MINT-Bildungsinitiativen gibt es zu Hauf. Wer behält den Überblick? Die Noch-Koalition von Union und SPD hat beschlossen: Eine Online-Plattform soll es richten. Wie, sagt die CDU-Bildungsexpertin Sybille Benning.
Frau Benning, alle Welt redet von MINT und seiner Bedeutung, und zwar so viel und so schwammig, dass der Begriff auf dem Weg zum Gemeinplatz ist. Und nun hat auch noch der Bundestag mit Koalitionsmehrheit festgestellt, dass MINT-Bildung die Grundlage sei „für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für die Teilhabe an unserer von Wissenschaft und Technik geprägten Welt“. Hat es das jetzt gebracht?
Als ich vor vier Jahren in den Bundestag einzog, war ich überrascht, dass der Bundestag noch nie zum Thema MINT-Bildung gearbeitet hatte. Dabei ist es genau, wie Sie sagen: Der Begriff ist in aller Munde, doch wohin wir als Gesellschaft wollen in Sachen MINT-Bildung, war unklar.
Woran liegt das?
Erstmal an etwas sehr Positivem: Mit der Zeit haben sich überall in Deutschland tolle Initiativen entwickelt, die schon KITA- und Grundschulkinder für Mathematik begeistern wollen, für Informatik, für die Naturwissenschaften. Das geht weiter mit Wettbewerben für Jugendliche bis hinein in die Erwachsenenbildung und in Programme, um Lehrer fitzumachen in Sachen IT. Das Problem ist das regionale und sektorale Denken, das parallel aufgekommen ist. Viele lokale Initiativen wissen gar nicht, dass es an anderen Orten in Deutschland ganz ähnliche Ansätze gibt. Schulpraktiker kommen nicht mit Engagierten in der Berufsbildung in einen Austausch, und freie Träger nicht mit staatlichen Bildungseinrichtungen.
Und das alles soll Ihr Bundestagsbeschluss ändern?
Wir wollen das Feld sortieren. Zum einen muss es klare Qualitätskriterien geben. Zum anderen müssen die vorhandenen Initiativen so aufeinander abgestimmt und miteinander vernetzt werden, dass sie die gesamte Bildungskette abdecken, flächendeckend über ganz Deutschland hinweg. Im Moment gibt es Regionen in Deutschland, auch abhängig von der jeweiligen Wirtschaftskraft, die schon ein sehr dichtes Angebot aufweisen, und andere, wo das Nötigste fehlt. Das Ziel muss sein, dass jede und jeder in Deutschland die Gelegenheit hat, an einem MINT-Programm teilzunehmen oder eine Weiterbildung zu erhalten.
Wer sagt eigentlich, dass MINT-Bildung so wichtig ist?
Da muss ich ganz grundsätzlich antworten. Es geht um Alltagsmündigkeit, um Teilhabe an der gesellschaftlichen Debatte, wenn ich naturwissenschaftliche Zusammenhänge verstehen, wenn ich Chancen und Risiken technologischer Innovationen besser beurteilen kann. MINT-Bildung ist Allgemeinbildung. Und noch zwei Punkte kommen hinzu: MINT-Berufe sind seit jeher ein gutes Sprungbrett für den sozialen Aufstieg. Eine weitere Aufgabe ist es, dass wir den Frauenanteil in einigen Branchen weiter erhöhen. Kurzum: Die Förderung von MINT-Bildung ist die Förderung von Bildungsgerechtigkeit.
Und um das festzustellen, brauchten Sie einen Bundestagsbeschluss?
Den brauchten wir, um den Weg dorthin zu definieren. Es muss jemand geben, der alle Akteure zusammenbringt. Von den großen, öffentlich geförderten Initiativen wie dem Haus der kleinen Forscher bis hin zu kreativen Ideen, die bislang von einzelnen engagierten Personen leben. Wir haben verschiedene Alternativen erwogen, uns angeschaut: Kann wirklich ein einzelner Verband oder eine Plattform wie das Nationale MINT-Forum diese dringend nötige Vernetzung effektiv leisten? Am Ende aber sind wir doch beim Bund gelandet. Die Bundesregierung muss die Akteure zusammenbringen und den Prozess steuern.
Geht das noch konkreter?
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) muss den Start eines Online-Portals anstoßen, das die Eintrittstür werden soll für alle Menschen, die sich für MINT-Bildung interessieren. Dort wird man dann alle Initiativen aus ganz Deutschland, sortiert entlang der Bildungskette, finden, unterschieden nach mindestens zwei Stufen: niedrigschwellige Kurse für Menschen ohne Vorkenntnisse, und Angebote für Fortgeschrittene. Wie genau dieses Portal aussehen wird, das sollten alle Akteure gemeinsam besprechen, auf Augenhöhe. Aber an einen Tisch muss sie das BMBF bringen.
