Eigentlich war es eine Runde, die es gar nicht geben sollte. Womöglich machte gerade das sie effektiv: Kanzlerin Merkel, SPD-Chefin Esken und mehrere Kultusminister haben sich auf ein Maßnahmenpaket für die Schule verständigt.
ES WURDE SPÄT gestern Abend, als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chefin Saskia Esken und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sich mit einer Abordnung der Kultusminister trafen – zu einem, wie es hieß, "informellen Austausch über die Herausforderungen des Schulsystems in der Coronapandemie". Und so informell der Austausch sein sollte, so konkret waren einige der Verabredungen, die dabei herauskamen. Auch wenn es, wie alle Beteiligten betonen, natürlich noch keine (!) Beschlüsse waren – und es auch gar nicht sein konnten bei einer Runde, die von den Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern so gar nicht vorgesehen ist. Lehrerverbände sprachen in einer ersten Reaktion sogar von einem "Meilenstein".
1. Für alle Lehrer bundesweit sollen möglichst kurzfristig Laptops angeschafft werden. Dafür wird es voraussichtlich eine neue Bund-Länder-Vereinbarung geben. Bei etwa einer Millionen Lehrer beläuft sich das voraussichtliche Volumen des Plans inklusive eines noch zu beziffernden Wartungsanteils auf geschätzte 500 Millionen Euro.
2. Bund und Länder haben bereits in Gesprächen mit den Telekommunikations-Konzernen vorgearbeitet. Die sind offenbar bereit, für rund zehn Euro im Monat für alle Schüler einen Internetanschluss zur Verfügung zu stellen. Wie genau die Berechtigung für den verbilligten Anschluss festgestellt wird – ob über die Kultusministerien oder Schulträger oder ganz anders – soll Teilnehmern zufolge schnell geklärt werden. Klar ist bereits: Für Kinder aus ärmeren Familien wird die Bundesregierung die monatlichen Kosten übernehmen, voraussichtlich im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets. Dieses müsste dafür erheblich erweitert werden, denn die Kostenübernahme müsste für etwa jeden vierten Schüler erfolgen. Kostenpunkt dauerhaft: mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr.
3. Bund und Länder wollen vergleichbar mit den Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung ein Programm zur Lehreraus- und weiterbildung und Schulentwicklung starten, konkret ist die Förderung von Verbünden (Arbeitstitel: "Deutsche Zentren für digitale Bildung") aus lehrerbildenden Hochschulen, außeruniversitären Bildungsforschungseinrichtungen und Landesinstituten für Lehrerbildung geplant. Das Signal der gestrigen Runde: Die digitale Transformationen von Schulen und Unterricht geht weit über die Bewältigung der Pandemie hinaus, damit müssten sich auch die Lehrerbildung und die Institution Schule in einem Austausch zwischen Forschung und Praxis grundsätzlich weiterentwickeln. Dieser Punkt hat bislang in der Berichterstattung noch keine Beachtung gefunden – dürfte aber für Bildungswissenschaft und Schulpraxis besonders spannend sein.
4. Auch einen Breitbandanschluss für alle Schulen wollen Bund und Länder jetzt "schnellstmöglich" realisieren. Das Geld dafür ist schon lange im Haushalt eingestellt, doch jetzt soll es wirklich mal vorangehen: KMK-Präsidentin Stefanie Hubig soll kurzfristig den Bedarf in den Ländern abfragen und an den für die digitale Infrastruktur zuständige Andreas Scheuer (CSU) weitermelden. Und dann sollen möglichst noch in diesem Jahr die Bagger rollen.
"Lose Absichtserklärungen
ohne konkreten Fahrplan?"
Konkret benannte Ziele – weitere Maßnahmen sollen sich laut Gesprächsteilnehmern in der Pipeline befinden, darunter eine Teststrategie, damit Kinder bei leichtem Schnupfen weiter in die Kitas und Schulen gehen können, und Zuschüsse an die Kommunen, damit sie mehr Schulbusse fahren lassen und die Schüler nicht so eng befördert werden müssen. All das soll und muss schnell gehen – doch wie genau, ist größtenteils noch unklar.
