Bayerns Ministerpräsident verspricht zwei Extra-Milliarden für die Forschung – und erhöht mit seinen vollmundigen Ankündigungen den Druck auf die anderen Bundesländer.
"Nicht tatenlos zusehen": Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Foto: Max Pixel - cco.
WISSENSCHAFTLERN FÄLLT ES normalerweise nicht schwer, über Markus Söder zu lästern. In der Vergangenheit hat der bayerische CSU-Ministerpräsident es ihnen aber auch leicht gemacht. Etwa als er verkündete, dass künftig in allen Behörden Kruzifixe aufzuhängen seien, auch in den Hochschulen des Freistaates. Oder man denke an das eigenartige Posen Söders im Herbst 2018 vor dem Logo von "Bavaria One", Bayerns eigener Raumfahrtmission, das die Junge Union ausgerechnet mit Söders Konterfei versehen hatte. Das muss doch Satire sein, dachten viele zunächst.
Jetzt sorgt Söder erneut für Aufsehen in der Forschercommunity, aber diesmal aus anderen Gründen. Erst hatte Söder eine Milliarde zusätzlich für Bayerns Wissenschaft versprochen, vor dem Wochenende verdoppelte er den Betrag sogar noch. Zwei Milliarden Euro will die Staatsregierung bis 2023 in ihre "Hightech Agenda Bayern" investieren. Mit dem Geld sollen 1000 zusätzliche Professuren entstehen, viele davon als "Exzellenzprofessuren" mit besserer Dotierung. 10.000 neue Studienplätze will Söder auf die bereits im Koalitionsvertrag vereinbarten 18.000 draufpacken, vor allem für Technikfächer und für die Informatik. Der Regierungschef verspricht über 20 neue "Spitzenforschungszentren" und 100 Lehrstühle für Künstliche Intelligenz allein in Bayern – so viel, wie die Bundesregierung für ganz Deutschland finanziert.
230 Millionen gehen in einen Digitalfonds, 120 Millionen in einen Autofonds, 70 Millionen fließen für Quantencomputer. Die Liste lässt sich fortsetzen: Die Hochschulen sollen mit viel zusätzlichem Geld Sanierung und Neubau auf ihren Campi beschleunigen. Schon im Februar hatte die Staatsregierung angekündigt, dass Budget des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst bis 2020 um 570 Millionen Euro anzuheben. Da stecken die zwei Milliarden noch nicht drin. Und wem angesichts der Summen noch nicht der Kopf schwirrt: Auch für das Raumfahrtprogramm, das zwischenzeitlich als großspurige Ankündigung zu enden drohte, soll es mehr Geld geben. Und schon im Juli hatte Söder und Münchens damaliger TU-Präsident Wolfgang Herrmann die neue Fakultät für Luftfahrt, Raumfahrt und Geodäsie vorgestellt. Das mit dem Spott über seinen skurrilen "Bavaria One"-Auftritt scheint Söder übrigens echt geärgert zu haben, denn in seiner Regierungserklärung am Donnerstag sagte er: "Letztes Jahr haben noch viele gelächelt, heute fragen Experten aus der ganzen Welt nach unserem Raumfahrtprogramm." >>>
"Ausstattung der Hochschulen
hat nicht mitgehalten"
Nur einen Tag, nachdem Söder sein Milliarden-Programm zelebriert hatte, gab das Bayerische Landesamt für Statistik einen neuen Rekord bei den Studierendenzahlen bekannt. Im aktuellen Wintersemester 2019/2020 seien 398.000 Menschen an den Hochschulen im Freistaat eingeschrieben gewesen, berichteten die Statistiker, die Erstsemesterzahlen sanken gegenüber dem Vorjahr leicht um 0,3 Prozent. "Wir arbeiten kontinuierlich daran, die Rahmenbedingungen für Forschung und Lehre weiter zu verbessern", sagte Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) und verwies auf Söders Ankündigungen von 1000 zusätzlichen Professuren und 10.000 neuen Studienplätzen "im Bereich der Informatik, der Digitalisierung und der Technik". Ein
Forschungsbudget solle dafür sorgen, dass an den Hochschulen dafür in etwa zehn Prozent Professoren mehr arbeiten würden als bisher.
