· 

"Die Bezeichnung halte ich für missverständlich"

Lambert T. Koch reagiert auf die Vorwürfe einer zu großen Nähe des Hochschulverbands zum "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit". Im Interview sagt der DHV-Präsident, wo er die Berufsvertretung wissenschaftspolitisch verortet sieht, wie er um nichtprofessorale Mitglieder wirbt – und welche Rolle für ihn Gender Studies und die Postkoloniale Theorie spielen.

Lambert T. Koch, 58, ist Wirtschaftswissenschaftler und war von 2008 bis 2022 Rektor der Bergischen Universität Wuppertal. Viermal wurde er von DHV-Mitgliedern zum "Rektor des Jahres" gekürt. 2023 trat Koch die Nachfolge von Bernhard Kempen als Präsident des Deutschen Hochschulverbandes an. Foto:  Deutscher Hochschulverband/BeAStarProductions.

Herr Koch, der Deutsche Hochschulverband (DHV) bezeichnet sich selbst als "Berufsvertretung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland". Wäre es nicht fairer zu sagen, dass er lange vor allem eine Vertretung arrivierter Professoren und ihre Interessen war? Und ist er es immer noch?

 

Wie es der Begriff "Berufsvertretung" nahelegt, versteht sich der DHV schwerpunktmäßig als ein Interessenverbund von Menschen, die hauptberuflich und dauerhaft in der Wissenschaft tätig sind oder sich für eine solche Tätigkeit qualifizieren. Natürlich passt er sich dabei an veränderte Karrierewege an. So hat er sich schon vor Jahren nicht nur für Habilitierende und Juniorprofessorinnen und -professoren, sondern generell auch für Postdocs geöffnet. Die Serviceangebote des DHV wollen Mitglieder in jedem beruflichen Stadium ansprechen – von der Phase der Qualifizierung bis in die Zeit nach der Emeritierung. Was Studierende und Promovierende anbetrifft, strebt rein statistisch am Ende nur ein geringer Prozentsatz eine wissenschaftliche Karriere an. Dennoch sind uns auch berechtigte Interessen dieser Gruppen nicht gleichgültig. 

 

Rund 70 Prozent der DHV-Mitglieder sind unbefristet beschäftigte Professorinnen und Professoren. Was tun Sie, um den Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erhöhen, die keine Professur, aber eine Dauerstelle haben? Und wie wollen Sie mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Karrierephase als Mitglieder gewinnen? Zuletzt gab es in zwei Protestwellen sogar zahlreiche Austritte.

 

Zu den zentralen wissenschaftspolitischen Zielen des DHV gehört es, über alle Personalkategorien hinweg Wissenschaft als Beruf attraktiv zu halten. Deshalb legen wir regelmäßig dort den Finger in die Wunde, wo sich Rahmenbedingungen verbessern müssen. Wir nehmen natürlich Rücksicht darauf, dass die Interessen unserer Mitglieder divergieren. So haben beispielsweise junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein mehr als verständliches Interesse daran, dass für sie verlässliche Perspektiven im Wissenschaftssystem gegeben sind. Dies nimmt der Verband genauso auf, wie er unermüdlich auf eine auskömmliche Budgetierung von Hochschulen drängt, damit junge Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Karriere anstreben können. Vielerorts werden zusätzliche Dauerstellen im Mittelbau benötigt, auch im Rahmen neuer Personalkategorien unterhalb der Professur. Das mahnen wir an. Dass es trotz unserer Bemühungen, möglichst alle Gruppierungen mitzunehmen, Austritte gegeben hat, bedauere ich. Der DHV konnte diese Austritte bislang zwar immer durch Eintritte mehr als kompensieren. Doch unser Anspruch ist es, artikulierte Unzufriedenheit ernst zu nehmen. Dass ansonsten die schon erwähnten Serviceangebote und persönlichen Beratungen insbesondere auch von jüngeren Mitgliedern immer wieder sehr gutes Feedback erhalten, ist dann doch zumindest ein Indikator dafür, dass der DHV einiges richtig macht. 

 

Ihr Vorgänger Bernhard Kempen hat den DHV sehr konservativ positioniert. An welcher Stelle und bei welchen Positionen unterscheiden Sie sich von ihm?

