Das Landwirtschaftsministerium will das Tierschutzgesetz verschärfen – mit Folgen für die Wissenschaft. Die Forschungsministerin muss ein "Stopp"-Zeichen setzen.
"GEFÄNGNIS FÜR TIERVERSUCHE?", fragte Research Table vergangene Woche, als der Newsletter über den Referentenentwurf zur Tierschutzgesetz-Novelle berichtete. Und in der Tat: Was notorischen Tierquälern das Handwerk legen soll, würde, wenn die Reform so durchkäme, zugleich eine massive Abschreckungswirkung für die biomedizinische Forschung verursachen.
Dabei ist gar nicht neu, dass Haftstrafen möglich sind für das Töten eines Wirbeltieres "ohne vernünftigen Grund", und zwar bis zu drei Jahre, genauso für das Zufügen erheblicher Schmerzen oder Leiden "aus Rohheit" oder über einen länger anhaltenden oder sich wiederholenden Zeitraum. Jetzt aber will das federführende Bundeslandwirtschaftsministerium Cem Özdemir (Grüne) den diesbezüglichen Artikel 17 im Tierschutzgesetz verschärfen durch die Bestimmung: "Wer eine in Absatz 1 bezeichnete Handlung beharrlich wiederholt oder aus Gewinnsucht oder in Bezug auf eine große Zahl von Wirbeltieren begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft."
Was hat das mit der
Forschung zu tun?
Das Zusammenspiel schwammiger Begrifflichkeiten – was ist ein vernünftiger Grund, was ist Rohheit, was ist ein länger anhaltender Zeitraum, und neu, was eine große Zahl von Wirbeltieren und was eine beharrliche Wiederholung – erzeugt zusammen mit der Verschärfung des Strafrahmens ein Gesamtszenario, das noch stärker einschüchternder auch auf Forschende wirken wird (und soll?) als die bisherigen Bestimmungen. Der unbestimmteste und damit an Forschungsverhinderung grenzende Begriff folgt aber im ebenfalls neuen Absatz 4: "Handelt der Täter… leichtfertig, so ist die Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe."
So ethisch gerechtfertigt und professionell die Nutzung von Tieren auch liefe, bliebe immer ein kaum einschätzbares juristisches Risiko für die Forschenden. Was Özdemirs Ministerium in Kauf nimmt – und so eine Geringschätzung für die biomedizinische Forschung und ihre gesellschaftliche Bedeutung offenbart, die gerade angesichts der ohne Tierversuche undenkbaren Entwicklung von Corona-Impfstoffen (um nur ein Beispiel zu nennen) schwer erträglich ist.
Doch leider passt der Referentenentwurf der Novelle damit in den Zeitgeist. Die Universität Bremen etwa hat gerade Beschwerde eingereicht beim Bundesverfassungsgericht gegen die Anfang 2023 beschlossene Neufassung des Landeshochschulgesetzes. Demzufolge soll nicht nur auf die Tötung von Tieren für die Lehre verzichtet werden, sondern auch "auf die mit Belastungen verbundene Verwendung von lebenden Tieren zur Einübung von Fertigkeiten und zur Veranschaulichung von biologischen, chemischen und physikalischen Vorgängen“. Mit sehr eng gefassten Ausnahmen.
Und noch gravierender: Mit der grundsätzlichen Angemessenheit von Tierversuchen in Lehre und in Forschung müssen sich jetzt in Bremen Kommissionen an den Hochschulen beschäftigen, die laut Gesetz "paritätisch" mit Wissenschaftlern und von Tierschutzorganisationen benannten Personen besetzt werden sollen – und mit deren Votum sich dann Dekanate, Senate, Rektorate und Behörden auseinandersetzen müssen. Eindeutiger kann man gegen die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz nicht verstoßen, sollte man denken – und wundert sich, wie solch eine Regelung überhaupt beschlossen werden konnte.
Zweimal Schiffbruch in Bremen,
trotzdem der nächste Versuch
Übrigens haben in der Vergangenheit bereits zwei Bremer Landesregierungen Schiffbruch erlitten mit ihren jeweils sehr eigenwilligen Interpretationen des Kampfes gegen Tierversuche, als sie stümperhaft – und beide Male am Ende gerichtlich bescheinigt rechtswidrig – versuchten, die über viele Jahre laufenden Experimente mit Affen am Institut für Hirnforschung zu beenden.
