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Besorgnis? Ja. Alarmismus? Nein.

In Mecklenburg-Vorpommern gab es an zwei Schulen Corona-Fälle. Die politische Reaktion darauf ist problematisch. Ein Teil der Berichterstattung ist es auch.

DAS GEHT JA GUT LOS. Und nein, damit sind nicht die Corona-Fälle an zwei Schulen in Mecklenburg-Vorpommern gemeint, die heute bekannt wurden. Sondern die Reaktionen darauf. 

 

Kaum hatten die beiden zuständigen Landkreise die Schließungen mitgeteilt, überschlugen sich viele große Online-Medien mit eiligen, meist auf der Grundlage einer dpa-Meldung zusammengestöpselten Berichten. Tenor zumeist: Kaum öffnen in einem Bundesland wieder die Schulen, müssen die ersten schon wieder zugemacht werden. Die Lehrerverbände sorgen sich. Womit bei vielen Lesern hängengeblieben sein sollte: Echt gefährlich, dieser Regelbetrieb, den die Kultusminister da versprochen haben. 

 

Um es ganz klar zu sagen: Die Debatte über die Risiken des Schulbetriebs unter Corona-Bedingungen und ihre Begrenzung ist essentiell. Aber sie sollte reflektiert geführt werden. Was in den vergangenen Tagen in zahlreichen Stellungnahmen verschiedener Fachgesellschaften und der Nationalakademie Leopoldina, bei manchen Schwächen im Detail, auch ziemlich gut gelungen ist.

 

Auf Seiten der Medien hätte heute allerdings häufiger die Einordnung dazu gehört, dass es sich bei den vorübergehend geschlossenen Schulen um zwei von rund 600 Schulen in Mecklenburg-Vorpommern handelt. Dass bislang aus beiden Schulen jeweils nur ein einziger Infektionsfall gemeldet wurde (es können natürlich noch mehr werden). Und womöglich sollte man einmal Experten fragen, ob das nicht für die erste Schulwoche inmitten einer Pandemie eine ziemlich niedrige Quote ist.

 

Spannend wird es erst, wenn

alle Kontaktpersonen durchgetestet sind

 

Sinnvoll wäre es auch gewesen zu fragen, ob die Schule als Begegnungsort überhaupt schon zeitlich als Quelle der beiden Corona-Fälle (eine Lehrerin, ein Schüler) infrage kommt. Denn nur dann hätte deren Auftreten überhaupt irgendeine Aussagekraft in Bezug auf ein mögliches Infektionsgeschehen in Schulen. Relevant und spannend wird es in Wirklichkeit erst, wenn alle Kontaktpersonen in den Schulen durchgetestet sind. Denn dann wird klar sein, ob es in den Schulen selbst Sekundär-Übertragungen gegeben hat. 

 

Doch wenn man all das mediale Geraune hört: Wie soll das erst werden, wenn in den nächsten Wochen in Berlin oder in NRW die Schule beginnt – Länder mit weitaus höheren Fallhäufigkeiten – und es statistisch extrem wahrscheinlich ist, dass dort an weitaus mehr als zwei Schulen mitgebrachte Infektionen unter Schülern und Lehrern entdeckt werden? 

 

Nun zur Reaktion der Politik. "In dem betroffenen Gymnasium war eine Lehrerin betroffen, die noch keinen Unterricht hatte – trotzdem wurde die ganze Schule geschlossen", twitterte der Kinderarzt und Epidemiologe Johannes Hübner. "Solche Meldungen sind schwierig und verunsichern."

 

Die Politik hat gleich wieder
das größte Geschütz aufgefahren

 

Verunsichern, weil die Politik gleich wieder das größtmögliche Geschütz auffährt: die Komplettschließung.  Und das obwohl die Lehrerin, siehe Hübners Tweet, bislang noch nicht einmal Kontakt zu den Kindern, sondern lediglich zu ihren Kollegen hatte. 

 

Hübner ist stellvertretender Klinikdirektor der Hauner’schen Kinderklinik am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie – und er hat an einem Konzept wichtiger medizinischer Fachgesellschaften mitgeschrieben, das konkrete Vorschläge macht, wie Betreuung und Unterricht unter Corona-Bedingungen ablaufen sollten. Eines der Plädoyers darin: "Auch bei Auftreten von Infektionsclustern soll die Clusterisolierung Vorrang vor Schließungen ganzer Einrichtungen haben."

