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Ablenkung Schuldenbremse

Würde mehr Geld in die Zukunft unserer Gesellschaft investiert, wenn nur die Schuldenbremse weg wäre? Warum ich da so meine Zweifel habe. Ein Essay über Priorisierung, Depriorisierung und den Stellenwert der jungen Generation.

ICH BIN KEIN JURIST. Auch Wirtschaftswissenschaften habe ich nur im Nebenfach studiert. Dennoch glaube ich, dass ich aus der Perspektive eines Bildungsjournalisten etwas beitragen kann zur gegenwärtigen Debatte über den Sinn und Unsinn der Schuldenbremse. 

 

Denn es fällt auf, dass die Belange von Kindern und Jugendlichen in all ihren Facetten wieder einmal kaum eine Rolle spielen, seit über die Auswirkungen des Verfassungsgerichtsurteils gestritten wird. Oder doch, manchmal schon. Etwa als CDU-Chef Friedrich Merz anregte, das mit der geplanten Kinder-Grundsicherung doch einfach zu lassen. 

 

Wieso ist das so? Warum streiten in dieser Gesellschaft viele gern für den Klimaschutz, für Investitionen in Verkehrs- und andere Projekte oder in den sozialen Zusammenhalt (wobei, wenn man genauer hinschaut, damit fast immer nur Ausgaben für Erwachsene gemeint sind)? Warum bezeichnen wechselnde, aber immer mächtige politische Lobbygruppen all dies als generationengerecht und unverzichtbar – mit dem Ergebnis, dass die Suche nach den Einsparmöglichkeiten anderswo losgeht? Wo? Zum Beispiel bei Kitas, Schulen und Co. 

 

Denn warum bekommt man den Eindruck, dass für das ureigenste Zukunftsthema, die Bildung und die soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen, kaum ein Spitzenpolitiker oder eine Spitzenpolitikerin sich in ähnlicher Weise zu verkämpfen bereit ist? Und dass diejenigen, die es doch tun, so wenig Widerhall bei ihren Kollegen erzielen, dass, siehe oben, eine Debatte darüber quasi nicht stattfindet? Nur zur Erinnerung: Die im Ampel-Koalitionsvertrag versprochene Fortsetzung des Digitalpakts stand schon vor der Verfassungsgerichtsentscheidung auf derartig wackligen Füßen, dass man fürchten muss, die Sparpolitik könnte ihr jetzt endgültig den Garaus machen. 

 

37 Milliarden für die
Bedienung alter Schulden

 

Damit komme ich wieder bei der Schuldenbremse an. Vielen erscheint es in der jetzigen Situation als logische Konsequenz, diese zu reformieren, soll wohl heißen: abzuschaffen. Andernfalls, warnen sie, sei für die Zukunftsausgaben nicht genug Geld da.

 

Ich kann diese Argumentslinie nicht so recht nachvollziehen. Schaut man in den bisherigen Entwurf für den Bundeshaushalt 2024, so waren darin für den Schuldendienst, also die Bedienung der Verschuldung vergangener Jahre und Jahrzehnte, mit 37 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel vorgesehen wie die 17 Milliarden Lücke, die es jetzt laut FDP-Finanzminister Christian Lindner zu schließen gilt. Soll heißen: Hätte man nie mit dem Schuldenmachen angefangen, wäre heute mehr Geld zum Ausgeben da, als man sich jetzt, wohl vor allem mit mühsamen Sparen (wo wohl?), erkaufen muss. 

 

Sind wir besonders dankbar, dass einst diese Schulden gemacht worden sind? Haben uns vergangene Generationen dafür Schulen, Behörden oder Verkehrsinfrastruktur in einem Zustand hinterlassen, der rechtfertigen kann, dass dafür so hohe Kredite aufgenommen wurden? So müsste es ja sei, denn genau das, Schuldenmachen zur Ermöglichung überfälliger Sanierungen und technologischer Ertüchtigungen, gilt heute als ein Hauptargument der Gegner der Schuldenbremse.

 

Nein, tatsächlich haben in der Vergangenheit Schulden meist dazu gedient, die Bedürfnisse der damaligen Gegenwart zu finanzieren.

 

Und wie sieht es aus mit dem Vorwurf, dass in den Jahren ohne Neuverschuldung die Haushalte so ausgeblutet seien, dass der öffentliche Besitz nur noch verrotten konnte? Auch dieser scheint mir etwas zu einfach, wenn in besagten Merkel-Jahren das Geld doch immerhin reichte, um zum Beispiel die sogenannte Rente mit 63 einzuführen. Von der, wie ironisch, am Ende nicht einmal die besonders armen Rentner profitierten, sondern jene, die tendenziell ohnehin schon bessergestellt sind. Ökonomen zufolge gingen für die Finanzierung allein der Rente mit 63 zuletzt schon 41 Milliarden Euro drauf. Pro Jahr. Zusätzlich zum allgemeinen staatlichen Zuschuss zur Rentenkasse. 41 Milliarden. Kann man machen. Aber dann trifft man eben zugleich eine bewusste Entscheidung, dies und nicht die Infrastruktur finanzieren zu wollen. 

