· 

Kann so sein. Oder auch so

Ist die Heimarbeit von Schülern in Zeiten der Schulschließungen eigentlich verpflichtend? Und gibt es dafür Noten? Wer auf solche Fragen nach klaren Antworten der Kultusministerien sucht, wird in einigen Fällen enttäuscht. Eine Auswahl.

Foto: www.pixnio.com - cco.

DIE SCHULEN WAREN schon seit über einer Woche geschlossen, da tauchte in der Liste der "Häufigen Fragen und Antworten zur Schließung der Schulen und Kindertageseinrichtungen", die Baden-Württembergs Kultusministerium auf seiner Website eingestellt hat, ein neuer Absatz auf.

 

Frage: "Gibt es Noten während der Schulschließung?" Antwort: Grundlage für die Leistungsbewertung in einem Unterrichtsfach seien laut Notenbildungsverordnung "alle vom Schüler im Zusammenhang mit dem Unterricht erbrachten Leistungen". Da die Corona-Verordnung bis einschließlich 19. April aber den Unterrichtsbetrieb untersage, finde in diesem Zeitraum auch keine Feststellung von Leistungen der Schülerinnen und Schüler statt. 

 

Nicht nur kam die Klarstellung spät, sie stellte noch dazu vieles eben nicht klar, klagten Lehrer im Südwesten: Sollte das jetzt heißen, dass die Aufgaben, die sie derzeit an ihre Schüler per E-Mail verschicken oder auf Lernplattformen einstellen, freiwillig zu bearbeiten seien? Oder seien die verpflichtend, dürften aber nur nicht benotet werden? Oder dürften sie benotet werden, aber erst nach dem 19. April? Vier Tage später lieferte das Kultusministerium erneut nach: Es gebe während der Zeit der Schulschließungen keine Noten. Und nein, auch danach nicht: Da die Voraussetzungen für das heimische Lernen sehr unterschiedlich seien, werde von der Schule auch nach Unterrichtsbeginn nicht überprüft und benotet, "welches Wissen und welche Kompetenzen sich die Schülerinnen und Schüler während der unterrichtsfreien Zeit selbst erarbeitet haben."

 

Jedes Land macht es ein wenig anders – und
manche der Regeln sind kaum zu greifen

 

In einigen anderen Bundesländern herrscht teilweise bis heute Verwirrung, was jetzt mit all der Arbeit geschehen soll, die die Schüler während der Schließzeiten erledigen. Zumindest, wenn man sich auf die auf den Websites der Ministerien verfügbaren Angaben verlässt.

 

Nordrhein-Westfalens Schulministerium zum Beispiel teilt im NRW-Bildungsportal mit: "Die während der gegenwärtigen Zeit des Ruhens des Unterrichts bearbeiteten Aufgaben werden – ebenso wie Hausaufgaben – (...) in der Regel nicht benotet." Was aber bedeutet hier "in der Regel"? Der schwammige Nachsatz in den Erläuterungen des Ministeriums hilft nicht wirklich: Die bearbeiteten Aufgaben "können aber durch die Lehrerinnen und Lehrer überprüft und für die weitere Arbeit im Unterricht ausgewertet werden." 

 

Andere Länder treffen demgegenüber vermeintlich klare Regelungen – zumindest für den Augenblick. Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) zum Beispiel, zurzeit auch Präsidentin der Kultusministerkonferenz, schrieb vergangenen Freitag in einem Brief "an alle Schulen in Rheinland-Pfalz": Auf eine Benotung der "unter außergewöhnlichen Umständen" erbrachten Leistungen müsse ebenso verzichtet werden wie auf Sanktionen, wenn Schüler ihre Aufgaben nicht erledigten. "Wir erarbeiten derzeit Regelungen zu Leistungsfestellungen und Leistungsbeurteilungen in der verbleibenden Zeit des Schuljahres." Was ja nun wiederum interessant ist: Geht Hubig bereits davon aus, dass der Normalbetrieb auch nach dem 19. April nicht so bald zurückkehrt?

 

Sachsen-Anhalt dagegen legt eindeutig fest, dass der Unterricht "mit den gegebenen Möglichkeiten fortgesetzt" werde, das schließe auch Leistungsbewertungen ein.

 

Thüringens Kultusministerium macht es sich demgegenüber einfach. Unter der Frage, ob während der Schulschließungen Zensuren verteilt würden (zum Beispiel auf zu Hause erledigte Aufgaben), steht auf der Website des Ministeriums: "Hier treffen die Schulleitungen vor Ort die notwendigen Entscheidungen".