Zurück zur Bundesebene. Bis vergangenen Freitag mussten die Wissenschaftsverbände ihre Stellungnahmen einreichen. Diese dürften in allen Fällen sehr deutlich ausgefallen sein. Umso wichtiger, dass Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der Ressortabstimmung ein Stoppzeichen setzt.
Ja, auch der Tierschutz hat seit seiner Einfügung in den Grundgesetzartikel 20a im Jahr 2002 Verfassungsrang. Doch im Gegensatz zum Recht der Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2) und zur Wissenschaftsfreiheit (Artikel 5) gehört der Tierschutz nicht zu den noch einmal besonders geschützten Grundrechten.
Differenzierte, nicht plakative Formen der Abwägung sind gefragt. Im Notfall erledigen das am Ende Verfassungsrichter. Doch bis es soweit ist, ist der Schaden schon geschehen. Für die Wissenschaftsfreiheit, für das gesamtgesellschaftliche Wohl – und für das Vertrauen in die Qualität politischer Entscheidungen.
Dieser Kommentar erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
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Zu extrem (Dienstag, 05 März 2024 08:42)
Lieber Herr Wiarda,
so sehr ich Ihren Blog schätze: an dieser Stelle ist mir Ihre Darstellung zu plakativ. Wenn man die oben genannte Bestimmung so streng auslegt, wie Sie das in Ihrem Artikel tun, würde dies auch zu einem Verbot der Fleischindustrie führen, wovon wir nicht ausgehen können.
Tierversuche haben zu vielen wissenschaftlichen Errungenschaften geführt. Gleichzeitig werden sie an fühlenden und leidenden Lebewesen durchgeführt, sodass eine kritische Reflexion des Einsatzes von Versuchstieren eine Grundvoraussetzung sein muss.
Viele Grüße!
Gerald Übelnahm (Dienstag, 05 März 2024 09:25)
Ja, muß man denn in diesem Lande alles bürokratisch und penibel regeln? Die bisherigen Gesetze reichen doch
völlig aus, um extreme Dinge auszuschließen. Das wäre doch mal ein Feld für den Verbund "Wissenschaftsfreiheit".
Edith Riedel (Donnerstag, 07 März 2024 14:29)
@zu extrem: "Wenn man die oben genannte Bestimmung so streng auslegt, wie Sie das in Ihrem Artikel tun, würde dies auch zu einem Verbot der Fleischindustrie führen, wovon wir nicht ausgehen können."
Es geht ja gar nicht darum, dass die Novelle zu einem Verbot von Tierversuchen führt. Es geht darum, dass durch die Novelle eine noch stärkere Drohkulisse aufgebaut wird für Wissenschaftler*innen, die aufgrund der Schwammigkeit der Begriffe und der Unsicherheit ihrer Auslegung dazu führen wird, dass die Beantragungs- und Genehmigungsprozesse für Tierversuche sich unverhältnismäßig in die Länge ziehen, administrative Hürden immer höher werden, und am Ende viele Studien nicht durchgeführt werden, weil die einzelnen Wissenschaftler*innen oder auch ganze Einrichtungen weder die Zeit noch die juristische Expertise haben, diesen Prozess immer wieder zu durchlaufen. Der Vergleich mit der Fleischindustrie hinkt im übrigen, da die Fleischindustrie mit sehr viel schlagkräftigeren Rechtsabteilungen besser aufgestellt ist, als jede Hochschule, oder auch die außeruniversitären Forschungseinrichtungen.
Claudia Rödel (Donnerstag, 07 März 2024 14:56)
Wer schon einmal einen Tierversuchantrag geschrieben hat weiß, dass der Aufwand bereits jetzt so hoch ist, dass dieser zum Hindernis des eigentlichen Antragsgegenstandes geworden ist. Leider hat Deutschland als Wissenschaftsstandort schon jetzt den Anschluss verloren, jedenfalls wenn es um biomedizinische Forschung geht. Das Böse Erwachen kommt dann in 20 Jahren, wenn alle Forschenden und die Pharmaindustrie gleich mit ins Ausland abgewandert sind und wir unsere medizinische Versorgung teuer einkaufen müssen. Research Wonderland... oder hoffen wir dann nur noch auf Wunder?