 

Nicht bereit, den heute
Mächtigen etwas zumuten

 

Wenn also argumentiert wird, man könne ohne die Aussetzung der Schuldenbremse nicht genug für die Chancen künftiger Generationen ausgeben, dann scheint mir der wirkliche Konflikt ein anderer zu sein: Man ist nicht bereit, den in unserer Gesellschaft heute Mächtigen etwas zuzumuten. Hier kommt dann schnell wieder das Argument des gesellschaftlichen Zusammenhalts. 

 

Worin der genau bestehen soll, wenn die junge Generation ihre Zukunft nur dann ausreichend von den älteren finanziert bekommt, wenn sie dafür zusätzliche Schulden aufgebürdet erhält, die sie allein wird tragen müssen, erschließt sich mir nicht. 

 

Ich bin kein Jurist und nicht einmal ein halber Wirtschaftswissenschaftler. Aber mir scheint, als könnten Rufe nach einem Ende der Schuldenbremse vor allem Ausdruck einer Unfähigkeit oder des Unwillens der Politik sein, zu priorisieren und zu depriorisieren. Wobei das eigentlich auch nicht stimmt. Die Politik priorisiert ja. Aber eben fast immer zulasten der Kinder und Jugendlichen und der Familien, wie schon in der Corona-Pandemie eindrucksvoll zu sehen war. Kann eine alternde Gesellschaft wie unsere nicht anders? Das mag ich so recht nicht glauben. 

 

Meinetwegen kann man auch die Schuldenbremse abschaffen, wenn es denn gelänge, dass auf diese Weise etwa, nur ein Beispiel, der 47-Milliarden-Sanierungsstau in den Schulen abgebaut würde. Aber ich fürchte, man wird sie abschaffen, und in den Kitas, Schulen und Hochschulen wird es keiner merken. 



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Kommentare: 6
  • #1

    LSB (Montag, 04 Dezember 2023 11:59)

    "Hätte man nie mit dem Schuldenmachen angefangen, wäre heute mehr Geld zum Ausgeben da, als man sich jetzt, wohl vor allem mit mühsamen Sparen (wo wohl?), erkaufen muss." Diese Aussage ist erschreckend und falsch. Die durch Kredite finanzierten Ausgaben äußern sich durch Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, Verbesserung der Infrastruktur, etc. und tragen somit - überwiegend - zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum bei. Hätte man mit "dem Schuldenmachen" nicht angefangen, würde sich die deutsche Volkswirtschaft auf einem ganz anderen Niveau befinden, von welchem dann der jeweilige Schuldenstand entsprechend beurteilt wird. Man kann nicht einfach Zinszahlungen und Lücken im Haushalt gegeneinander aufrechnen, als wäre dieser ein Sparbuch, welches unabhängig von der Außenwelt mit feststehenden Summen wächst, das ist wirklich hanebüchen. Unabhängig davon mag es zutreffend sein, dass der deutsche Staat seine Ausgaben falsch priorisiert. Die Hysterie, die in Deutschland aufgrund des vergleichsweise niedrigen Schuldenstands angesichts einer steinzeitlichen Infrastruktur und dem Aufstieg des Faschismus in Europa ausbricht, ist tatsächlich nur vergleichbar mit der Hysterie der Weimarer Politikelite angesichts der angeblich unmöglich hohen Lasten, die durch die Reparationsforderungen der Alliierten dem deutschen Volk entstanden seien. In beiden Fällen profitierten die Demokratiefeinde von diesem diskursiven Framing.

  • #2

    Jan-Martin Wiarda (Montag, 04 Dezember 2023 12:46)