 

In der öffentlichen Debatte ist man für meinen Geschmack heute zu schnell dabei, Menschen und Institutionen Stempel aufzudrücken oder Bekenntnisse abzufordern: rechts oder links, konservativ oder progressiv, für mich oder gegen mich. Wenn man dies bezüglich meiner Person versuchte, wäre ich darüber nicht glücklich. Gerade in einer Zeit, in der Politik an den Hochschulen wieder eine größere Rolle spielt, müssen wir uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das leisten, was Wissenschaftsfreiheit ja Gott sei Dank ermöglicht: Wir sollten Sachverhalte differenzierter betrachten und dabei auch unterschiedliche Sichtweisen respektieren – fair und ohne Polemik, mit der man nach meinem Eindruck heute allzu schnell bei der Hand ist. Der DHV vereinigt rund 33.500 fachlich, biografisch und von ihrer politischen Anschauung her höchst unterschiedliche Mitglieder. Diese Vielfalt bereichert den Verband. Was uns verbindet, ist das Interesse an freier Forschung und Lehre sowie guten Arbeitsbedingungen. Darüber hinaus sind wir alle dem Streben nach Erkenntnis verpflichtet. Wir sind gewissermaßen immer auf dem Weg und offen für neue Positionen und Perspektiven. Nur so bleiben wir auch als Verband glaubwürdig und interessant. Davon bin ich überzeugt. 

 

"Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung."

 

Wenn der DHV, wie geschehen, das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" als "willkommenen Mitstreiter" bezeichnet, was sagt das über das Verhältnis zwischen DHV und Netzwerk?

 

Die Bezeichnung halte ich für missverständlich. Sie ist meines Wissens ein einziges Mal verwendet worden und bezog sich auf das wichtige Anliegen, die Freiheit der Wissenschaft gegen Übergriffe zu verteidigen. Missverständlich deshalb, weil damit zu keinem Zeitpunkt eine pauschale Zustimmung zu sämtlichen Aktivitäten und Positionen des Netzwerks verbunden war, erst recht nicht zu problematischen Personalia. Der DHV arbeitet institutionell mit dem Netzwerk nicht zusammen und hat keinen Einfluss auf dessen Entwicklung. Das Netzwerk hat gut 700 Mitglieder, die sich aus einer gemeinsamen Problemwahrnehmung heraus zusammengefunden haben. Wir vertreten wie gesagt mehr als 33.000 Mitglieder und sprechen dabei für eine große Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die heterogene Perspektiven und voneinander abweichende Erwartungen pflegen. Was unterschiedliche wissenschaftliche Positionen angeht, kommt es uns nicht zu, eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.

 

Und wissenschaftspolitisch? Anhand welcher Kriterien sollte sich eine Berufsvertretung da positionieren?

 

Eine Berufsvertretung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern muss für die Freiheit von Forschung und Lehre eintreten. Das ist ihr klarer wissenschaftspolitischer Auftrag. Welche konkreten Positionen und Forderungen daraus erwachsen, muss von Fall zu Fall entschieden werden. Bewertungsrundlage ist aber stets die freiheitlich demokratische Grundordnung. Das heißt beispielsweise, dass auch unliebsame, den eigenen Überzeugungen zuwiderlaufen Ansichten im wissenschaftlichen Diskurs zuzulassen sind. Sollte bestimmten wissenschaftlichen Positionen oder Fachrichtungen die Daseinsberechtigung abgesprochen werden, muss der DHV die Stimme erheben. Er würde aber sein Mandat überziehen, wenn er sich beispielsweise in politischen Diskussionen dazu einmischte, welche Fachrichtungen auf Kosten anderer besonders gefördert werden sollten. Dies ergibt sich schon aus der Vielzahl von Fächern, die in unseren eigenen Reihen vertreten sind.

 

Wie stehen Sie zu der per Offenen Brief geäußerten Kritik des "Netzwerks Wissenschaftsfreiheit", die Postkoloniale Theorie habe "erheblichen Anteil an der Diskreditierung und Erosion fundamentaler Prinzipien der Wissenschaftlichkeit und der Wissenschaftsfreiheit"?

