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Ost-Unis ohne ostdeutsche Führung: Die Herkunft ist noch nicht egal

An den Hochschulen ist das Führungspersonal aus Ostdeutschland immer noch unterrepräsentiert – wie kam es dazu? Und ändert sich das bald?

Die Bibliothek der BTU Cottbus-Senftenberg, der einzigen Hochschule in Brandenburg mit ostdeutscher Chefin. Foto: Michal Rudziak, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

DAS ERSTE MAL, dass Nadine Spörer sich als Wissenschaftlerin besonders ihrer ostdeutschen Herkunft bewusst wurde, war, als man sie zur Dekanin wählte. Spörer ist Professorin für Psychologische Grundschulpädagogik an der Universität Potsdam. Als sie vor zwei Jahren an die Spitze der Humanwissenschaftlichen Fakultät rückte, schaute sie sich an ihrer Hochschule und anderen um und fragte sich: Wo sind die anderen Dekan:innen und Unipräsident:innen mit Ost-Biographie? Warum sind wir so wenige? "Und da merkte ich: Die ‘Gläserne Decke’ kommt offenbar, sobald es um Führungspositionen geht."

 

34 Jahre sind vergangen seit der Wende, das entspricht anderthalb Professorengenerationen. Als die Mauer fiel, war Spörer 14 Jahre alt. Ihre gesamte wissenschaftliche Sozialisation fand also im wiedervereinten Deutschland statt.

 

Wer in irgendeiner Form in der DDR Führungsverantwortung trug, in Politik, Wissenschaft oder anderswo, ist längst in Rente oder kurz davor. Und doch ist die Macht an den Hochschulen in Deutschland immer noch so verteilt, als seien ostdeutsche Wissenschaftlerbiographien mit einem Makel behaftet.

 

Ostdeutsche sind statistisch unterrepräsentiert

 

Eine regelmäßige Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) zeigte im Mai, dass von 163 betrachteten staatlichen Hochschulen bundesweit zuletzt nur 15 von gebürtigen Ostdeutschen, inklusive Berlinern, geleitet wurden. Vom Einwohneranteil her müssten es mehr als doppelt so viele sein.

 

Noch extremer ist das Bild in Brandenburg. Von den vier staatlichen Universitäten, inklusive der Filmuniversität Konrad Wolf, hat nur die Brandenburgische Technische Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) mit Gesine Grande eine Ostdeutsche als Chefin. Von den vier staatlichen Fachhochschulen in der Mark keine einzige. Wie kann das sein?

 

Axel-Wolfgang Kahl ist Historiker und promoviert an der Universität Potsdam in einem Forschungsprojekt zur "Transformation ostdeutscher Hochschulen in den 1980/90er Jahren". Er sagt, dass nach der Wiedervereinigung tatsächlich zahlreiche Chefposten auch in der Wissenschaft neu besetzt worden seien, aber längst nicht in allen Fächern und Bundesländern gleichermaßen. "Hochschulen, die als DDR-Kaderschmieden galten, waren naturgemäß stärker betroffen, genauso wie Disziplinen mit starkem politischem Bezug wie die Juristerei, Ökonomie oder Politikwissenschaft, vormals Marxismus-Leninismus." 



Umgekehrt sei der personelle Wechsel in den ersten Jahren vielfach nicht so radikal gewesen wie vermutet. "Unser Forschungsteam stellt fest, dass bis Mitte der neunziger Jahre noch viele ostdeutsche Hochschulen und Universitäten von Ostdeutschen geleitet wurden." Das waren engagierte und politisch nicht oder kaum vorbelastete DDR-Wissenschaftler.

 

"Bis sie ins Pensionsalter kamen oder den Platz frei machten für die nächste Generation. Doch jüngere Ostdeutsche waren vielfach in den Westen abgewandert, verfügten nicht über die notwendigen akademischen Netzwerke und Positionen – oder hatten schlichtweg Positionen außerhalb der Wissenschaft übernommen."

 

Westlastig nach dem ersten Generationswechsel

 

Auch Gesine Grande, Jahrgang 1964 und seit 2020 Hochschulchefin an der BTU, ging nach der Wende zuerst in den Westen. Sie war 27 und in der DDR diplomierte Psychologin, als sie nach Bielefeld kam und dort, wie sie sagt, ihre wissenschaftliche Karriere ein zweites Mal startete. „Hätte ich damals den Osten nicht verlassen, wäre meine Karriere anders verlaufen“, vermutet sie. Erst nach 13 Jahren kehrte sie zurück und übernahm eine Professur an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig, deren Präsidentin sie 2014 wurde.  

 

Nadine Spörer fing Mitte der Neunziger Jahre ein Psychologie-Studium in Potsdam an. "Es hätte aber auch irgendwo in Westdeutschland sein können", sagt sie. "Fast alle meine Professoren, meine Mentoren, meine Vorbilder hatten einen westdeutschen oder internationalen Hintergrund."

 

Die Hochschulen, sagt Gesine Grande, hätten nach der Wende erstmal alle Stellen neu ausgeschrieben, die alten Professorinnen und Professoren konnten sich wieder bewerben – aber in Konkurrenz mit Forschenden aus den alten Bundesländern. "Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die Personalstruktur, insbesondere in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern."

 

Doch auch an dieser Stelle, sagt Historiker Kahl, dürfe man es sich nicht zu leicht machen. Die meisten Westdeutschen seien nach der Wende aktiv von ihren ostdeutschen Kollegen hergebeten wurde, als Unterstützung bei der Entwicklung neuer Curricula oder weil sie die Erfahrung hatten mit der Beantragung von Forschungsprojekten. "Die halfen mit viel Idealismus, es gab nur wenige, die sich wie die vielzitierten Besserwisser und Kolonialherren aufgeführt haben."