Glauben Sie wirklich, dass alle Akteure Interesse haben an mehr Transparenz? Die Doppel- und Dreifachstrukturen, die dabei sichtbar werden, dürften immens sein.
Das mag sein, aber gerade deshalb wäre eine Übersicht sinnvoll. Nochmal: Es geht um eine flächendeckende MINT-Bildung für alle, in einer gleichbleibenden, verlässlichen Qualität. Auch wenn das bedeuten könnte, dass dann einige Initiativen um ihre Spenden fürchten müssen, weil die Geldgeber merken, dass die von ihnen geförderten Angebote nicht so einmalig oder herausragend sind wie gedacht. Aber schauen Sie, ich bin von Hause aus Geographin. Viele Lebensräume zusammen ergeben das Biotop. Das ist in der Bildung genauso. Soll heißen: Es könnte auch sein, dass Initiativen in der gegenseitigen Abstimmung sogar geeignetere Betätigungsfelder für sich entlang der Bildungskette finden.
Das klingt alles nach großer Geste. Die Wahrheit ist: Der Bundestag hat Ihren MINT-Antrag ohne Aussprache beschlossen, als reine Drucksache. Wo ist denn da die Aufmerksamkeit, die Sie sich wünschen?
Das stimmt so nicht. In unserer AG Bildung und Forschung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war das Thema ein inhaltlicher Schwerpunkt, der uns über Jahre begleitet hat. Am 17. Februar haben wir den Antrag in erster Lesung im Plenum des Bundestages debattiert, im Bildungsausschuss hatten wir am 8. März eine spannende Anhörung – mit einem so großen öffentlichen Interesse, dass wir sogar den Sitzungssaal wechseln mussten. Doch am Ende der Legislaturperiode häufen sich leider die Anträge, die noch beschlossen werden müssen, so dass jetzt vieles im vereinfachten Verfahren, das heißt ohne Debatte bei der zweiten und dritten Lesung, beschlossen wird. Für die Aufmerksamkeit für unser Thema sehr schade.
Die Grünen hatten einen eigenen Antrag zur MINT-Bildung vorgelegt. Den haben Union und SPD mit ihrer Regierungsmehrheit abgelehnt. Wie kann das sein bei so einem Konsensthema?
Wir sind uns einig, was das Ziel angeht, aber nicht über den Weg dorthin. Die Grünen fordern die Aufhebung des vermeintlichen Kooperationsverbots, damit wir als Bund von oben steuern können. Davon halte ich persönlich gar nichts. Gerade die lokalen Initiativen sind so wichtig, von denen dürfen wir keine verlieren, wir dürfen niemanden entmutigen und weder die Initiativen, noch die Vielfalt zerstören, indem wir von oben Standards verordnen.
Aber genau die fordern Sie doch vom BMBF.
Nein, wir erwarten vom BMBF, dass es eine koordinierende Rolle einnimmt. Dass die Akteure aber selbst gemeinsam über die Standards entscheiden – und darüber, wie sie sich auf dem Portal präsentieren wollen.
Wenn Sie so aufs Dezentrale schwören, warum überlassen Sie das Feld dann nicht gleich der Kultusministerkonferenz?
Natürlich steht und fällt der Erfolg der MINT-Bildung auch mit dem Engagement der Länder. Ganz extrem gilt das in den Schulen. Die Schüler werden sich nur begeistern lassen, wenn auch ihre Lehrer begeistert sind.
Eine bessere MINT-Bildung für die Kinder beginnt in einer besseren MINT-Bildung für die Lehrer?
So ist es. Und mit einer besseren MINT-Bildung der Erziehrinnen und Erzieher. Die Feststellung ist trivial, die richtigen Schlussfolgerungen daraus angesichts von 16 Ländern und 16 verschiedenen Ansätzen in der Lehrerbildung sind umso schwieriger.
Wann soll das Portal zur MINT-Bildung online gehen?
Ich habe lange in der Bauausführung gearbeitet, da will man immer alles sofort fertig haben. Vier Jahre im Bundestag haben mich Geduld gelehrt. Was ich erwarte, ist, dass das Portal im Koalitionsvertrag verankert wird und dass nach der Bundestagswahl schnellstmöglich die konkrete Arbeit anfängt.
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GoaCDtTd (Montag, 26 September 2022 07:15)
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