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Länder warnen: Bund könnte Digitalpakt 2.0 platzen lassen, Stark-Watzinger widerspricht

In einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz machen die Kultusminister Druck aufs BMBF. Sie fragen: Wo ist die finanzielle Hinterlegung der Neuauflage des Bund-Länder-Programms?

DAS INTERESSE war riesig bei der kurzfristig anberaumten Online-Pressekonferenz der Kultusminister: 76 Teilnehmer, darunter jede Menge Medienvertreter – und mindestens drei Mitarbeiter aus dem BMBF. Kein Wunder, bestand das Ziel der Landespolitiker doch vor allem darin, den öffentlichen Druck auf Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) maximal zu erhöhen. Es verdichteten sich die Anzeichen, warnten führende Vertreter der Kultusministerkonferenz (KMK), dass der Bund die im Ampel-Koalitionsvertrag versprochene Digitalpakt-Fortsetzung platzen lassen könnte. Es brauche jetzt die klare Zusage von BMBF-Chefin Stark-Watzinger und Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), dass dem nicht so sei.

 

"Wir gewinnen leider immer mehr den Eindruck, dass die Bundesregierung aus dem im Mai 2024 endenden Digitalpakt Schule ganz aussteigen will", sagte Hessens Kultusminister Alexander Lorz, der die Politik der CDU-Bildungspolitik in den Ländern koordiniert. Der vom Bundeskabinett beschlossene Haushaltsentwurf für 2024 habe gezeigt, dass die Bundesregierung die zugesagte Anschlussfinanzierung von mindestens 600 Millionen Euro streichen wolle. "Und die weiteren Digitalpaktmittel von jährlich über eine Milliarde Euro ab dem Jahr 2025 sollen nicht einmal in die mittelfristige Finanzplanung der Bundesregierung aufgenommen worden sein. Das macht uns große Sorgen. Es kann nicht sein, dass der Bund erst mit großer Entschiedenheit ein gewaltiges Reformprojekt anschiebt und dann entgegen seiner Zusagen aussteigt und Länder und Kommunen allein lässt."

 

KMK-Präsidentin Katharina Günther-Wünsch (CDU), im Hauptberuf Bildungssenatorin in Berlin, sagte, es fänden "gar keine richtigen Verhandlungen" seitens des Bundes zum Digitalpakt 2.0. statt. Ein Vorwurf, der zuletzt häufiger zu hören war: Das BMBF spiele auf Zeit, ziehe etwa die Prüfung der notwendigen Verfassungsgrundlage zur Pakt-Fortsetzung immer weiter in die Länge. Dabei, sagte Günther-Wünsch, gehe es "um nichts weniger als um die moderne Ausgestaltung des Unterrichts im digitalen Zeitalter." Wer die Digitalisierung an den Schulen ausbremse, gefährde Chancen, verhindere die Fachkräftesicherung, beschränke Innovationen und bremse das Wachstum aus. "Und damit ist das in Gefahr, was unser Land stark macht."

 

Fast schon dramatisch-pathetische Töne, welche die Frage aufwarfen, was denn inzwischen so anders ist als bei der KMK-Pressekonferenz vor knapp drei Wochen, als die Kultusminister sich zuletzt – und schon damals plakativ mahnend – zur ausstehenden Digitalpakt-Fortsetzung geäußert hatten. Warum jetzt dieser überraschend angesetzte Medientermin Schließlich hatte der Bund tatsächlich schon lange vor dem Kabinettsbeschluss signalisiert, dass es 2024 kein Digitalpakt-Geld geben werde.

 

Hessens Bildungsminister Lorz:
"Kipp-Punkt" in den Verhandlungen

 

Man habe aber bis zum Kabinettsbeschluss schon gehofft, dass in Sachen Digitalpakt-Finanzierung 2024 noch etwas zu machen sei, sagte Hamburgs Bildungssenator Ties Rabe, der die Bildungspolitik der Länder mit SPD-Beteiligung koordiniert. Seitdem sei sein Optimismus, dass der Bund den Digitalpakt fortsetzen wolle, auf unter 50 Prozent gesunken. Eine bemerkenswerte Aussage für einen führenden Bildungspolitiker aus dem Ampel-Lager, der noch dazu als gut vernetzt mit Bundeskanzler Olaf Scholz gilt – und sich bei der KMK-Pressekonferenz im Juni noch demonstrativ optimistischer gegeben hatte als sein CDU-Pendant Alexander Lorz.

 

Lorz wiederum ergänzte, man bewege sich in einem Kontinuum. Der Unterschied zur Lage vor drei Wochen sei neben dem Kabinettsbeschluss, dass die Kultusminister "trotz massiven internen Drängens keine bindenden Zusagen des Bundes" bekommen hätten, womit jetzt ein "Kipp-Punkt" in den Verhandlungen erreicht sei.  

