leid, wir haben keinen Termin frei"? Man kann ja zwischen vermeintlicher "cancel culture" und "wir organsieren ja auch weitere Gesprächskreise" auch einfach mal im Bereich des zivilen Ungehorsams gehen um etwas aktiv zu verhindern.
Literaturwissenschaftlerin (Montag, 05 Februar 2024 11:44)
Wie man sich in Eigenwerbung ergeht, statt Haltung zu zeigen. Ganz schwaches Bild. Eine solche Replik hätte sich Herr Markschies besser gespart.
G.N. (Montag, 05 Februar 2024 12:46)
In der Tat stört auch mich der gehörige Anteil an Eigenvermarktung. Ebenso, dass hier v.a. das Regelgeschäft vermarktet wird. Sind für morgen ähnlich werbende Gastbeiträge der Leopoldina, von acatech, der Akademienunion oder bspw. der Bayerischen Akademie der Wissenschaften oder einer anderen Landesakademiezu erwarten, welche nebenbei alle (interessanter Weise) nicht zu den Erstunterzeichnenden gehören. Besser: weniger Werbung, mehr Handeln.
Jan-Martin Wiarda (Montag, 05 Februar 2024 14:37)
G.N.: Wie Sie wissen, handelt es sich hierbei um eine Replik. Inhaltliche Auseinandersetzung wie immer gern. Die Polemik von wegen weiterer "werbender Gastbeiträge" von Institutionen bitte ich zu unterlassen. Viele Grüße!
Laubeiter (Dienstag, 06 Februar 2024 16:39)
eine Replik - warum schreibt man sie? Der Präsident einer Akademie, also einer Körperschaft öffentlichen Rechts, repliziert hier auf einen Beitrag, der fragte, welche Bedeutung seiner Vermietung des Akademiegebäudes an einen privaten Verein von ProfessorInnen zukommt. Da die Vermietung in der Replik weggelassen ist, bleibt die Bedeutung offen. Ist bekannt, ob ProfessorInnen des privaten Vereins gleichzeitig Akademiemitglieder sind?
Nicht-Akademiker (Donnerstag, 08 Februar 2024 13:04)
@Laubeiter:
Wo er Recht hat, hat er Recht.
Zu dieser "Replik" von des Akademie-Präsidenten kann man
(bei Kenntnis des Beitrages von Frau Eichhorn) nur sagen:
"Thema verfehlt. Setzen !"