 

Ich halte diese Position für zu pauschal. Die mir bekannten postkolonialen Theorieangebote weisen eine hohe Heterogenität und Differenziertheit auf. Sie gehen auch unterschiedlich weit, was ihre implizite oder explizite Normativität betrifft. Hier besteht vor allem auf fachlich-inhaltlicher Ebene viel Diskursbedarf. Zum Teil wurde in der Kritik an dem von Ihnen erwähnten Offenen Brief ja behauptet, dass das Netzwerk die Politik dazu auffordere, postkoloniale Studien an Universitäten zu unterbinden. Tatsächlich heißt es aber in dem Schreiben: "Wir wenden uns selbstverständlich nicht dagegen, dass postkoloniales und anderes postmodernes Gedankengut an unseren Universitäten vertreten wird. Es muss aber jederzeit kritisch diskutiert werden können." Da halte ich es schon für wichtig, bei aller Erregung, korrekt zu bleiben. Ich persönlich mag den polemischen Stil auf beiden Seiten nicht und glaube auch nicht, dass wir uns als Wissenschaft mit Blick auf die interessierte Öffentlichkeit damit einen Gefallen tun. Das Thema ist wichtig. In der Sache sollte daher gerne auch hart diskutiert werden. Dabei sollten die Beteiligten aber gelassener bleiben und nicht immer wieder unter die Gürtellinie zielen.

 

"Viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren." 

 

Besteht die eigentliche Gefahr einer mangelnden Meinungs- und Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft nicht in der mangelnden Vielfalt in den wissenschaftlichen Führungspositionen?

 

Ich halte Perspektivenvielfalt in einer offenen und innovativen Wissenschaft für wesentlich und unverzichtbar. Das deutsche Wissenschaftssystem verträgt fraglos mehr biografische Heterogenität. Vielfalt darf dann aber auch unterschiedliche politische Positionen nicht ausschließen. Außerdem darf nicht aus dem Blick geraten, dass Wissenschaft vor allem einem Wahrheitsanspruch verpflichtet ist. Ihre Positionen entwickeln sich methodengeleitet und dürfen nicht leichthin auf schlichte Meinungen reduziert werden. Dies kommt mir bisweilen in der aufgeheizten Debatte um Vielfalt zu kurz. Wir müssen genauer fragen, wo mehr Vielfalt benötigt wird und was wir davon erwarten. Es gibt viele gute Gründe dafür, Chancengleichheit zu fordern und Benachteiligungen auf dem Karriereweg zu bekämpfen. Doch das allein führt nicht notwendigerweise zu besserer Erkenntnis. Im Übrigen ist es eine Stärke des DHV, dass so viele unterschiedliche Fächer vertreten sind, die mit dem Thema Vielfalt je eigene Perspektiven verbinden. Diese gilt es zusammenzubringen, um zu differenzierten Antworten zu gelangen. Darin liegt zugleich ein großer Vorzug, der Wissenschaft gegenüber Politik auszeichnet.

 

Wessen Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit ist stärker gefährdet: die verbeamteter Professor:innen oder wissenschaftlicher Mitarbeiter:innen in frühen Karrierephasen?

 

Es gibt nur eine Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit für alle, unabhängig vom Beschäftigungsstatus. Aber viele, die selbst eine wissenschaftliche Laufbahn durchschritten haben, werden mir zustimmen, dass es in frühen Karrierephasen riskanter ist, sich gegen den Mainstream des eigenen Fachs zu positionieren. Grundsätzlich sollten die Organisationsstrukturen in der Wissenschaft für alle so sein, dass die Bereitschaft, Überkommenes infrage zu stellen und innovative Pfade zu beschreiten, unterstützt und geschützt wird, ohne die Verantwortung für Qualitätssicherung zu vernachlässigen. Das heißt etwa auch, Professorinnen und Professoren müssen ebenso selbstverständlich mit dem begründeten Widerspruch von wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leben wie umgekehrt.

 

Wie soll das gehen angesichts des Machtgefälles, das vielerorts immer noch herrscht?

 

Ich bin optimistisch, dass sich Varianten der alten Idee einer so gearteten Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden in einem transparenten, offenen Wissenschaftsbetrieb auch heute realisieren lassen.

 

Inwiefern braucht es für eine Steigerung der Exzellenz und für eine größere Perspektivenvielfalt in der deutschen Wissenschaft auch mehr Vielfalt und Diversität unter den Professor:innen, und wie wollen Sie sich als DHV konkret für Veränderungen einsetzen?