 

KMK-Präsidentin Günther-Wünsch verwies darauf, dass die Gelder des Digitalpakts 1.0 inzwischen nahezu vollständig gebunden seien. Hamburgs Senator Rabe sagte, Hamburgs Digitalpakt-Anteil sei 2024 verbraucht. Jeder wisse, wie schnell digitale Geräte veralteten und ersetzt werden müssten. "Wenn die Bundesregierung jetzt aus dem Digitalpakt aussteigt, können mehrere Millionen neu angeschaffte Tablets, Laptops, digitale Tafeln und Server ab 2024 weder gewartet noch modernisiert und ersetzt werden." 

 

Eine direkte Verknüpfung mit den laufenden Bund-Länder-Verhandlungen zum Startchancen-Programm wollten die Kultusminister zwar nicht vornehmen, doch betonten sie, dass sich an der Digitalpakt-Fortsetzung für sie ganz grundsätzlich die Frage der Verlässlichkeit der Bundesregierung festmache.

 

Sie werde sich "mit Nachdruck" für einen
Digitalpakt 2.0 einsetzen, sagt Stark-Watzinger

 

Die Ministerin selbst hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits geäußert, in einem offenbar bewusstem Vorgriff auf die von der KMK angekündigten Pressekonferenz. Beim Digitalpakt Schule sei "aktuell kein akutes Förderloch zu befürchten", sagte Stark-Watzinger am Mittwochmorgen gegenüber der Nachrichtenagentur AFP, womit sie in direkten Widerspruch zu den Kultusministern ging: Bis Jahresende seien "bei Weitem" noch nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel verplant, "geschweige denn abgeflossen", so dass noch bis ins Jahr 2025 hinein Gelder bereitstünden.

 

Und Stark-Watzinger fügte hinzu: Sie werde sich "mit Nachdruck dafür einsetzen, dass der Bund seinen Beitrag zu einem Digitalpakt 2.0 leisten wird". War das nun das klare Bekenntnis, die Klarstellung, die die Kultusminister von ihr erwartet hatten? Oder räumte die Bundesbildungsministerin damit vor allem ein, dass sie über das Digitalpakt-Geld noch nicht mit Finanzminister Lindner einig ist?

 

Jedenfalls ging Stark-Watzingers Statement mit einem dicken Aber einher: Sie erwarte von den Ländern, "dass sie die gleiche Kraftanstrengung auf sich nehmen, da Bund und Länder bei der Herausforderung der Finanzierung an einem Strang ziehen müssen." Stark-Watzinger betonte, dass in jenem Kabinettsbeschluss zum Bundeshaushalt 2024, in denen den Kultusministern das Digitalpakt-Geld fehlte, festgelegt worden sei: Künftig dürfe der Finanzierungsanteil des Bundes bei neuen Maßnahmen, bei denen der Bund die Länder unterstütze, nur noch maximal 50 Prozent betragen. "Ich würde es daher sehr begrüßen", sagte Stark-Watzinger weiter, wenn die Kultusministerinnen und -minister der Länder ihren Worten nun auch Taten folgen ließen. "Die Digitalisierung der Schulen ist ein Gemeinschaftsprojekt von Bund und Ländern, bei dem jede Seite ihren Beitrag zum Gelingen erbringen muss."

 

Die wenig implizite Botschaft dieses Gegenangriffs: Die Kultusminister regten sich über die angebliche Untätigkeit des Bundes auf und unterstellten ihm mangelnde Zahlungsbereitschaft – ließen aber zugleich Zweifel an ihrem eigenen (vor allem finanziellen) Commitment aufkommen. 

 

Doch scheinen selbst Mitglieder der Ampel-Bundestagsfraktionen in solchen Äußerungen Stark-Watzingers eine Ablenkung zu vermuten. "Ich erwarte nicht nur von der Bundesbildungsministerin, sondern vor allem auch vom Bundesfinanzminister eine klare Zusage, dass ausreichend Mittel für den Anschluss an den auslaufenden DigitalpaktSchule eingeplant werden", sagte die bildungspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, Nina Stahr. "Für den Digitalpakt 2.0 muss schon jetzt mittelfristig Vorsorge getragen werden." In die Verhandlungen müsse endlich Bewegung kommen. 


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Kommentare: 1
  • #1

    naja (Mittwoch, 19 Juli 2023 14:51)

    Digitalisierung in den Schulen ist eher schädlich. Das sagt die aktuelle Stellungnahme des Karolinskaja-Instituts zur nationalen Digitalisierungsstrategie in der Bildung in Schweden. Die Stellungnahme findet man etwa hier

    https://die-pädagogische-wende.de/wp-content/uploads/2023/07/Karolinska-Stellungnahme_2023_dt.pdf

    O-Ton: "Die Nationale [schwedische] Bildungsagentur scheint sich überhaupt nicht bewusst zu sein, dass die Forschung gezeigt hat, dass die Digitalisierung der Schulen große, negative Auswirkungen auf den Wissenserwerb der Schüler hat."

    Als Konsequenz hat die schwedische Regierung ihre Entscheidung, alle Vorschulen verpflichtend mit digitalen Geräten auszustatten, wieder rückgängig gemacht.

    Nur in D hat man es (noch) nicht begriffen, dass Digitalisierung der Schule nur Unternehmen wie Bertelsmann etwas nutzt.