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Ein "Anything Goes" in Zeiten des Lehrkräftemangels

Was die Pläne der Kultusminister zur Reform des Lehramtsstudiums tatsächlich bedeuten. Ein Gastbeitrag von Susanne Lin-Klitzing.

Susanne Lin-Klitzing ist beurlaubte Professorin für Schulpädagogik für die gymnasiale Lehrerbildung an der Universität Marburg und Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes. Foto: DPhV.

DIE NOT IST GROß, der Lehrkräftebedarf hoch – und je nach Land und je nach Schulart und Schulform noch einmal verschieden. Die Co-Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission, Felicitas Thiel, warnte in dieser Situation gut begründet vor der Einrichtung dualer Studiengänge, dem Perpetuieren von Sondermaßnahmen und einer weiteren Senkung der Zugangsvoraussetzungen für künftige Lehrkräfte: "Eigentlich müssten wir die Schwellen erhöhen." Doch die Kultusministerkonferenz (KMK) beschloss am 14. März:

• die Qualifizierung von Ein-Fach-Lehrkräften,

• die Möglichkeit dualer Lehramtsstudiengänge

• und ein Quereinstiegs-Masterstudium.

 

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK hatte sich zuvor zwar auch für künftige Ein-Fach-Lehrkräfte ausgesprochen, aber mit dem Hinweis, dass diese sich in einem zweiten Fach berufsbegleitend universitär nachqualifizieren sollten/könnten. Ein duales Lehramtsstudien hatte die Kommission abgelehnt und für einen "Q-Master" keine unmittelbare Empfehlung gegeben. 

 

Die Kultusminister folgten einer anderen Logik: Viele Länder haben bereits eigene Not-Maßnahmen beschlossen und wollen diese nun per KMK-Beschluss in Übereinstimmung bringen mit dem 2005 in Quedlinburg verabschiedeten "Eckpunkten für die gegenseitige Anerkennung von Bachelor- und Masterabschlüssen" in Lehramts-Studiengängen. Immerhin haben sie ihrem Beschluss vom 14. März noch Disclaimer wie diese hinzugefügt:  "Die Einführung von zusätzlichen Maßnahmen bzw. Qualifikationswegen über die grundständige Lehrkräftebildung hinaus ist immer mit einer Prüfung, ob und inwieweit diese zu verstetigen sind, verbunden." Oder auch: "Die Länder bieten diese Maßnahmen je nach länderspezifischem Bedarf an". Zudem wollen die Länder einen ergänzenden Beschluss zur "Gestaltung von zusätzlichen Wegen ins Lehramt" formulieren. 

 

Die Kultusminister laufen der

Macht des Faktischen hinterher

 

Statt aber der eigenen wissenschaftlichen Kommission und ihren Empfehlungen zu folgen, statt verantwortungsvoll mit Blick auf die Bildungschancen zukünftiger Generationen nach vorn tatsächlich zu gestalten, ergibt sich die KMK der scheinbaren Macht des Faktischen und läuft den Entwicklungen in den Ländern hinterher.

 

Neben dem regulären grundständigen Lehramtsstudium, das zwei Fächer, Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaften und den anschließenden Vorbereitungsdienst umfasst, soll es nun als Rahmenmodell auch ein verkürztes duales einphasiges Lehramtsstudium geben mit Entlohnung bereits während des Bachelorstudiums, weil schon die Bachelorstudierenden fest an den Schulen unterrichten sollen.

 

Keine klaren Aussagen gibt es bislang, in welche Laufbahnen dies beamten- und tarifrechtlich in den Ländern führen soll und welche dieser länderspezifischen "Ausbildungen" in anderen Bundesländern künftig anerkannt werden. 

 

Wegen des Lehrkräftemangels ist es eher unwahrscheinlich, dass diese "Auszubildenden" in ihrem Bachelor adäquat von Mentorinnen und Mentoren begleitet werden können. Das wäre jedoch zwingend erforderlich. Es ist offen, ob die duale Entlohnung auskömmlich sein wird, auch angesichts der Pendelei zwischen Universitäts- und Schulort, und ebenso, wie sich die Rechtssituation bei der Notengebung gestaltet, sollte ein solches "duales Lehramtsstudium" nicht erfolgreich abgeschlossen werden. 

 

In ihrer Ländervereinbarung von 2020/2021 hatten die Kultusminister keine Standards für den Quer- und Seiteneinstieg ins Lehramt formuliert. Grundlegende Kompetenzen von Lehrkräften beschrieben sie darin bereits mit "unterrichten, erziehen, betreuen und beraten" anstatt mit "beurteilen und beraten", wie in den Lehrerbildungsstandards beschlossen, und außerdem verorteten sie die Erlangung von Studierfähigkeit explizit nicht bei den allgemeinbildenden, sondern bei den berufsbildenden Schulen. Vor diesem Hintergrund ist der KMK-Beschluss vom 14. März tatsächlich nicht überraschend,  auch wenn – ich gestehe es – mein Erschrecken über diesen Offenbarungseid der KMK groß ist, einer Institution, die ein Mindestmaß an Qualität und Vergleichbarkeit über alle Länder der Bundesrepublik herstellen soll. 

 

Verwunderlich ist jedoch selbst unter diesen Voraussetzungen, dass sich das vorliegende Beschlusspapier nicht einmal mehr auf alle Schularten bezieht, sondern ausschließlich auf die Lehrkräftebildung für die weiterführenden Schularten, auf die sogenannten Lehramtstypen 3,4 und 5. Damit wird auch für den letzten Idealisten deutlich, dass es wirklich nicht um positive Reformen geht. Weil der Mangel im Grundschullehramt offenbar dem Ende entgegengeht, die Not in den weiterführenden Schulen groß und größer wird, will man mit diesen Vorschlägen allein eine möglichst schnelle Abdeckung des Unterrichtsbedarfs an eben diesen Schularten ermöglichen.