Von "losen Absichtserklärungen ohne konkreten Fahrplan" sprach deshalb die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Katja Suding. Die angekündigten Maßnahmen sprängen noch dazu viel zu kurz. "Ein großer Wurf für digitales Lernen sieht anders aus. Im Digitalpakt liegen schon heute fünf Milliarden Euro bereit, die aber wegen bürokratischer Hürden nicht bei den Schulen ankommen." Viel mehr als die "nun verabredeten kleinteiligen Maßnahmen" hätten Bund und Länder schon jetzt den Grundstein für eine langfristige Finanzierung des digitalen Unterrichts legen müssen, sagte Suding weiter und forderte einen Digitalpakt 2.0.
Der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der linken Bundestagsfraktion, Jan Korte, kommentierte, die Ergebnisse des Spitzentreffens enttäuschten "auf ganzer Linie". Die Schulen hätten mit einem Investitionsstau von 44 Milliarden Euro zu kämpfen, einem verheerenden Mangel an Lehrpersonal und Unterricht unter Pandemie-Bedingungen. "Und die Verantwortlichen reagieren darauf mit unverbindlichen Verabredungen für 500 Millionen Euro, so viel wie Annegret Kramp-Karrenbauer für sechs Kampfjets ausgibt."
Wobei alle Verabredungen, wenn sie denn umgesetzt würden, dann doch deutlich teurer zu Buche schlagen würden. Hinzu kommt: Ein Grundsatz-Bekenntnis, das sich bereits gestern Abend in der von
Regierungssprecher Steffen Seibert herausgegebenen Pressemitteilung wiederfand, ist womöglich bedeutsamer, als es in der zurückhaltenden Formulierung zunächst scheinen mag: "Es
besteht Einigkeit über das gemeinsame Ziel, erneute komplette und flächendeckende Schließungen von Schulen und Kitas möglichst zu vermeiden. Das hohe Gut der Bildung soll auch in Zeiten der
Pandemie politische und gesellschaftliche Priorität genießen."
Jetzt müssen Bund und Länder die beschworene Priorität von Bildung auch in der Pandemie konkretisieren
Das wäre in der Tat nach den Erfahrungen von Schülern, Eltern und Lehrern aus dem Frühjahr etwas Neues. Doch was bedeutet eine solche Priorisierung in der Praxis?
Die Ministerpräsidenten und Kultusminister hatten im Juni beschlossen, im neuen Schuljahr grundsätzlich einen Corona-Regelbetrieb mit möglichst viel Präsenz zu organisieren – und wenn einzelne Corona-Fälle an Schulen auftreten, möglichst nur noch einzelne Klassenstufen oder Kohorten in Quarantäne zu schicken. Zu dem Plan der Länder gehört auch, selbst in einer zweiten Welle statt bundesweiter oder landesweiter Schulschließungen den Präsenz-Unterricht nur noch dort einzuschränken, wo das Infektionsgeschehen regional tatsächlich extrem ist.
Um den Eindruck von Willkür aus den diesbezüglichen Entscheidungen der Landesregierungen zu nehmen, haben mehrere Kultusminister zuletzt Stufenpläne aufgestellt, die abhängig von Fallhäufigkeiten und der Situation einzelner Schulen die unterschiedlichen Hygienemaßnahmen und Eskalationsstufen auf Landkreisebene beschreiben. Diese Form der Transparenz, berichten Teilnehmer, hätten Merkel und Esken außerordentlich begrüßt. Man sei sich einig gewesen, dass auch die vieldiskutierte Frage von einer Maskenpflicht im Schulgebäude oder sogar im Unterricht Teil solcher auf Regionen bezogenen, aber bundesweit möglichst ähnlichen Stufenplänen werden solle.
