Die Darmstädter Beschleunigeranlage startet noch später, wird noch teurer – und trotzdem zur Light-Version geschrumpft. Aber das BMBF will das Projekt durchziehen.
FAIR-Baustelle in Darmstadt (Mai 2022). Foto: GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung/D.Fehrenz.
ES IST EIN FIASKO in Scheiben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat vergangene Woche dem Bundestag mitgeteilt, dass die geplante Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt erneut massiv teurer wird. Und trotzdem angekündigt: Wir machen weiter.
Auf zur nächsten Scheibe also. Obwohl die Milliarden-Misere um die "Facility for Antiproton and Ion Research", das unter Federführung des GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung entsteht, längst kein Problem der Physik allein mehr ist. Um die Größenordnungen zu verdeutlichen, ein paar Zahlen: 2005 ging man im BMBF von 700 Millionen Euro Kosten für FAIR aus, und die Anlage sollte 2012 so weit fertig sein, dass erste Experimente würden starten können. 2020, anderthalb Jahrzehnte und mehrere Preissprünge später, war der Kostenrahmen auf 2,15 Milliarden angehoben worden, und erste Experimente waren von 2025 an vorgesehen.
Und jetzt gesteht das Ministerium in seinem neuen Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages offiziell ein: Es wird nochmal drei Jahre später losgehen, voraussichtlich 2028. Und die Kosten klettern gegenüber den bereits zähneknirschend bewilligten 2,15 Milliarden um weitere mindestens 518 Millionen Euro, was allerdings der untere Schätzbetrag ist und unter anderem von der Inflation abhängt. Als Obergrenze setzt das BMBF ein 659-Millionen-Plus an. Womit sich die FAIR-Zeche den drei Milliarden und damit dem Vierfachen dessen nähert, bei dem sich die Politik einst auf das Vorhaben eingelassen hat. Wobei selbst dieser neue Betrag nur noch für eine Teilfertigstellung reicht. Eine Menge Geld, das anderen Projekten in Wissenschaft und Bildung nicht zur Verfügung stehen wird. Und wer die eben nur angerissene Scheibchen-Historie von FAIR kennt, der ahnt: Dies könnte nicht die letzte Erhöhung gewesen sein. >>>
Acht Fußballstadion, neun Eifeltürme,
große Planeten und Sternenexplosionen
Die Ambitionen sind gewaltig. "Geheimnisse über den Aufbau und die Entwicklung des Universums lüften, das wollen Forschende mit Experimenten an der Beschleunigeranlage FAIR in Darmstadt", steht auf der Website des GSI Helmholtzzentrums für Schwerionenforschung, auf dessen Gelände "Facility for Antiproton and Ion Research" als internationales Gemeinschaftsprojekt entsteht. Dazu soll FAIR die Bedingungen nachahmen, wie sie in großen Planeten, in Sternen und während Sternexplosionen herrschen. Mit extrem hohen Temperaturen, Drücken oder Dichten.
Auch das dafür nötige Bauvorhaben ist gewaltig. Zwei Millionen Kubikmeter Erde werden bewegt, so viel wie für 5000 Einfamilienhäuser. Die 600.000 Tonnen Beton, die verbaut werden, entsprächen dem Bedarf von acht neu gebauten Fußballstadien, rechnen die FAIR-Bauherren vor, und mit den 65.000 Tonnen Stahl könne man neun Eiffeltürme bauen.
Zum wiederholten Male hatten die im sogenannten FAIR-Council organisierten Projektpartner eine externe Kommission mit der Durchleuchtung von FAIR beauftragt. Erneut wurde sie geleitet von Rolf-Dieter Heuer, der von 2009 bis 2015 Generaldirektor des CERN war, dem weltweit größten Forschungszentrum für Teilchenphysik in der Nähe von Genf. Der Bericht des BMBF an den Haushaltsausschuss bezieht sich in wesentlichen Erkenntnissen zur wissenschaftlichen Bedeutung von FAIR auf die Kommission und greift auch deren Vorschläge zu möglichen Ausbauszenarien auf.
Die erneuten zusätzlichen Kosten, hatte das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt dem Hessischen Rundfunk erklärt, hingen unter anderem mit Ukraine-Krieg, der Inflation, der Verknappung der Rohstoffe, der Störung der internationalen Lieferketten und der Explosion der Energiekosten zusammen.