 

Der DHV setzt sich in vielerlei Hinsicht für ein offenes und faires Wissenschaftssystem in Deutschland ein. Dieser Einsatz betrifft die grenzüberschreitende Offenheit für Menschen unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status. Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern. Ansatzpunkte, in diese Richtung zu wirken, ergeben sich bei jeder Beteiligung an Hochschulgesetzesnovellen, bei der Auditierung von Hochschulen für transparente und faire Berufungsverhandlungen oder auch mit Blick auf viele Serviceangebote, gerade für neue Mitglieder.

 

"Als wenig redlich empfinde ich es, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht."

 

Könnten hier auch die Gender Studies willkommene Mitstreiter des DHV sein? Welche Bedeutung haben diese grundsätzlich an deutschen Universitäten?

 

Jede Disziplin, die mit wissenschaftlichen Methoden nach rationaler Erkenntnis sucht und dafür Wissenschaftsfreiheit einfordert, ist eine willkommene Mitstreiterin des DHV. Ich sehe keinerlei Grund, warum dies für Gender Studies nicht gelten sollte, sofern sie, wie jedes andere Fach auch, danach trachten, methodengeleitet einen Teilausschnitt der Welt besser zu verstehen. Worauf es hier für Universitäten ankommt, hat beispielsweise der Wissenschaftsrat in seiner jüngsten Bestandaufnahme zur Geschlechterforschung hervorgehoben.

 

War es klug, dass der DHV in einer Debatte über die Wissenschaftsfreiheit eine einzelne kritische Wissenschaftlerin per Tweet namentlich angegangen ist?

 

Ich persönlich mag den rauen oder teils sogar sehr derben Stil, der in Debatten auf Plattformen wie "X" zuweilen vorherrscht, nicht. Das kam ja schon raus. Ihre Frage, ob es im konkreten Fall, den ich natürlich kenne, klug war, eine einzelne Wissenschaftlerin per Tweet namentlich zu nennen, lässt sich nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Am besten macht sich jeder selbst ein Bild. Ich weiß, dass der Fall in einem Blog-Beitrag harsch kritisiert wurde. Als wenig redlich empfinde ich es allerdings, wenn der Eindruck erweckt wird, als wäre es an der Tagesordnung, dass der DHV gegen Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler namentlich Stellung bezieht. Richtig ist, dass ein großer Berufsverband sicherlich mehr aushalten kann und muss als eine Einzelperson, selbst wenn diese gelegentlich im Verbund mit meinungsstarken Netzwerken und Akteuren agiert. Die konkrete Namensnennung erfolgte im Tweet zu einem FAZ-Artikel. In diesem wird die Wissenschaftlerin zwar nicht namentlich erwähnt, jedoch unter offensichtlicher Bezugnahme auf zuvor öffentlich im Blog getätigte Äußerungen kritisiert. Dass die Weiterleitung des Artikels und der Tweet die Gemüter derart erhitzen, hat mich überrascht. Aber natürlich nehme ich den Unmut zur Kenntnis. 



In eigener Sache: Bitte die Unterstützung dieses Blogs nicht vergessen


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 6
  • #1

    Monica Mera (Mittwoch, 28 Februar 2024 16:03)

