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Bislang relativ glimpflich

All die Neuinfektions-Rekorde haben bundesweit bislang nicht auf die Intensivstationen durchgeschlagen. Das dürfte sich aber bald ändern. Die Frage ist nur: Wie stark? Derweil zeigt sich immer deutlicher, dass die RKI-Hospitalisierungsraten kaum brauchbar sind.

ERSTMALS MEHR als eine Million Corona-Neuinfektionen registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) für die vergangene Kalenderwoche, die bundesweite 7-Tages-Inzidenz kletterte bis heute Morgen auf 1.206,2. Ist da Anlass für positive Nachrichten? Tatsächlich ist es das. Und zwar für gleich mehrere.

 

Erstens: Der Anstieg bei den gemeldeten Neuinfektionen hat sich deutlich verlangsamt. Die heutige 7-Tages-Inzidenz liegt knapp 35 Prozent höher als vor einer Woche. Am vergangenen Dienstag betrug ihr Anstieg im Wochenvergleich noch fast 62 Prozent. Nein, das heißt nicht, dass die Test- und Meldekapazitäten nicht überlastet sind. Tatsächlich dürften die Dunkelziffern je nach Bundesland derzeit enorm sein. Zwei bis dreimal so hoch wie die offiziellen Zahlen, schätzen Experten.

 

Doch das Nachlassen der Dynamik ist vermutlich trotzdem echt. Warum? Weil in denjenigen Bundesländern, wo die Omikron-Welle begann, die Inzidenzen im Wochenvergleich stagnieren (Hamburg: +3,3 Prozent), stark unterdurchschnittlich steigen (Berlin: +10,5 Prozent) oder sogar leicht zurückgehen (Bremen: -5,1 Prozent, Schleswig-Holstein: -2,6 Prozent). Haben sie den Peak der Welle erreicht, oder sind kurz davor?

 

Ein Caveat: Vor zwei Wochen ging das Wochenwachstum bei den bundesweiten Inzidenzen schon einmal stark zurück, dann nahm es wieder Fahrt auf. Den absoluten Höhepunkt erwartet unter anderem Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) jedenfalls in ungefähr zwei Wochen. 

 

Zweitens: Trotz des krassen Anstiegs der Inzidenzen geht die Zahl der Corona-infizierten Patienten auf den Intensivstationen im Wochenvergleich immer noch leicht zurück. Auf 2.300 gestern, ein Rückgang von 5,7 Prozent zur Vorwoche. Allerdings hat sich das Minus innerhalb von sieben Tagen erneut halbiert (vergangenen Montag noch: -11,2 Prozent; vorvergangenen Montag: -15,7 Prozent). Und zuletzt ging die Zahl der Intensivpatienten schon wieder leicht (um einige Dutzend) rauf.

 

Insofern könnte hier die Trendwende erreicht sein. Allerdings sah es auch danach in den vergangenen Wochen schon einige Male aus. So oder so: Erfreulich und ermutigend ist, dass die Zahlen auch über einen Monat in die Omikron-Welle hinein noch auf so stark verringertem Niveau liegen. 

 

Drittens: In den Bundesländern, wo die Virusvariante zuerst durchschlug, sind die Hospitalisierungstendenzen teilweise hoch (Bremen) oder sehr hoch (Hamburg), und der Anteil der Corona-Infizierten an allen Intensivpatienten ist es auch. Aber die Steigerungsraten werden geringer, beim Anteil der Intensivpatienten gibt es in Bremen (-1,08 Prozentpunkte auf 14,11 Prozent) und Schleswig-Holstein (-0,74 Prozentpunkte auf 8,07 Prozent) bereits recht deutliche Rückgänge.

 

Bei der demographischen Verteilung der Neuinfektionen zeigen sich derweil auffällige Tendenzen. Positiv: Der Anteil der unter 5-Jährigen an allen Meldefällen sank in der vergangenen Kalenderwoche nach einem wochenlangen drastischen Anstieg erstmals wieder merklich (von 5,16 auf 4,63 Prozent). Immerhin: Bei den 5- bis 14-Jährigen kletterte der Anteil nicht mehr so dynamisch (von 22,30 auf 23,47 Prozent). Allerdings liegt er auf einem Allzeithoch und höher noch als nach den Sommerferien (gut 22 Prozent).

 

Derweil nahm der Anteil der 60- bis 79-Jährigen an allen gemeldeten Neuinfektionen erneut leicht zu (5,85 auf 5,91 Prozent), ebenso bei den über 80-Jährigen (1,47 auf 1,50 Prozent). 

 

Woraus folgt: Die Jüngeren (mit Ausnahme der Kleinkinder) und die Älteren hatten vergangene Kalenderwoche ein überdurchschnittliches Fallwachstum, die Altersgruppen dazwischen zum Teil eine deutlich geringere Dynamik. Weil sie wegen der PCR-Knappheit deutlich weniger getestet werden?

 

Der hohe Anteil an den registrierten Neuinfektionen bei den Kindern macht sich auch bei ihrem Anteil an allen Krankenhauseinweisungen bemerkbar. Die jüngsten Zahlen des RKI stammen hier aus der vorvergangenen Kalenderwoche 3, und ihnen zufolge waren von allen hospitalisierten Corona-infizierten 5,5 Prozent jünger als fünf und weitere 5,3 Prozent zwischen fünf und 14 Jahre alt. Bei letzteren entspricht dies mehr als einer Verdopplung innerhalb von zwei Wochen (in Kalenderwoche 1 waren 2,3 Prozent). Zugleich sind damit absolut betrachtet mehr als doppelt so viele Kinder und Jugendliche mit einer Corona-Infektion im Krankenhaus, als es bis Dezember jemals gleichzeitig waren. 

