Wann kommt endlich das versprochene Freiheitsgesetz für die Bundesagentur für Sprunginnovationen? Deren Chef Rafael Laguna sagt: dieses Jahr – oder er will gehen. Steht das Finanzministerium von Christian Lindner auf der Bremse?
Screenshot der SPRIND-Website mit Agenturchef Rafael Laguna de la Vera.
DER CHEF DER Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) macht Druck auf die Bundesregierung – und droht indirekt mit seinem Rücktritt. Er erwarte, sagt Rafael Laguna de la Vera, dass das von der Ampel-Koalition versprochene SPRIND-Freiheitsgesetz nun endlich bis spätestens Ende 2023 komme. Entsprechend habe er die ihm angebotene Vertragsverlängerung gestalten lassen, die er gerade unterschrieben habe. Sie laufe zwar über vier Jahre, enthalte aber eine Klausel, "dass ich für die weitere Erfüllung meines Vertrages über das Jahr 2023 evaluiere, ob die im Koalitionsvertrag festgelegte Entfesselung der SPRIND tatsächlich umgesetzt wurde".
Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP hieß es: "Wir werden die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Agentur für Sprunginnovationen umgehend substanziell verbessern, damit sie freier agieren und investieren kann."
Aus dem "umgehend" sind bereits gut 13 Monate geworden – und das Gesetz ist immer noch nicht da. "Das geht so nicht", sagt Laguna. "Wir brauchen das Gesetz jetzt, andernfalls dauert alles doppelt so lange, ist wenig unternehmerisch, und Deutschland bleibt den Beleg schuldig, dass es zu einer anderen Form der Innovationsförderung in der Lage ist."
Woran es laut Laguna vor allem hapert: Die sehr aufwändige Fachaufsicht durch drei Ministerien unter Beteiligung von sieben Referaten verlangsame zwangsläufig alle Prozesse. Damit SPRIND die besten Leute einstellen könne, müsse die Agentur Gehälter zahlen, die teilweise weit über dem Gefüge der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst lägen. Das gehe zwar, aber nur über einen enorm bürokratischen Aufwand zur Rechtfertigung jeder einzelnen Ausnahme.
"Wir machen alles zehnmal so kompliziert,
wie es sein müsste", sagt Laguna
Noch problematischer sei, dass die Agentur für jedes von ihr finanzierte Projekt eine Tochter-GmbH gründen müsse, die dann ein Darlehen erhalte, und für die dann auch eine Anwendungspflicht der Bundeshaushaltsordung besteht. "Das ist realitätsfremd und wenig unternehmerisch, VEB Innovation sozusagen", sagt Laguna. "Innovatoren haben Anderes zu tun, als erstmal ein paar zehntausend Euro für Anwälte auszugeben – Geld, das sie nicht haben. Und als nächstes sollen sie die Rechte an ihrer Idee dann an die GmbH auslagern, was zur Aushandlung irrer Klauseln für den Fall der Rückabwicklung führt." Und so gehe das weiter. "Wir machen alles zehnmal so kompliziert, wie es sein müsste", sagt Laguna. "Warum können wir nicht direkt in die Firmen und Institutionen der Innovatoren investieren – als Wandeldarlehen oder als Eigenkapital, je nachdem? Dadurch würden wir uns den ganzen bürokratischen Unsinn sparen."
Der SPRIND-Chef sagt, die Bundesministerien für Forschung und für Wirtschaft täten bereits, was sie könnten, um den Gesetzgebungsprozess zu beschleunigen. Doch stehe scheinbar das Finanzministerium von FDP-Chef Christian Lindner auf der Bremse. Warum? Darüber will Laguna nicht spekulieren, doch: "Offenbar gibt es im Apparat noch Leute, die nicht von der Notwendigkeit und der Mission von SPRIND überzeugt sind." Einigen fehle schlicht das Vorstellungsvermögen, dass eine Förderung mit öffentlichen Geldern auch ganz anders als bislang üblich ablaufen könne – und dass das Zahlen von Boni und hoher Gehälter nicht automatisch Verschwendung bedeute, oft sogar das Gegenteil. "Und wenn ein Unternehmer von einem privaten Investor Risikokapital erhält, wird er sich von dem Geld auch nicht als erstes einen schicken Sportwagen kaufen. Erstens brennt er für das, was er erreichen will, und zweitens gibt es für so etwas Verträge mit den Investoren."