Aktualisierung vom 23. März am Ende des Artikels:
Stark-Watzinger meldet Vollzug: 518 Millionen fließen
>>> Zumal das Risiko für Deutschland mit sofortiger Wirkung noch stärker steigt. FAIR war von Anfang an als internationales Projekt mit zuletzt elf Partnerländern (und in Deutschland zusätzlich Hessen als Sitzland) geplant, doch Russland, das mit 17,5 Prozent nach Deutschland den zweitgrößten Anteil finanzieren sollte, gilt seit Beginn des Ukraine-Krieges als Totalausfall. Weshalb die Bundesregierung und das Land Hessen in ihrer üblichen 86,9-zu-13,1-Verteilung wohl den russischen Beitrag an der Kostenexplosion gleich noch mittragen müssen, so zumindest die erklärte Erwartung im BMBF-Bericht. Kostenpunkt: weitere 74 Millionen für Bund und Land.
Hinzu kommt, dass Deutschland aus der Scheiben-Erhöhung von 2019 eine Rechnung von 102 Millionen offen hat, die es jetzt nach Vorschlag des BMBF mitzahlen sollte. Und das ist immer noch nicht alles. Weil Indien sich seit 2015 standhaft weigert, jede weitere Kostenrunde mitzumachen, läuft dessen 3,3-Prozentanteil seit acht Jahren immer weiter auf und muss beglichen werden. Übrigens erwartet das BMBF nicht, das die übrigen Projektländer ihren Anteil an der neuen Kostenscheibe einfach so überweisen werden – weswegen Deutschland auch diese 120 Millionen wohl wird vorstrecken müssen. Um dann, wie es in dem Bericht heißt, die internationalen Partner "im Rahmen von anreizbezogenen Verhandlungen zur Übernahme von Mehrkostenanteilen zu bewegen".
Mehr Geld für
weniger Wissenschaft
Wem bei solchen Zahlen noch nicht der Kopf schwirrt, der muss nur noch etwas weiterlesen. Denn obwohl FAIR immer teurer wird, gibt es dafür immer weniger Wissenschaft. Die aktuellen Berechnungen des BMBF beziehen sich nämlich nur noch auf ein Rumpfprogramm, die zweitkleinste Ausbaustufe, im Bericht "First Science" genannt, die vom Ministerium auf der Grundlage eines neuen internationalen Expertenberichts als langfristig in weltweiten Vergleich nur "eingeschränkt konkurrenzfähig" bezeichnet wird. Die Kosten für den Vollausbau der Anlage, vermutlich mindestens vier Milliarden Euro, sechsmal so viel wie einst geplant, werden im Bericht gar nicht mehr beziffert. Und selbst das nach früheren Preisexplosionen 2019 angestrebte Zwischenziel, das sogenannte "Intermediate Objective", gilt nach einer Kostensteigerung von rund 30 Prozent mit gut 3,1 Milliarden Euro (inklusive der nötige Ersatzbeschaffung russischer Komponenten) inzwischen als nicht mehr erschwinglich.
Dabei lässt folgende Einschätzung im BMBF-Bericht besonders aufhorchen: "Umso mehr Ausbaustufen von FAIR realisiert werden, desto umfangreicher sind die Alleinstellungsmerkmal der Anlage." Im Umkehrschluss: Die jetzt bereits absehbaren 2,7 Milliarden Euro für "First Science", die nach aller Erfahrung ohnehin noch weiter steigen dürften, reichen nicht einmal mehr für einen solchen Ausbaustand der Anlage aus, um wirklich dessen internationales Einmaligkeit zu sichern, die einst überhaupt der Anlass war, den Bau von FAIR zu beschließen.
Tatsächlich, so hat die internationale Wissenschaftlerkommission in Auftrag des BMBF festgestellt, wäre FAIR im "First-Science-"Szenario "sehr vergleichbar" mit der chinesischen Anlage HIAF, die seit 2018 gebaut wird und 2026 starten soll. Womit das Darmstädter Projekt von rechts überholt worden wäre – zu einem Preis, der mit bis zu 350 Millionen Euro bei nicht einmal einem Achtel der dafür angenommenen FAIR-Projektkosten liegen dürfte.