Die Münchner Bundestagsabgeordnete und Wissenschaftspolitikerin Nicole Gohlke (Linke) betonte, dass sich die Zahl der Studierenden in den vergangenen zehn Jahren um 46 Prozent erhöht habe. "Hierbei hat aber die Ausstattung der Hochschulen nicht mitgehalten", sagte Gohlke unbeeindruckt von Söders Hightech-Initiative. Für Studierende und Lehrkräfte bedeute die "chronische Unterversorgung erhebliche Belastungen. Fachhochschulen und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften betreuten zudem heute ein Drittel aller Studierenden. "Das muss entsprechend gewürdigt und gefördert werden."
>>> Weitere Sätze aus seiner Rede waren da schon bemerkenswerter. Denn in Teilen klang seine Ankündigung der zwei Extra-Milliarden wie eine Abrechnung mit der bundesdeutschen Forschungspolitik. China, Großbritannien, Dänemark, Frankreich oder Israel: "Alle haben die Zeichen der Zeit erkannt und klotzen mit Investitionen", sagte er. "Ich befürchte: Deutschland verschläft gerade eine Entwicklung. Auf was wartet unser Land? Für Bayern will ich sagen: Wir werden nicht tatenlos zusehen. Wir gehen unseren eigenen Weg."
Viel Selbstgerechtigkeit, vollmundige Ankündigungen und noch mehr Pathos – doch im Kern spiegelte sich in Söders Regierungserklärung vor dem bayerischen Landtag vor allem einen Trend wider, der sich seit längerem abgezeichnet hatte. Die wissenschaftspolitische Entwicklung der Bundesrepublik läuft immer stärker auseinander. Einige Landesregierungen verknüpfen ihr Schicksal zunehmend mit der ambitionierten Förderung (oder zumindest deren Versprechungen) von Forschung und Hochschulen, sie investieren massiv oder – um mit Söders Worten zu sprechen – sie "klotzen". Weil sie wirklich die Lösungen auf wesentliche Zukunftsfragen von der Wissenschaft erwarten. Weil sie ihre Verantwortung für die bestmögliche Bildung der jungen Generation ernstnehmen. Oder weil sie zumindest hoffen, so bei den Wählern als besonders fortschrittlich wahrgenommen zu werden.
Berlin und Bayern: das neue Duopol
in Deutschlands Forschungslandschaft?
Am stärksten hatte bislang Berlin diese Karte gespielt, der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD), ansonsten oft glücklos, punktet mit der Wissenschaft bundesweit und schreit zusammen mit seinem Staatssekretär Steffen Krach bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Hashtag-Slogan "#BrainCityBerlin" in die Öffentlichkeit hinaus. Auch Müller und Krach hantieren mit den Wissenschaftsmillionen: rechnerisch rund 250 für Hochschulsanierungen, jedes Jahr, bis 2036. 60 neue IT-Profs, ein neuer Wissenschaftscampus in Siemensstadt, 290 Millionen fürs Herz-Zentrum, rund 20 Millionen Landesgeld für Spitzenberufungen pro Jahr über die Einstein-Stiftung. Manchmal ist nicht ganz klar, wieviel davon wirklich zusätzliches Geld ist. Aber schick verpackt ist es auf jeden Fall. Neulich hat Söder seine Investitionsoffensive sogar auch damit begründete, dass die Berliner ihre Universitäten zu einem vom Land erst großzügig gepäppelten und dann im Wettbewerb erfolgreichen Exzellenzverbund zusammengeschlossen hatten. Ein "Alarmzeichen" sei das, befand Söder. Und Müllers Staatsekretär verbreitete das Zitat prompt per Twitter.
Auch Bayerns Ministerpräsident muss jetzt erstmal beweisen, dass er mehr kann als große Versprechungen machen. Er wolle jetzt die Wissenschaft in der Fläche des Freistaates entwickeln, sagt Söder. Auch damit es irgendwann mehr als zwei bayerische Exzellenzuniversitäten gibt. Aber München solle "im Zentrum" stehen, vor allem bei der KI. Auch an dieser Stelle wie übrigens bei Söders Agenda insgesamt wird noch einmal die Handschrift von Wolfgang Herrmann deutlich, dem großen Strippenzieher der bayerischen Wissenschaftspolitik, der dem Ministerpräsidenten viel von seinen Plänen eingeflüstert haben dürfte. Vor zwei Wochen wurde Herrmann nach 24 Jahren als TU-Präsident verabschiedet.