 

Allerdings: Im Vergleich zu den älteren Altersgruppen (60 bis 79: 23,3 Prozent; über 80: 21,5 Prozent) ist das immer noch verhältnismäßig wenig. Und die Frage ist, was die Zahlen noch aussagen, wenn in Kalenderwoche 3 zwar laut RKI insgesamt 223 Patienten zwischen 5 und 14 mit Corona im Krankenhaus lagen, aber die offizielle (gemittelte) Corona-Meldeinzidenz in der Altersgruppe 2.260 betrug? So dass bei den etwa 17.000 pro Woche ins Krankenhaus eingewiesenen Kindern dieser Altersgruppe, die alle bei der Aufnahme getestet werden, 384 schon statistisch gesehen Corona-positiv gewesen sein müssten? Egal, ob sie wegen Covid-19-Komplikationen, einem Beinbruch oder etwas ganz Anderem stationär behandelt werden müssen.

 

Klar, da kommen noch viele Nachmeldungen, auch könnte die Zahl der wöchentlichen Krankenhauseinweisungen insgesamt niedriger ausgefallen sein, weil viele geplante Eingriffe derzeit wegen Corona aufgeschoben werden. Umgekehrt gibt es bei den Meldeinzidenzen aber besagte Dunkelziffer, auch bei Kindern und Jugendlichen, obgleich sie wegen der Pflichttests in den Schulen vermutlich niedriger liegt als bei den Erwachsenen. Trotzdem dürften ihre "echten" Inzidenzen in Kalenderwoche deutlich höher als 2.260 gewesen sein. Die einzig logische Schlussfolgerung: Irgend etwas stimmt hier mit dem Meldesystem mal wieder ganz und gar nicht. Nur, was, kann, siehe unten, auch das RKI nicht genau sagen. 

 

Sicher ist: Ein Großteil der Kinder wurde nicht wegen einer Corona-Infektion eingewiesen. Wie viele, ist allerdings nicht bekannt. Denn die Ermittlung der RKI-Hospitalisierungszahlen ist an der Stelle unklar. Zwar gibt es Länder wie Rheinland-Pfalz, die nach den Gründen für die Krankenhausaufnahme Corona-infizierter Patienten unterscheiden (siehe hierzu auch meinen Beitrag von vergangener Woche), viele andere tun es aber nicht. Und das RKI sammelt und aggregiert dann Meldedaten, die ganz unterschiedlich entstanden sind. Und kann dann logischerweise auf die Frage, inwieweit die bundesweiten Hospitalisierungstendenzen hier differenzieren, keine eindeutige Antworten geben. Auf meine diesbezügliche Anfrage wurde lediglich auf eine FAQ-Sammlung verwiesen. Nachfragen, was genau das für die Verlässlichkeit der Hospitalisierungsinzidenzen bedeutet, wurden dann nicht mehr beantwortet.

 

Die unklare Qualität der bundesweiten Einweisungsmeldungen, ihre – wenn überhaupt – nur teilweise Berücksichtigung der Aufnahmegründe –gelten natürlich für alle Altersgruppen, so dass die Hospitalisierungsraten, je höher die 7-Tages-Inzidenzen steigen, mit noch größerer Vorsicht zu genießen sind als – aufgrund ihres großen Meldeverzugs – ohnehin schon. Sie sind ein weiteres (und gerade zurzeit) sehr unbefriedigendes Beispiel für die schlechte Corona-Datenlage und die daraus folgende mangelhafte Krisenkommunikation von Bund und Ländern, die kürzlich wieder der Corona-Expertenrat kritisiert hat. Weil es der Politik dadurch fast unmöglich gemacht wird, auf die aktuelle Lage angemessen zu reagieren.

 

Es gebe in Deutschland keine Institution, die eine effektive, in Sachen Evidenzbasiertheit und öffentlicher Vermittlung angemessene Risiko- und Gesundheitskommunikation umsetze, schreiben die Experten – eine unverhohlene Kritik, die ich zuallererst RKI und Bundesgesundheitsministerium gefallen lassen müssen.

 

So bleibt mal wieder vor allem dies: abwarten. Auf die Infektions-Inzidenzen und die Entwicklung auf den Intensivstationen schauen. Und hoffen, dass vor allem bei den Kindern und Jugendlichen mit ihren enorm hohen Inzidenzen tatsächlich bald der Peak erreicht ist. Denn auch wenn die allermeisten Infektionen laut Kinder- und Jugendärzten unkritisch verlaufen, so ist doch die Gefahr von Langzeitfolgen Long Covid oder PIMS vorhanden. Und bei extrem hohen Inzidenzen bedeutet auch eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit unter Umständen zahlreiche solcher Fälle. 

 

Insofern kommen Diskussionen über Lockerungen an Schulen auch zum falschen Zeitpunkt. Die Masken- und Testpflicht sollten, so unangenehm sie sind, vorerst im Unterricht bestehen bleiben. Ganz bewusst zum Wohl der Kinder, nicht der Erwachsenen. Aus genau dem gleichen Grund muss der Präsenzunterricht aber auch weitergehen – weil die Schäden geschlossener Schulen für Bildung, Teilhabe und psychosoziale Gesundheit sehr vieler Kinder in jedem Fall, das zeigen die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre, sehr groß sind.

 

Und sobald die Omikron-Welle gebrochen ist, muss im März mit als erstes über mehr Freiheiten für Kinder gesprochen werden – und über eine Rückkehr der Schulen zu einem weniger von Corona-Maßnahmen geprägten Regelbetrieb. Hierzu gibt es einen wichtigen Anstoß der "Initiative Familie", unterstützt von Virologen und Kindermedizinern, der Anfang Januar allerdings zu früh kam.



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