    Hm, ich habe den Eindruck, dass beim DHV (und beim Netzwerk allemal) eine sehr konservative und letztlich leider auch verkürzte und triviale Auffassung von Wissenschaftsfreiheit besteht. Oder der DHV und das Netzwerk verwechseln Wissenschaftsfreiheit mit den eigenen berufsständischen Interessen. Ist die Freiheit der Wissenschaft nur dann bedroht, wenn Professor:innen von ihren Studierenden Widerworte hören? Aber nicht durch einen völlig bizarren Publikationskomplex, die katastrophal geringe soziale Durchlässigkeit, die Benachteiligung von Wissenschaftler:innen, die nicht weiß, männlich und gesund sind, das Befristungsunswesen, die Gefahr, als WiMi sexuellen Übergriffen und anderem Machtmissbruach ausgesetzt zu sein, während die Täter unbehelligt bleiben, und all die Probleme, die vor allem 90% der Wissenschaftler:innen betreffen, die eben keine Professur innehaben (und oft einen guten Teil der Arbeit unentgeltlich erledigen, die eigentlich die Professor:innen machen müssten). Ist die alltägliche Ausbeutung an den Hochschulen ohne Auswirkung auf die Wissenschaftsfreiheit? Ist die lächerliche Vergütung der Lehrbeauftragten ohne Folgen für die Diversität des Personals? Apropos Diversität: Wie ist denn die Formulierung "Unter Berücksichtigung des Prinzips der Bestenauslese können zusätzliche Perspektiven die Ergebnisse von Wissenschaft bereichern." zu verstehen? Das klingt, als ob weder an den Kriterien der Bestenauslese noch an den Zugangsvoraussetzungen etwas auszusetzen ist. Und handelt es sich bei Diversität um "zusätzliche Perspektiven" die "bereichern"? Also um ein bisschen Gewürz für das ansonsten in "Hautfarbe, Geschlecht, sexueller Orientierung, Nationalität, Sprache, Religion oder sozialem Status" weiterhin homogene Professor:innen-Kollegium?

  • #2

    Prof. im (Un)-Ruhestand (Mittwoch, 28 Februar 2024 20:49)

    Zu dieser ganzen Diskussion kann ich nur eines sagen: In meiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Hochschullehrer habe ich dem DHV nie angehört, ihn nicht gebraucht und nie vermißt.

  • #3

    Jan Barkmann (Donnerstag, 29 Februar 2024 11:53)

    Eine sehr ausgewogene Stellungnahme des DHV-Vorsitzenden.

    DHV und - als monothematischer Berufsverband besonders akzentuiert - das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit verteidigen im Kern den grundgesetzlichen Schutz von Forschung und Lehre. Das würde ich weder als "konservativ" noch als "trivial" bezeichnen. Erst recht nicht verwechseln das Netzwerk oder der DHV Wissenschaftsfreiheit mit den eigenen berufsständischen Interessen. Freilich (und legitimerweise) ist die Freiheit von Forschung uns Lehre aber ein sehr wichtiges berufsständisches Interesse.

    "Ist die Freiheit der Wissenschaft nur dann bedroht, wenn Professor:innen von ihren Studierenden Widerworte hören?" Diese Frage ist leider - sehr freundlich ausgedrückt - unscharf formuliert. Im inhaltlichen Widerspruch und in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zeigt sich ja gerade der Geist der Wissenschaftsfreiheit. Mir sind keinerlei Äußerungen des Netzwerks oder des DHV bekannt, die diese Position in Frage stellen würden. Aber von Politaktivisten als "Rassistin" beschimpft zu werden ist kein inhaltlicher Widerspruch, die physische Störung von Vorlesungen oder universitären Veranstaltungen keine wissenschaftliche Auseinandersetzung.

    Ich verstehe nicht, warum die - leider - weiter bestehenden sozialen Zugangsdifferenziale zum Wissenschaftsberuf gegen die Berufsverbände gewendet werden. Die Herstellung von Chancengleichheit im Bildungsbereich ist ein wichtiges gesellschaftliches Problem - und Kernanliegen vieler Institutionen. Die beiden Verbände begrüßen selbstverständlich Diskriminierungsfreiheit und die Herstellung von Chancengleichheit. Dies in Frage zu stellen, weil das Ziel nicht vollständig erreicht ist, hielte ich nicht für redlich.

  • #4

    Monika Mera (Donnerstag, 29 Februar 2024 16:40)

    Naja, dass sich das "Netzwerk Wissenschaftsfreiheit" anlässlich studentischer Renitenz gebildet hat und den Kampf dagegen als vorrangiges Ziel seiner Bemühungen anvisiert, ist ja bekannt und wird glaub ich auch von niemandem ernsthaft bestritten. Dass sich erst zu dem Zeitpunkt, als diese Renitenz erneute mediale Aufmerksamkeit erhielt, das Netzwerk bildete, ist ein Indiz dafür, dass man vorher anscheinend wenig Handlungsbedarf sah. Daher erscheint das Netzwerk prinzipiell konservativ, denn es will offensichtlich, dass alles so bleibt, wie es ist, nur ohne das Störfeuer durch Studierende. Kein Wunder, besteht es doch zu 80% aus Professor:innen (und zu 90% aus Männern). Unbestritten ist, dass es Aktionen gibt, die den freien wissenschaftlichen Diskurs behindern, aber sich auf diese Aktionen zu konzentrieren und in ihnen gar die große Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit zu sehen, erscheint mir abwegig . Das meine ich mit trivialem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit: Unvollständig, auf einen Seitenaspekt verkürzt, und an den eigentlichen Problemen wenig interessiert.