    Liebe/r LSB,

    ehrlich gesagt bin ich kein Freund paradigmatischer Aussagen, dass etwas eindeutig "falsch" sei, und erst recht nicht wertender Konnotationen von wegen "erschreckend", zumindest wenn ich bei einem Thema weiß, dass es wissenschaftlich sehr unterschiedliche Positionen dazu gibt. Noch weniger, wenn diese paradigmatisch-wertenden Aussagen ohne Klarnamen vorgebracht werden. Gern würde ich aber mit Ihnen (sofern Sie dies mit Klarnamen tun) weiter diskutieren, weil mich ein Punkt umtreibt: Ihre Logik würde doch bedeuten, dass wir heute dadurch, dass wir für den Schuldendienst so viele Milliarden aufwenden, die wir sonst nicht ausgeben müssten, einen niedrigeren Wachstumshebel haben für die Zukunft? Und einen höheren Wachstumshebel für die jetzige Zukunft hätten, wenn nie Schulden gemacht worden wären, richtig? Und dass der höhere Wachstumshebel, ob mit Schulden oder nicht, ohnehin nur dann entsteht, wenn wir, wie ich fordere, richtig priorisieren, richtig? Was uns in der Vergangenheit, siehe Zustand unserer Infrastruktur, trotz neuer Schulden über Jahrzehnte und zuletzt bei enormen Ausgaben etwa für die Rente 63, nie gelungen ist, oder?

    Beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #3

    Matthias von Kielmansegg (Dienstag, 05 Dezember 2023 13:25)

    Ich pflichte Herrn Wiarda bei. Entscheidend ist die Frage, wofür die öffentlichen Mittel ausgegeben werden. Nachfrageinduzierung durch schuldenfinanzierte Konsumausgaben sind leider ein ziemlich alter keynesianischer Hut und haben noch nie dauerhaft, das heißt nachhaltig, zu mehr Wachstum geführt. Wenn man Schuldenfinanzierung zulässt, dann - neben akuten, streng befristeten Krisensitutionen - sollte das nur für solche Ausgaben geschehen, die die Wachstumskräfte nachhaltig stärken. Dazu gehören selbstverständlich auch Infrastrukturausgaben, wenn sie dem Strukturwandel helfen. Dazu gehören aber vor allem zwingend die Bildungsausgaben aller staatlichen Ebenen, die leider bisher nicht als Investitionen angerechnet werden. Wenn es Reformbedarf gibt, dann hier, bei einer verfassungsrechtlich abgesicherten Zukunftsquoten in den öffentlichen Haushalten, die die Bildung einschließt. Die Steuermehreinnahmen für 2024 und 2025 werden von den Steuerschätzern für den Bund auf insgesamt knapp 70 Mrd. €, für die Länder auf gut 35 Mrd. € und für die Kommunen auf gut 15 Mrd. € geschätzt. Klar, damit müssen auch Kostensteigerungen aufgefangen werden. Aber was hindert die Politik, sich zu verpflichten, von allen Mehreinnahmen mindestens ein Viertel in die Bildung zu investieren, und zwar jede Ebene für sich, um nicht mit dem Finger immer auf die anderen zu zeigen ? Das wären bereits ca. 30 Mrd. für die nächsten zwei Jahre, eine echte, fast revolutionäre Priorisierung ohne jede Zusatzbelastung für die junge Generation.

  • #4

    GT (Mittwoch, 06 Dezember 2023 12:05)

    Angesichts des demografischen Wandels und der Ausgestaltung des Wahlrechts (Wahlalter ab 18, nach oben hin offen) ist die Priorisierung der "Erwachsenen" im System inhärent angelegt. Änderungen im Wahlrecht wie Berücksichtigung von Kindern oder eine Wahlaltergrenze nach "oben" würde zu anderen Incentives führen. Bei derartigen Änderungen sind zukünftige Generationen noch nicht mal berücksichtigt - radikale Änderungen des Wahlrechts, die auch zukünftigen Generationen Stimmrechte geben, würden natürlich zu ganz anderen Ergebnissen führen.

  • #5

    Franz Strauß (Donnerstag, 07 Dezember 2023 09:05)

    Anders als der Beitrag #4 sehe ich nicht, dass eine Wahlreform dem Anliegen Bildungsinvestionen stärken hilft. Denn auch wenn ich persönlich die Absenkung des Wahlalters befürworte, bleibt es bei der demographischen Kurve, die zu Gunsten der sog. Boomer wirkt. Auch mit einem erweiterten jüngeren Wahlvolk, wird die Gruppe der Bald-Renter und Renter künftig weiterhin die Mehrheit bilden und daher Parteien wählen wie die von Herrn Merz, die verspricht, dass sich nichts an der Ausrichtung der Politik zu Gunsten der Boomer ändert.

  • #6

    Mike (Dienstag, 12 Dezember 2023 08:01)

    Zürich, Schuldendienst werden im Jahre 2024 keineswegs die von Christian Lindner behaupteten, 37 Milliarden € benötigt, diese Summe steht zwar im Bundeshaushalt, das liegt aber allein an der Rechnungslegung. Auktionsverluste werden als Zinskosten vollständig dem Jahr zugebucht, in dem Sie entstehen – anders als der Kupon. Tatsächlich beträgt der Zinsdienst ca.12 Milliarden weniger, also 28 Milliarden Euro.