Trotzdem will das BMBF zumindest diese Lightversion von FAIR durchziehen – mit der Option, später mit noch mehr Geld weitere Ausbaustufen draufzusetzen. Wofür, wenig überraschend, auch die Kommission plädierte. Mit Bezug auf deren Gutachten hat das Ministerium vergangene Woche dem Haushaltsausschuss mitgeteilt, dass es, unterstützt von Hessen, mit dieser Position in die Sitzung der internationalen Gesellschafter, dem FAIR-Council, an diesem Donnerstag und Freitag gehen wird. Übrigens ohne dass die Haushälter darüber überhaupt formal abzustimmen hatten. Warum auch: In dieser Legislaturperiode, so hat es das BMBF ausgerechnet, ist die neue Riesenscheibe fast kostenneutral (wobei das natürlich bedeutet: kostenneutral gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung, die noch von anderen Szenarien ausgegangen war).
Die Angst vor dem
Abbruch-Szenario
Es geht also weiter wie bislang eigentlich immer bei FAIR: Man nickt die jüngste Kostensteigerung zähneknirschend ab, bekommt dafür weniger Anlage als vorher, und verbindet das mit der Ansage, dass dies nun wirklich zum letzten Mal so laufe. Wenn dann in ein paar Jahren der nächste Hammer ansteht, lautet das Argument: Jetzt haben wir doch schon so viel Geld reingesteckt, wenn wir jetzt abbrechen, ist alles verloren. Also schrumpfen wir das Projekt lieber noch ein bisschen weiter.
So wurde denn auch vom BMBF in seinem Bericht mit dramatischen Worten beschrieben, was ein Total-Abbruch von FAIR bedeuten würde: Dann drohten die Abwanderung von Forschenden ins Ausland und der Verlust der nächsten Generation junger Talente; Deutschland und Europa würden auf fast allen Gebieten der bei FAIR verfolgten Kernforschung international ins Hintertreffen geraten. Außerdem stünden Bauruinen in einem Naturschutzgebiet, die rückgebaut werden müssten, und eine Genehmigung für eine eventuelle Umnutzung seien schwierig zu beurteilen. Die Kosten für Kündigungen und Rückbau könnten sich auf 351 bis 484 Millionen Euro belaufen – und bereits getätigte oder zugesagte Investitionen von 1,8 Milliarden Euro seien dann unwiderruflich verloren.
Nicht zu vergessen, dass dann laut BMBF die internationalen Partner womöglich ihre Investitionen zurückfordern könnten – eine Warnung, die dann doch allzu deutlich macht, worum es hier geht: jeden politischen Mut, jetzt die FAIR-Notbremse zu ziehen, zu ersticken. Hatte das Ministerium doch selbst an anderer Stelle angemerkt, dass Indien seit 2015 das Tragen der Kostensteigerungen verweigert und nicht sicher sei, ob und wann die anderen Partner ihren wachsenden Kostenanteil übernehmen werden.
Beinahe skurril klingt schließlich die Einschätzung im Bericht, mit einem Abbruch werde das Vertrauen Deutschlands, Großprojekte am eigenen Standort zu realisieren, "erheblich gestört". Vom BER oder Stuttgart 21 einmal abgesehen: Was wohl von diesem Vertrauen nach mindestens 16 Jahren Verzögerung bei FAIR und schon jetzt Mehrkosten von über zwei Milliarden Euro überhaupt übrig ist?
Das Problem der
unterschiedlichen Zeitrechnungen
Doch die Strategie des Bundesforschungsministeriums scheint gefruchtet zu haben: Im Haushaltsausschuss hat es Teilnehmenden zufolge zwar Kritik, aber keinen ernsthaften Widerstand gegen die vom BMBF verkündeten Pläne gegeben. Was auch daran liegen dürfte, dass die neuen Kostenschätzungen nicht ganz so krass ausfallen wie noch vor einigen Monaten befürchtet, wodurch der Bericht auf einige Haushälter offenbar fast schon eine beruhigend Wirkung hatte.
Auch Forschungsministerin Bettina Stark Watzinger dürfte erleichtert sein. Zugleich FDP-Vorsitzende von Hessen, muss sie nun im Jahr der hessischen Landtagswahl wohl kein Aus für das Megaprojekt in Hessen verkünden.
Wer in ein paar Jahren im BMBF-Chef/in ist, um dann möglicherweise das nächste Kapitel der FAIR-Misere verkaufen zu müssen, ist offen. Auch die Abgeordneten im Haushaltsausschuss könnten dann wieder andere sein – was zeigt, dass die Länge von Legislaturperioden nicht wirklich kompatibel ist mit den zeitlichen Dimensionen eines aus dem Ruder gelaufenen Großprojekts – mit allen negativen Konsequenzen, die das wiederum für die langfristige Effektivität der parlamentarischen Kontrolle hat.