 

Besonders großzügig ist Niedersachsen. Weil der Unterricht ersatzlos entfalle, seien auch die Lehrkräfte nicht verpflichtet, den Schülern Materialien zur Verfügung zu stellen, teilt das Kultusministerium online mit. "Aufgaben die seitens der Schulen gestellt werden, haben freiwilligen Charakter und dürfen nicht in die Leistungsbewertung einfließen." Großzügig – und ungerecht? Was ist, wenn die eine Klasse nun engagiert von ihrer Lehrkraft betreut wird und die andere nicht? Und was, wenn die Schulschließungen noch länger anhalten?

 

Viele Lehrer sind verunsichert,
bei einigen leidet die Motivation

 

Sachsens Staatsregierung wiederum "rät" von einer Benotung ab. In der Grundschule sollten Noten in der jetzigen Situation grundsätzlich nicht gegeben werden. Auch an Ober- und Förderschulen sollte auf eine Benotung "weitgehend verzichtet werden".  An den Gymnasien sei sie aber "mit Blick auf höhere Klassenstufen zunehmend möglich". So bleibt der Interpretationsspielraum gewaltig. Zumal ein paar Absätze weiter unten bei den "FAQ Fernunterricht" auf die Frage: "Können die zu Hause erledigten schulischen Aufgaben bewertet werden?", die kurze Antwort folgt: "Ja, das ist möglich."

 

Man merkt den Bestimmungen vieler Bundesländer die heiße Nadel an, mit denen sie gestrickt wurden. Wie sollte es auch anders sein? Doch sind einige der offensichtlichsten Widersprüche dann doch ärgerlich. Wenn die Schulschließungen vielen Kultusministerien zufolge "unterrichtsfreie Zeit" sind oder gar, siehe oben, die Schulpflicht "ausgesetzt" ist, wie kann man dann gleichzeitig Leistungen von den Schülern abverlangen? Diese Widersprüche sind auch deshalb ärgerlich, weil viele Lehrer verunsichert sind und nicht wissen, wieviel ihre Schüler noch erledigen, wenn sie – oder ihre ohnehin unter besonderem Stress stehenden Eltern – von den teilweise butterweichen Regeln erfahren. Auch die Motivation der Lehrer leidet, wenn unklar ist, was sie von den Schülern einfordern können und was nicht.

 

Apropos Motivation der Lehrer: Hamburgs Schulbehörde fordert, dass die Lehrkräfte nach Möglichkeit täglich Kontakt zu ihren Schülerinnen und Schülern aufnehmen, "um sie bei der Bearbeitung der Arbeitsaufträge zu unterstützen". Wie jetzt? Jede/n einzelne/n? Jeden Tag? In Hamburg gibt es übrigens für die "im Fernunterricht erbrachten Leistungen" auch Noten. 

 

Vergeblich nach Antworten auf die Benotungsfrage fahndeten Interessierte bis vor kurzem noch in den "FAQ zu den Schul-Schließungen" der Berliner Senatsverwaltung. Woraufhin sich bei Twitter eine recht lebhafte Diskussion entfaltete. Sie suche eine Regelung, "ob Hausaufgaben derzeit bewertet werden dürfen in Berlin", fragte eine mehrfache Mutter am späten Sonntagabend, sekundiert von mehreren anderen Twitter-Usern. Und der Behördenaccount von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) antwortete am Montagnachmittag: "Zu dieser Frage finden aktuell noch letzte klärende Gespräche statt".

 

Nochmal gut 24 Stunden später dann fast stolz: "Diese Frage wurde geklärt: Im Sinne von Projektarbeit können als Hausaufgaben erbrachte Leistungen in den allgemeinen Teil der Benotung eingerechnet werden." Was einen Berliner Lehrer twittern ließ: "Diese Aussage lässt so dermaßen viel Interpretationsspielräume, dass man eigentlich nicht viel schlauer ist als vorher." Immerhin: Nachdem ich abends bei Scheeres' Sprecher nachhakte, sorgte der dafür, dass die neue Regelung wenig später auch bei Facebook erschien – und bei den FAQs – inklusive Nachsatz: "Schülerinnen und Schüler können ihre Lehrkräfte auch darum bitten, eine solche Projektarbeit anfertigen zu dürfen, um sich zu verbessern."

 

So steht es da jetzt also seit gestern Abend – zwei Wochen nach Beginn der Schulschließungen.



Kommentar schreiben

Kommentare: 0