Dem Grundrecht der Kinder und Jugendlichen auf Bildung explizit politische und gesellschaftliche Priorität einzuräumen, wie es in dem offiziellen Presse-Statement steht, würde natürlich auch bedeuten, dass, wenn die Infektionszahlen weiter steigen, andere gesellschaftliche Bereiche zugunsten von offenen Kitas und Schulen zuvor eingeschränkt würden. SPD-Chefin Esken sagte heute Mittag auf meine Nachfrage: "Wir fangen an, darüber zu diskutieren, ob Großveranstaltungen akzeptabel sind, dabei haben wir die dringende Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Kitas und Schulen verlässlich offen bleiben. Und diese Aufgabe geht vor."
Zum Beispiel auch, indem es eine Öffnung von Fußballstadien für Publikum nicht geben wird, solange Schulen bei steigenden Zahlen die Schließung droht?
So wichtig die demonstrative Priorisierung von Bildung vor anderen Lebensbereichen für die Öffentlichkeit also ist, sie konkret für den Fall einer weiter steigenden Corona-Kurve auszubuchstabieren, wäre in den nächsten Tagen wünschenswert.
Nächstes Treffen ist
schon für September geplant
Schon so lobte Udo Beckmann, Vorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), das bezahlbare Internet für alle Schüler als einen "Meilenstein". Und die Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, sagte, mit den Dienstlaptops für Lehrer könne endlich "von Schreibtisch zu Schreibtisch" gelernt werden.
Das aus dem "informellen Treffen" zwischen Kultusministern und Bundes-Spitzenpolitikerinnen gestern Abend – wie von der Bundestagsopposition kritisiert – wegen der fehlenden Zuständigkeiten zunächst gar keine formalen Beschlüsse folgen konnten, war dabei laut Teilnehmern zugleich sogar eine Chance. "Zuerst kam die Frage: Was müssen wir als Gesellschaft für die Schulen erreichen, und sobald das Ziel stand, haben wir gemeinsam überlegt, wie wir es umsetzen können", sagt zum Beispiel Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU). Jeder sei sich seiner politischen Kompetenzen bewusst gewesen, doch habe es keinerlei Kompetenzgerangel gegeben, sondern die Haltung: "Wenn wir das so wollen, dann finden wir auch Wege, es gemeinsam umzusetzen."
Eine Haltung, die noch zwei langfristige Folgen des gestrigen Treffens nach sich zieht. Erstens: "Diese Form des Austauschs" (O-Ton Pressemitteilung) soll mit allen Kultusministern fortgesetzt werden, im Hintergrund heißt es: voraussichtlich schon im September. Und zweitens: Bundeskanzlerin, SPD-Chefin und BildungsministerInnen verständigten sich darauf, dass die Digitalisierung von Bildung auf Dauer eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern bleibt. Auch diese Aussage ist bedeutsam – und die Politik wird sich bei allen unterschiedlichen Zuständigkeiten in der Bildungspolitik künftig daran messen lassen müssen. Bundesbildungsministerin Karliczek lobte denn auch "die große Einigkeit" im Gespräch darüber, "wie wir die Digitalisierung der Schulen beschleunigen können". Gut so.
Auch SPD-Chefin Esken hatte bereits am Freitagmorgen in einem Statement gesagt, die Vereinbarungen für mehr Digitalisierung an den Schulen müssten "sehr schnell" Wirklichkeit werden. "Wir sind alle wild entschlossen, jetzt der Sache einen Schub zu geben." Na dann: Die Zeit läuft.
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Kassandra (Freitag, 14 August 2020 22:14)
Um, die Schule ist schon am Montag in Berlin angefangen. Alles nett und gut, aber warum ist das nicht alles in den Ferien ausgearbeitet und umgesetzt worden?