 

Haben solche Erwägungen in den beiden Landkreisen eine Rolle gespielt? Zumindest wurde bislang nicht ausreichend transparent gemacht, warum die Komplettschließungen die einzige denkbare Alternative waren. Wenn das Prinzip der in Mecklenburg-Vorpommern sehr großzügig angelegten epidemiologischer Kohorten als Grund genannt werden sollte, dann müssten diese wohl nochmal auf den Prüfstand. Denkbar ist auch, dass die Behörden fürchten, die bestehenden Hygieneauflagen seien nicht eingehalten worden.

 

Die Stimmung ist volatil
und zum Teil irrational

 

Jedenfalls zeigt sich sowohl in der Reaktion der Medien als auch der Politik, wie volatil und zum Teil irrational die Stimmung ist. Kaum ein Thema wird in der Coronakrise emotionaler und kontroverser diskutiert als die Rolle der Kinder und Jugendlichen darin. Tatsächlich kann man das Risiko ja auch nicht leugnen: dass durch die Rückkehr zum Fulltime-Präsenzunterricht auch Schulen zum Umschlagplatz der Viren werden könnten.

 

Bislang allerdings ist die Realität eine andere: Die meisten Neuinfektionen geschahen in Deutschland woanders. In Restaurants, unter eng in Heimen zusammenlebenden Menschen, bei Familienfeiern, in Kirchen, am Arbeitsplatz. Und aktuell sind es vor allem die tausenden Reiserückkehrer aus Risikogebieten, die jeden Tag in Deutschland ankommen, die das eigentliche Skandalon darstellen.

 

Trotzdem erreichen vor allem die Meldungen über befürchtete oder tatsächliche Ausbrüche in Kitas und Schulen verlässlich besonders hohe Klickzahlen – was sie in den Schlagzeilen weit nach vorn katapultiert. Aus Angst, vor der öffentlichen Meinung zu wenig entschlossen dazustehen, reagieren manche politische Verantwortliche dann reflexartig. Und in diesen Tagen zu Beginn oder vor Beginn des neuen Schuljahrs schaukelt sich die wenig wissenschaftsbasierte Debatte so immer weiter hoch – und wäre noch emotionaler, wenn nicht die erwähnten Expertengutachten für eine gewisse Versachlichung gesorgt hätten.

 

Es wird ein schwieriges Corona-Schuljahr für Kinder, Eltern und Lehrkräfte. Denn eines ist sicher: Es wird selbst im günstigen Fall immer wieder und in der Summe zahlreiche Corona-Fälle in Schulen gegeben. Doch selbst ein paar hundert Fälle pro Woche wären bei 40.000 Schulen in Deutschland und 10,8 Millionen Schülern nicht wirklich viel.

 

Die gesundheitlichen Risiken für alle Beteiligten sind also real, aber die gesellschaftlichen und individuellen Risiken weiterer Schulschließungen sind es nicht weniger. Besorgnis ist insofern angebracht. Vorsicht ebenso. Doch eines ist grundfalsch: sich in den öffentlichen Debatten von Alarmismus und bei politischen Entscheidungen von Aktionismus leiten zu lassen.


Schulferien verkürzen, Schulferien verlängern

Brandenburgs Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) hat Lernstandserhebungen in den Kernfächern für alle Jahrgänge angekündigt, um die durch die Schulschließungen entstandenen Lernlücken zu ermitteln.

 

Auf deren Grundlage werde darüber entschieden, ob es gegebenenfalls zusätzlichen Samstagsunterricht eine Verkürzung der Ferien brauche, sagte Ernst laut RBB InfoRadio. Sie vermute, dass die Abschlussjahrgänge in den kommenden Osterferien eine Woche verbindlichen Extra-Unterricht würden machen müssen.

Ernsts schleswig-holsteinische Amtskollegin  Karin Prien (CDU) hat derweil gestern wie zu vor Bayern und Sachsen einen Mehr-Stufen-Plan vorgelegt, wie sich der Schulalltag abhängig vom Infektionsgeschehen gestalten soll. Das Kieler Kabinett hatte ihn zuvor beschlossen. Ebenfalls gestern warnten Virologen in einer Stellungnahme der Gesellschaft für Virologie vor zu lockeren Präventions- und Kontrollmaßnahmen gewarnt. Die Autoren, darunter der Charité-Chefvirologe Christian Drosten, empfahlen zudem, im Falle dann hoher Neuinfektionszahlen die Weihnachtsferien zu verlängern.