Auf Anfrage will ein Sprecher des Finanzministeriums die Vorwürfe Lagunas nicht kommentieren, da "wir uns zu regierungsinternen Abstimmungen nicht äußern können".
Fest steht: Zwar wächst das aus Mitteln von BMBF und BMWK gespeiste SPRIND-Budget kräftig, doch gab es bis vor kurzem eine Haushaltssperre auf 20 Prozent des 22er-Geldes – und für 2023 wurde das BMBF-Budget gegenüber den Planungen um 8,4 Millionen Euro gekürzt – auf immerhin aber noch 147 Millionen Euro, was ein neuer Höchststand ist: 2021 waren es 49,3 Millionen. Offizielle Begründung des Haushaltsausschusses für die Kürzung: "Anpassung an den Bedarf".
Ein argumentativer
Drahtseilakt
Für SPRIND-Chef Laguna ist es ein argumentativer Drahtseilakt. Einerseits muss er gegenüber dem Finanzministerium und der Öffentlichkeit belegen, dass die SPRIND schon jetzt erfolgreich ist und das ihr anvertraute Geld ausgeben kann. Was dann zu Schlagzeilen wie neulich im Handelsblatt führt: "Die Tüftler stehen Schlange". Andererseits drängt sich dann schnell der Eindruck auf, dass das Leiden Lagunas und seiner Agentur unter dem noch ausstehenden Freiheitsgesetz so dramatisch dann doch nicht sein könnte.
Das umgekehrte Narrativ ist freilich kaum attraktiver: dass SPRIND bislang nicht performt. Das könnte zwar einerseits ein Beleg sein, wie dringend das Freiheitsgesetz gebraucht wird, alternativ aber auch auf Laguna als SPRIND-Chef zurückfallen. Weshalb Laguna den Eindruck, die Agentur könne das Geld zurzeit nicht ausgeben, von sich weist. "Wir sind sehr erfolgreich“, sagt er. "Das ist das Fatale. Das liegt vor allem daran, dass wir uns alle derart reinhängen, dass die Ineffizienzen von außen kaum einer sieht."
Die Haushaltssperre sei selbstverständlich beseitigt worden, nachdem SPRIND nachgewiesen habe, dass es ihr ganzes Budget sinnvoll ausgeben könne. Doch störe es ihn, wenn er und seine Leute "jede Menge Saltos" schlagen müssten, die Zeit und Geld kosteten und nicht nur die SPRIND-Mitarbeiter beschäftigten, sondern auch die Innovatoren. "Es kann doch keiner behaupten, es läuft alles wunderbar, wenn es aus allen Löchern blutet und viel zu lange dauert." Darum seien er und seine Agentur ja dafür da, die bestehenden Systeme in Frage zu stellen durch neue zu ersetzen – auch in der Innovationsförderung. "Damit macht man sich nicht nur Freunde, das ist klar."
Tatsächlich hat Laguna Kritiker – von denen interessanterweise aber kaum einer mit Namen an die Öffentlichkeit geht. Laguna findet das feige, wenn zum Beispiel immer mal wieder gestreut werde, er sei für das Amt nicht geeignet, zu empfindlich und drohe allzu schnell mit seinem Rücktritt. Tatsächlich vermutet er hinter der Kritik eine Handvoll Leute – darunter gescheiterte SPRIND-Antragsteller.
Und was das mit den Rücktrittsdrohungen angehe: Bislang, sagt Laguna, habe er ein einziges Mal gedroht hinzuschmeißen – nach einer im Innovationsdialog bei der Kanzlerin beschlossenen Verbesserung der SPRIND Anfang 2021, die dann aber nicht umgesetzt wurde, sei das gewesen, "wohl ein Opfer des Wahljahres", wie Laguna meint. Seitdem nie wieder. Eine weitere Rücktrittsdrohung sei ihm später fälschlicherweise von der Presse angedichtet worden.