 

Für das gymnasiale Lehramt scheidet

ein solches Ausbildungsmodell aus

 

Wie ein bereits im Bachelor unterrichtender Lehramtsstudierender seinen Schülerinnen und Schülern die laut KMK-Richtlinien erforderlichen Fähigkeiten für die Gymnasiale Oberstufe vermitteln soll, angefangen mit der Wissenschaftspropädeutik über eine vertiefte Allgemeinbildung bis hin zur Studierfähigkeit, müsste – um in "KI-Sprache" zu reden – wohl "halluziniert" werden. 

 

Bislang umfasst ein grundständiges Lehramtsstudium 360 akademisch erworbene ECTS-Punkte, ohne Einrechnung des darauffolgenden Referendariats. Mit dem dann erreichten Masterabschluss oder Staatsexamen ist zudem die Promotionsberechtigung verbunden. Ich schließe daraus, dass ein solches Anforderungsprofil von einem im Bachelor und Master dual ausgebildeten Lehramtsstudierenden nicht erfüllt werden kann, woraus folgt, dass eine duale Lehramtsausbildung für das gymnasiale Lehramt ausscheiden muss. Konsequent wäre es außerdem in einem solchen Szenario, die reguläre Eingangsbesoldung für alle vollständig in zwei Fächern und zweiphasig ausgebildeten Lehrkräfte zu erhöhen.

 

Neue Konflikte sind also vorprogrammiert, wenn die Kultusminister im Juni dazu erneut tagen. Mögen sie hier weiser unterscheiden zwischen einem notwendigen internen Austausch über vorübergehende länderspezifische Maßnahmen und der grundsätzlichen Legitimation eines "Bauchladens Lehrkräftebildung" durch die KMK. 



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Kommentare: 5
  • #1

    Kathrin Wiencek (Mittwoch, 10 April 2024 19:39)

    Frau Professor Lin-Klitzung bringt es auf den Punkt. Statt die Qualität an den Schulen zu erhöhen, um endlich wieder bessere Ergebnisse zu erzielen, wird das Ausbildungsniveau gesenkt, die Professionalität geopfert und die Zukunftsfähigkeit verspielt.
    Und das war einmal das Land der Dichter und Denker!!??

  • #2

    Ohje (Donnerstag, 11 April 2024 14:28)

    Und in Ergänzung: Die KMK-Beschlüsse ignorieren den kompletten Forschungsstand zu frühen (und zudem hier erwartbar schlecht begleiteten) Praxiserfahrungen, der nichts Gutes erwarten lässt.

  • #3

    Matthias Overbeck (Donnerstag, 11 April 2024 16:26)

    Die Verantwortlichen in der Bildungspolitik versuchen durch Deprofessionalisierung der genuinen Lehrerausbildung dem Mangel an Lehrkräften abzuhelfen. Dass dies auf Kosten der Qualität der Ausbildung sowohl der potentiellen Kandidatinnen und Kandidaten für diesen Beruf als auch später ganzer Generationen von Schülerinnen und Schülern gehen wird, liegt auf der Hand.

  • #4

    Gabriela Kasigkeit (Freitag, 12 April 2024 20:34)

    Die zentrale Botschaft lautet, dass die KMK bei ihrer Entscheidung im Juni zwischen kurzfristigen Maßnahmen und der grundlegenden Legitimation eines "Bauchladens Lehrkräftebildung" differenzieren muss, um die Qualität zu gewährleisten.... Es wird eine wegweisende Entscheidung sein, denn die Attraktivität des Berufes steigern wir nur mit Qualitätsstandards. Lehrkräfte, die einen erfolgreichen Masterabschluss oder ein Staatsexamen erlangt haben und somit über eine hohe fachliche Expertise verfügen, sind zweifellos besser dazu in der Lage, komplexe Konzepte und Inhalte zu vermitteln, auf Fragen der Lernenden fundiert zu antworten u.s.w. Sie können ein tieferes Verständnis für das Fachgebiet fördern und ihren Schülerinnen und Schülern somit helfen, sich besser auf weiterführende Studien oder berufliche Herausforderungen vorzubereiten. Das alles ist wegweisend für die wirtschaftliche Entwicklung, Innovation und Fortschritt, gesellschaftliche Teilhabe und Demokratie .... Notlösungen dürfen nicht zur Regel werden, Frau Professorin Lin-Klitzing hat geeignete Vorschläge, um dem Mangel an unseren Schulen mit Vernunft zu begegnen, das duale Studium gehört nicht dazu.

  • #5

    Edith Krippner-Grimme (Montag, 15 April 2024 11:50)

    Grundsätzlich müssen Notlösungen BEFRISTET sein. Zu befürchten ist aber, dass diese Entscheidungen der KMK zu Lösungen mutieren, die auch langfristig Bestand haben werden. Damit wird die Qualität an unseren Schulen immer weiter reduziert, was sich wiederum negativ auf die Qualifizierung und damit die Chancen der jungen Menschen auswirken wird. Zudem sind sie in ihrer Auswirkung für diejenigen Lehrkräfte, die sich bereits im System befinden, ein Schlag ins Gesicht. Es ist erschreckend zu sehen, wie die KMK - zwar unter dem Druck eines dramatischen Lehrkräftemangels - sehenden Auges Deutschlands Ressource 'Bildung' gegen die Wand zu fahren droht. Statt auf den Rat der Experten zu hören, werden Maßnahmen beschlossen, die nicht dazu geeignet sind, sich qualitätssichernd, geschweige denn qualitätssteigernd auszuwirken.