Bleibt die Frage der Betriebskosten, die besonders die übrigen Helmholtz-Zentren interessieren dürfte, die aus demselben Topf wie das Darmstädter GSI finanziert werden. Bei "First Science" sollen es von 2027 an geschätzte 240 Millionen Euro sein, eine erstaunlich optimistische Zahl. Und ebenso optimistisch ist, dass der Bund mit Verweis auf den geltenden Schlüssel glaubt, dann mit lediglich 145,4 Millionen Euro pro Jahr wegzukommen. Wie auch immer: Um das Go zum Weiterbau von FAIR zu bekommen, helfen solche Zahlen auf jeden Fall.
Anmerkung am 06. März um 23.30 Uhr: Ich habe einige Zahlen im Text korrigiert, da ich zuvor Vergleichswerte unterschiedlicher Ausbaustufen in einen Zusammenhang gebracht hatte. Ich bitte, dies zu entschuldigen.
Nachtrag am 23. März
Stark-Watzinger meldet Vollzug: 518 Millionen fließen
Der FAIR-Council hat im Nachgang seiner Sondersitzung entschieden: Das Projekt kann wie von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) geplant weitergehen. Zusammen mit ihrer hessischen Amtskollegin Angela Dorn (Grüne) teilte sie mit, dass der Bund 449 und Land Hessen 69 Millionen Euro für die Ausbaustufe "First Science" zur Verfügung stellen werden.
Mit Verweis auf die weiteren "signifikanten Kostensteigerungen" unter anderem durch Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg sei Deutschland und den internationalen FAIR-Partnern eine Finanzierung des Vollausbaus der FAIR-Anlage auch mit Blick auf andere zentrale Forschungsvorhaben derzeit nicht möglich, erläuterte das BMBF weiter. Auch ein möglicher Projektabbruch sei durchkalkuliert worden "und wäre praktisch genauso teuer gewesen wie die Ausbaustufe First Science".
Dies ist wiederum eine bemerkenswerte Aussage, um den Weiterbau zu rechtfertigen – setzt sie doch voraus, dass es von jetzt an nicht zu weiteren Kostenexplosionen kommen wird, obwohl die Vergangenheit Anderes lehrt. Das BMBF räumt dies in seiner Mitteilung selbst ein: Bei der Umsetzung des Vorhabens sei es "mehrfach zu deutlichen Kostensteigerungen und Verschiebung der vorgesehenen Inbetriebnahme" gekommen.
In eigener Sache: Schaffen wir gemeinsam die 0,2 Prozent?
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Edith Riedel (Montag, 06 März 2023 17:26)
Es ist ein absolutes Desaster, und ein Unding, dass es hier keinerlei Konsequenzen für die massiven Fehlplanungen gibt. Ich bin die Letzte, die die Spesenüberschreitungen bei Fraunhofer nicht aufgeklärt und sanktioniert sehen möchte. Aber im Vergleich zu den Summen, die für FAIR verbrannt wurden und werden, erscheint es fast schon lächerlich, mit welchem Ernst die Spesenüberschreitungen verfolgt werden. Den Bürger*innen und Steuerzahler*innen ist das nicht vermittelbar!
Ingenieur Hessen (Sonntag, 24 März 2024 17:39)
Ich arbeite seit nunmehr 4 Jahren auf diesem Projekt. Zu den Kosten sei folgendes gesagt: Die Planungsphase wurde ohne die jetzigen Baufirmen durchgeführt. Somit ergaben sich bei der Realisierung infrastrukturelle Probleme, die mit Korrigierungen und Nachträgen verbunden waren. Kosten in Millionenhõhe, um das Naturschutzgebiet, weitgehend zu schützen. Alles nicht wirklich verwunderlich. Die richtigen Kostentreiber, sind die Gehälter und zwar nicht die der GSI, sondern der FAIR Angestellten. Die Bauleitung allein besteht aus einer Staffel vin über 100 Mann. In der 80% als Freelancer mit einem Tagessatz von 850€ beschäftigt werden. Rechnet man das alleine hoch, kommt man mit den Zuschlägen für die Consultingfirmen auf ca. 3 Millionen € pro Monat. Darin sind nicht die Kosten der Bauüberwachung, des Brandschutzes und der Drittduenstleister enthalten, die kumuliert nochmal 3 Mio€ pro Monat kosten.