"Ich arbeite seit drei Jahren darauf hin, dass SPRIND endlich das sein kann, was es von Anfang an sein sollte und wofür ich geheuert wurde und wofür ich brenne", sagt Laguna. Nachdem das Gesetz eigentlich schon im Sommer 2022 habe stehen sollen, sei es doch nur konsequent, dass er langfristig nur bleibe, wenn das Gesetz jetzt bald mal komme. "Das ist keine Drohung, das ist eine Feststellung."
Aktuelle SPRIND-Hoffnungen: Microbubbles,
eine neue Alzheimer-Kur und ein Holodeck
Die Statistik des Geleisteten, die die SPRIND in ihrem "Tat-Sachen 2021/22" genannten, elegant designten ersten Jahresbericht präsentiert, klingt eindrucksvoll: 72,8 Millionen Euro hatte die Agentur 2022 bereits in sechs Tochter-GmbHs und sogenannte Validierungsaufträge gesteckt, weitere 19,2 Millionen in vier sogenannte Challenges investiert und einen "Sovereign Tech Fund" mit 2,3 Millionen Euro ausgestattet. Die geförderten Hoffentlich-Sprunginnovationen reichen von "Microbubbles", die das Mikroplastik-Problem lösen sollen über eine revolutionäre Kur gegen die Alzheimer-Krankheit bis hin zur Realisierung einer Star-Trek-Utopie: eines Holodecks. Die Themen zeigen zugleich auch, wie gewagt viele der Ansätze sind – was die SPRIND-Förderung notwendigerweise zur absoluten Risikoförderung macht.
Auffällig ist, dass – während das Finanzministerium die Möglichkeit auslässt, SPRIND zu loben – das beim Gesetz federführende BMBF von Bettina Stark-Watzinger (ebenfalls FDP) genau dies in fast schon epischer Breite tut. Die Agentur habe sich seit ihrer Gründung erfolgreich entwickelt, sagt ein Sprecher. "Eine Vielzahl von Ideen aus unterschiedlichsten Disziplinen, bei denen die SPRIND Sprunginnovationspotenzial erkennt, werden zwischenzeitlich umfassend gefördert. Zudem ist es der SPRIND in mittlerweile vier Innovationswettbewerben gelungen, gesellschaftlich hochrelevante Fragestellungen zu adressieren, die derzeit durch hochkarätige Teams im Wettstreit um die beste Lösung bearbeitet werden." Auf diese Weise trage die SPRIND dazu bei, "radikal neue Lösungen zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit zu finden".
Weitere Projekte und Wettbewerbe würden 2023 starten. "Hervorgehoben werden kann zudem exemplarisch, dass die SPRIND eine Initiative gestartet hat, um neue Impulse für den Transfer von IP in wissensbasierte Ausgründungen aus Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu setzen." "Transfer" ist ähnlich wie "Innovation" eines der Buzzwords in der Wissenschaftspolitik zurzeit. Gleichzeitig betont das BMBF, dass bereits vergangenes Jahr "erste erhebliche Verbesserungen insbesondere mit Blick auf finanzielle Freiheiten" erreicht worden seien.