  • #5

    Ruth Himmelreich (Freitag, 01 März 2024 10:15)

    Der DHV ist ein Interessenverband, keine staatliche Einrichtung. Daher darf und muss er die Interessen seiner Mitglieder vertreten, sonst hat er keine Existenzberechtigung (und keine Mitgliedsbeiträge). Die Interessen der Mitglieder vertritt Herr Koch in durchaus ausgewogeneren Weise als, sagen wir mal, Herr Weselsky (dessen Gewerkschaft im übrigen vom Beamtenbund unterstützt wird), auch wenn man das als zu konservativ empfinden mag.

    Für die Gleichstellung all derer, die sich auf eine Professur bewerben und sich hinsichtlich der sozialen oder nationalen Herkunft, Geschlecht, der sexuellen Orientierung etc. vom Mainstream unterscheiden, tut der DHV im übrigen weit mehr, als Papier bunt mit Aktionsplänen zu bedrucken. Die Coachings für die Berufungsverfahren und vor allem für die Berufungsverhandlungen sorgen dafür, dass diese Personen vorbereitet sind, was die finanziellen Spielräume sind. Das läuft nicht immer optimal, aber es sorgt dafür, grob gesagt, dass jemand nicht nur um 100 Euro Zulage verhandelt, weil sie eine queere Frau ist. Und das ist schon mal nicht schlecht, oder?

    Dass die Organisation ihren eigenen Mitgliedern mehr oder weniger sagen soll, macht Platz, ihr seid zu weiß, zu männlich und zu bürgerlich, ist ein bisschen viel verlangt.

  • #6

    Tanja Bhuiyan (Mittwoch, 06 März 2024 13:36)

    Ich finde es auch sehr gut, dass der DHV Coachings für Berufungsverhandlungen anbietet und so auch Menschen, die sich vom momentanen akademischen Mainstream unterscheiden, unterstützt. Aber das greift meiner Meinung nach leider viel zu spät im Selektionsprozess derjenigen, die eine akademische Karriere anstreben können.

    Wenn der DHV sich auch als Vertretung von Postdocs versteht, dann sollte schon in dieser Phase, vor allem mit Hinblick auf Vielfalt, Unterstützung kommen. Die Postdoc Phase hat auf den weiteren Karriereverlauf entscheidenden Einfluss. Zumindest in den Life Sciences gibt es zwei harte Währungen: Publikationen und Drittmittel. Wer diese zwei Währungen während der Postdoc Phase nicht liefert, hat später schlechte Karten berufen zu werden. Hier stellt sich die Frage: wer darf Drittmittel einwerben (die Zustimmung des Lehrstuhls ist immer notwendig, sogar noch bei Juniorprofessor*innen)? Wer publiziert in hochkarätigen Fachzeitschriften? Welche Postdocs haben überhaupt Zeit Anträge zu schreiben? Welche Postdocs bekommen längerfristige Perspektiven, die ja nicht nur für eine Habilitation, sondern auch für high impact publications notwendig sind? Es ist doch unbestreitbar, dass in der Postdoc Phase die Unterstützung des Lehrstuhls unverzichtbar ist. Wer wird unterstützt und wer nicht und auf der Basis welcher Kriterien? Hier gibt es ein enormes Potential für Machtmissbrauch, ein Problem, das der DHV leider nicht anspricht.

    "Dass die Organisation ihren eigenen Mitgliedern mehr oder weniger sagen soll, macht Platz, ihr seid zu weiß, zu männlich und zu bürgerlich, ist ein bisschen viel verlangt." Das ist ein Zirkelschluss. Wenn es mehr Vielfalt in der Wissenschaft gäbe, dann würden auch die DHV Mitglieder eine vielfältigere Gesellschaft abbilden.