Nads (Samstag, 15 August 2020 06:26)
Klingt alles vielversprechend und ist ein richtiger Schritt für die Zukunft, auch unabhängig von Corona. Aber es ist auch ein Schritt. Wichtig ist Lernen neu definieren. Effektiver, freudvoller und hierfür vorallem Gruppengrössen zu reduzieren. Das hilft uns auch, und das vermisse ich bei diesem Austausch Schule jetzt infektionssicherer zu gestalten und Abstandsregelungen einzufûhren, 1.Step außerhalb der Klasse (nicht Kohorte!), 2. Step innerhalb der Klasse bei hohem infektionsgeschehen. Beides kurzfristig umsetzbar mit Mischung aus Präsens-Tagen und Tagen,wo digital oder auf ‘Papier’ gearbeitet wird. Somit ist die Wahrscheinlichkeit flächendeckende Schulschliessungen zu vermeiden am größten und Lernen effektiver, als zuvor. Hoffentlich wird das diskutiert und umgesetzt..vor dem Herbst, was wohl leider wieder zu knapp wird. Aber ich Drücke die Daumen.
Lehrer (Montag, 17 August 2020 10:31)
Gut und schön, aber zur Ausstattung der Lehrer, ein kleiner Einblick, der in der vergangenen Woche in der Lehrerkonferenz gegeben wurde: in NRW wird die Beschaffung von Apple iPads (nicht Laptops) über die Kommunen (Schulträger) ausgeschrieben werden.
1. Ausschreibung heißt, es dauert noch Monate, bevor etwas passiert, da aufgrund des Volumens eine europäische Ausschreibung notwendig ist.
2. iPads heißt, Bindung an Apple, Schwierigkeiten mit Microsoftprodukten, keine Tastatur an Bord.
3. Kommune heißt: Es geht wohl mit einer zentralen Wartung durch den Schulträger einher. Admin-Rechte erhält das Lehrpersonal wohl nicht. Auch scheint es, dass nicht jede App installiert werden können soll - wegen ausgehandelter Sonderkonditionen mit Apple. Nur mit Apple Education zu arbeiten, ist nicht zielführend.
4. Die Kids werden stark an Apple gebunden.
Spannend in dem Zusammenhang: im vergangenen Jahr war Apple auf großer Werbetour und ließ je einen sog. iPad-Koffer als Dankeschön zurück. Darin: 16 iPads, damit mit den Schülern digital gearbeitet werden kann. Auf den iPads natürlich nur vorinstallierte Programme. 16 Geräte reichen für eine durchschnittlich große Klasse natürlich nicht aus. Folge: Es musste mind. 1 weiterer Koffer selber angeschafft werden, so man die Chance des anderen Unterrichts nutzen wollte.
eins von den Schulträger (Dienstag, 18 August 2020 09:34)
zur 10 Euro:
Die meisten Endgeräte an Schule haben nur WiFi an Bord.
Daher wäre es Sinnvoll auch über das letzte Stückchen was da fehlt, nach zu denken.
Und ja, "Lehrer" meistens wird für iPads entschieden weil in NRW dafür meistens bereits eine MDM "am Platz" ist in denen die Geräte zwingend auf zu nehmen sind. Hier steht EUR 500,-(Gerät + Zubehör + Inbetriebnahme) zur Verfügung. Wir haben in unser Warenkorb nachgesehen, das kleinste Laptop liegt mit ein plain WIN 10 jenseits der EUR 500,-. (vor allem, die Geräte sollten vier Jahre Einsatz durchhalten). Fragt man LuL, so wird ein iPad Pro mit Tastatur und Stift "gewünscht". Das ist auch definitiv jenseits der EUR 500,-. Sehr schlau ist an dieser "Förderung" auch, die laufenden Kosten des Betriebs, das aufsetzen, ausrollen, die MDM Lizenz und den Support beim Schulträger zu platzieren. Ach ja, was machen wir denn nach diese vier Jahren? Die nächste Förderung für den Ersatz?