Dass das Forschungsministerium sich in Sachen SPRIND so reinhängt, hat vermutlich auch mit der zweiten Bundesagentur zu tun, deren Gründung die Ampel versprochen hat und die ebenfalls im Verantwortungsbereich von Stark-Watzingers Ministerium liegt. Doch gibt es von der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) bislang neben dem griffigen Namen nur ein grobes Konzept, eine Haushaltssperre für den Großteil der für 2023 veranschlagten Mittel und Versprechungen aus dem BMBF, dass es bald Klarheit schaffen will. Nachdem der frühere Staatssekretär Thomas Sattelberger, der die DATI zu einem seiner Hauptprojekte erklärt hatte, Mitte 2022 überraschend zurückgetreten war, startete sein Nachfolger Mario Brandenburg erstmal einen breiten Beteiligungsprozess, der möglichst viele Akteure im Wissenschaftssystem mitnehmen soll. Erste Pilotlinien hat er auch angekündigt – doch hängt die Ausgestaltung der DATI als Agentur eben auch sehr stark ab von den Freiheitsgeraden ab, die zuvor für die SPRIND erkämpft wurden – und noch erkämpft werden müssen? Laguna selbst sagt, er finde die Logik, "wir entwickeln jetzt erst einmal SPRIND und setzen dann analog dazu die DATI auf, gar nicht so verkehrt".
Schützenhilfe durch Baden-Württembergs
Ministerpräsident Kretschmann
Zuletzt hat Laguna in seinem Kampf für das Gesetz neuen Auftrieb bekommen. In einem Tagesspiegel-Interview hatte der einflussreiche grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, das Jahr 2023 zum "Kipppunkt für den deutschen Wohlstand" erklärt und zu Lagunas Freude das Wort „Sprunginnovation“ in den Mund gekommen: Sie veränderten die Welt mit einer hohen Geschwindigkeit – weshalb Innovation das wichtigste Instrument gegen Wohlstandsverluste sei und ein "Jahrzehnt der Investitionen" nötig sei, "damit die Transformation gelingt".
Tatsächlich sieht es so aus, als könnte Fahrt in den Gesetzgebungsprozess kommen. Nachdem das BMBF bereits im März einen Gesetzentwurf vorgelegt hatte, abgestimmt mit dem Wirtschaftsministerium, meldete das Finanzministerium nach etlichen Monaten Verzögerung noch Änderungswünsche an. Diese wurden inzwischen eingearbeitet, kurz vor Weihnachten hat das BMBF intern einen überarbeiteten Gesetzentwurf vorgelegt. Weshalb klar wird, warum Laguna gerade jetzt den Druck erhöht: damit das Finanzministerium jetzt bald grünes Licht gibt.
Der BMBF-Sprecher sagt: "Derzeit findet dazu eine Vorabstimmung innerhalb der Bundesregierung statt, um zeitnah einen Referentenentwurf in die Ressortabstimmung geben zu können."
Ein "zeitnah", das hoffentlich nicht dem "umgehend" im Ampel-Koalitionsvertrag entspricht.
Kommentar schreiben
Jan-Martin Wiarda (Mittwoch, 18 Januar 2023 08:39)
Liebe Leserinnen und Leser,
ich freue mich auf Ihre Kommentare – die ich allerdings nur mit nachvollziehbaren Klarnamen veröffentlichen werde. Ich danke für Ihre Verständnis!
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
David J. Green (Donnerstag, 19 Januar 2023 19:33)
In der Tat habe ich mich daran gewöhnt, kritische Kommentare unter Ihren Berichte über SPRIND/Laguna zu lesen, lieber Herr Wiarda. Ob mit oder Klarnamen, darauf hatte ich vorher nicht geachtet. Schon interessant, dass sie diesmal (bislang) ausbleiben.
Steffen Tobisch (Freitag, 27 Januar 2023 10:41)
"Damit SPRIND die besten Leute einstellen könne, müsse die Agentur Gehälter zahlen, die teilweise weit über dem Gefüge der Tarifverträge für den öffentlichen Dienst lägen." Klar, SPRIND hat Wirkung. Aber der o.g. Umstand gilt auch, und derzeit erst recht, dafür, die besten Leute zu HALTEN (wenn man sie denn mal hat). Gerade in Zeiten massiven Fachkräftemangels und der gegenseitigen Kannibalisierung zwischen konkurrierenden Firmen ist das Besserstellungsverbot aus der Zeit gefallen und verhindert ein ums andere Mal den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Rahmen. Vermitteln Sie Herrn Laguna de la Vera doch mal an die Ihnen bekannten Industrieforschungseinrichtungen, die können ein Lied von diesen Schwierigkeiten singen.