Berlin und Bayern (und speziell München) als Zentren der deutschen Forschung, zeichnet sich hier ein Duopol ab? Nein, das sicherlich nicht. Dafür sind auch die Universitäten und Forschungsregionen anderswo viel zu stark: in Baden-Württemberg vor allem, aber auch im Rheinland oder um Dresden herum, um nur einige Beispiele zu nennen.
Aber die anderen müssen aufpassen. Im Südwesten der Republik, eigentlich ähnlich reich wie Bayern, laufen gerade die Auseinandersetzungen um die künftige Wissenschaftsfinanzierung. Vor ein paar Jahren galten die drei Prozent, die Baden-Württemberg seinen Hochschulen jedes Jahr zusätzlich gönnte, noch bundesweit als Avantgarde. Doch nicht nur Berlin, sondern auch Thüringen und andere haben dieses Jahresplus längst getopt. Und so reicht das, was Baden-Württembergs Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) im gerade vom Kabinett beschlossenen Doppelhaushalt 20/21 vorgelegt hat, den Hochschulen vorn und hinten nicht mehr. Sitzmanns Ministerium spricht von einem "verlässlichen Mittelaufwuchs von 125 Millionen Euro im Jahr 2021 auf 530 Millionen Euro im Jahr 2025", die Hochschulrektoren kontern: Das Paket könne gerade mal das Inflations- und Tarifrisiko abmildern. Für den 17. Oktober sind Studierendenproteste angekündigt, die Rektoren wollen sich ihnen wohl anschließen.
Je stärker die einen auftrumpfen, desto
stärker wird der Druck auf die anderen
Wobei sie anderswo in der Republik von den Sorgen der Heidelberger, Freiburger oder Konstanzer nur träumen können: Bremens neue rot-rot-grüne Regierungskoalition zum Beispiel, so hört man hinter vorgehaltener Hand, könnte bei ihren Hochschulen am Ende sogar real kürzen.
Fest steht: Je stärker die einen auftrumpfen, desto offensichtlicher wird der Druck auf die anderen. Das ist das Prinzip des Wettbewerbsföderalismus, ein gutes Prinzip – solange es denn funktioniert. Bayern finanziert seine zwei Extra-Milliarden, indem es seine Schulden langsamer abbaut. Diesen Luxus haben viele andere nicht. Einige Länder, nicht nur Bremen, könnten gar nicht mitziehen, selbst wenn sie wollten. Aber dass eben doch mehr geht, wenn denn nur die Ambitionen groß genug sind, zeigen die Berliner womöglich noch besser als die Bayern. Man kann nur hoffen, dass Söders Auftrumpfen auch bei seinen Kollegen anderswo jetzt neuen Aktionismus und vor allem haushaltspolitische Fantasie auslöst. Auch der Bundesfinanzminister könnte und sollte sich in Zeiten des drohenden Abschwungs nochmal inspirieren lassen, der Hinweis auf das im Sommer beschlossene 160-Milliarden-Paket für die Wissenschaft wird hier auf Dauer nicht reichen.
Die Standards hat Söder jedenfalls jetzt gesetzt. Ganz ohne alberne Logos. Ganz ohne absurd konnte er freilich dann doch nicht: Der Ministerpräsident beendete seine Regierungserklärung am Donnerstag mit Zitaten von König Max II, von Franz Josef Strauß und von Edmund Stoiber. Sie alle hätten jeweils in ihrer Zeit Bayern durch Reformen und moderne Technik vorangebracht. Ich, wollte Markus Söder offenbar damit sagen, bin der nächste in dieser Reihe. Gut, will man ihm antworten, wenn’s denn hilft.
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Klaus Diepold (Montag, 14 Oktober 2019 17:22)
Klingt alles ganz gut, vor allem wenn man, wie ich, in Bayern lebt. Das angekündigte Investitionsvolumen von € 2 Mrd ist in der Tat beachtlich. Dennoch wird das alleine nicht dafür sorgen können, dass Bayern im Bereich der KI international wettbewerbsfähig bleiben wird.
Nur zum Vergleich mal die Zahlen anschauen, die Google, Facebook oder Amazon in KI pro Jahr in KI investieren (zwischen €6 und €9 Mrd), dann wird klar, dass auch die Industrie in Deutschland/Bayern einiges tun muss, um Söders Milliarden zu Wirkung zu verhelfen.