 

Wie auch immer: Viele von denen, die bis 2000 aus dem Westen kamen, stehen nun wiederum kurz vor dem Ruhestand. Bedeutet das, dass jetzt doch bald die demografische Normalisierung auch in den Führungspositionen eintritt?

 

Nadine Spörer ist sich da nicht so sicher. Laut "Elitenmonitor" der Universität Leipzig seien zwischen 2018 und 2022 die Hälfte der Top-Führungspositionen neu besetzt worden, doch die Repräsentanz Ostdeutscher habe sich dadurch nur von 10,9 auf 12,3 Prozent verbessert. "Es gibt Netzwerke, die sich über lange Zeit gebildet haben, und vielen Ostdeutschen gelingt es offenbar bis heute nicht gut, Teil solcher Netzwerke zu werden. Vielleicht wollen sie es auch nicht.“

 

Es gibt Unterschiede im Kommunikationsstil

 

Menschen, die im Osten sozialisiert wurden, hätten bis heute einen anderen Kommunikationsstil, sagt Gesine Grande – "sachorientierter, eher aus der zweiten Reihe agierend, weniger auf Selbstvermarktung aus". In Bezug auf Führungspositionen komme es so zu einer Mischung aus Fremd- und Selbstselektion.

 

In letzter Zeit frage sie sich häufiger, sagt Nadine Spörer, wie lange es noch dauert, bis die Herkunft Ost oder West egal ist. Vielleicht, sagt die Bildungsforscherin, sei das wie beim Label "Migrationshintergrund": "Da betrachten wir auch, wo die Person selbst oder die Elterngeneration geboren wurde und aufgewachsen ist."

 

Doch dann müsse sie wiederum an ihre Tochter denken, die ist jetzt bald 14 – so alt, wie Spörer war, als die Mauer fiel. "Natürlich sprechen wir hin und wieder darüber, wie das in der DDR war. Aber über ein Leben ohne Digitalisierung wundert sie sich ehrlicherweise viel mehr."

 

Dieser Artikel erschien zuerst im Tagesspiegel.


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Kommentare: 3
  • #1

    Solveig Lange (Montag, 04 Dezember 2023 11:10)

    Danke für diesen Beitrag. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Streitschrift des Leipziger Kulturwissenschaftlers Dirk Oschmann verwiesen. Kürzlich wurde dazu auch seitens der Körber-Stiftung ein Raum zur Diskussion geboten, ohne, dass sich allgemeinen politischen Diskurs viel getan hätte. Zu erwähnen ist weiterhin, dass es zudem einem Großteil an Wissenschaftler:innen aus den alten Ländern überhaupt erst eine Möglichkeit bot, ihre eigene wissenschaftliche Karriere zu verfolgen (es waren ja über Nacht wesentlich mehr Stellen vakant, so auch für Personen, die andernorts nicht berufen worden wären). Nicht zuletzt sollte erwähnt werden, dass es nicht nur ein Paradox ist, dass in den ostdeutschen Ländern nur eine Frau an der Spitze einer Hochschule (oder gesellschaftlich relevanten Großorganisation) steht. Wie aber ist es mit Hochschulen in den alten Ländern? Wieviele Menschen, die geografisch in den neuen Ländern geboren sind, finden sich dort an der Spitze? Da wird man lange suchen können.

  • #2

    Bernd Käpplinger (Montag, 04 Dezember 2023 14:59)

    Dankeschön für den interessanten Artikel.
    Das finde ich aber sehr schwierig bis problematisch:
    "Es gibt Netzwerke, die sich über lange Zeit gebildet haben, und vielen Ostdeutschen gelingt es offenbar bis heute nicht gut, Teil solcher Netzwerke zu werden. Vielleicht wollen sie es auch nicht.“
    Es gibt Unterschiede im Kommunikationsstil
    Menschen, die im Osten sozialisiert wurden, hätten bis heute einen anderen Kommunikationsstil, sagt Gesine Grande – "sachorientierter, eher aus der zweiten Reihe agierend, weniger auf Selbstvermarktung aus". In Bezug auf Führungspositionen komme es so zu einer Mischung aus Fremd- und Selbstselektion."

    Das klingt nach rein kultureller Erklärung und nach dem Motto "die wollen halt zu einem großen Teil einfach nicht". Ich wage mal eher die These, dass die in den 90er Jahren Studierenden mit ostdeutschen Hintergrund es einfach ökonomisch viel, viel schwerer hatten als ihre westdeutschen Gegenüber und ihre Eltern, die an Uni führend waren, oft von den Unis rausgeworfen wurden. Und das sind eben die Altersgruppe, die heute leitend sind.
    In der Förderung von Frauen an Unis hat sich einiges getan, aber hat es Ähnliches für Ostdeutsche in den Unis in den letzten 30 Jahren gegeben?
    Übrigens wird sich heute wohl kaum noch jemand trauen, dass Argument mit der Selbstselektion auf Frauen so stark anzuwenden wie man meint, es hier bei Ossis weiterhin tun zu können...

  • #3

    Gregor Kalinkat (Montag, 04 Dezember 2023 16:17)

    Wie ich in Diskussionen rund um #IchBinHanna und die WissZeitVG-Reform immer wieder betone: die riskante akademische Karrierre bis hin zur Professur muss man sich leisten können (und auch wollen). Es ist für mich daher wenig überraschend das aus dem Teil des Landes in dem viel weniger privates Vermögen vorhanden ist auch weniger Talente den entsprechenden Karriereweg einschlagen.