Ministerium versendet Referentenentwurf zur Novelle, unter anderem geplant: eine Studienstarthilfe von 1000 Euro und ein "Flexibilitätssemester", aber offenbar keine Erhöhung der Bedarfssätze. Studierendenwerk spricht von "herber Enttäuschung".
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Berlin-Mitte. Foto: Wikimedia Creative Commons, CC-BY-SA-4.0.
DAS GING SCHNELL: AM Mittwoch versendete das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) den Referentenentwurf für die vom Haushaltsausschuss geforderte BAföG-Reform zur Stellungnahme in die Community. 150 Millionen Euro zusätzlich hatten die Haushaltspolitiker dafür im Haushalt 2024 in Aussicht gestellt – unter der Bedingung, dass die Novelle zum Wintersemester 2024/25 startet.
Die Geschwindigkeit spricht dafür, dass man im BMBF bereits vor der Maßgabe der Haushaltspolitiker an der Novelle arbeitete. Als wesentliche Maßnahmen der Reform nennt das Ministerium dem Ampel-Koalitionsvertrag folgend unter anderem die Einführung eines Flexibilitätssemesters über die Förderungshöchstdauer hinaus und eine Studienstarthilfe für besonders arme Studierende in Form eines einmaligen Zuschusses von 1000 Euro. Außerdem soll die Frist für einen förderungsunschädlichen Wechsel des Studienfachs um ein Semester verlängert werden, die Freibeträge sollen um weitere fünf Prozent steigen und eine Anpassung an die aktuellen Sozialversicherungssätze erfolgen.
"Ohne die vorgeschlagenen Änderungen und Anpassungen würden die Förderungsleistungen nach dem BAföG den Bedürfnissen der Studierenden mit Blick auf tatsächliche Studienverläufe wie auch die Startbedingungen von Studierenden aus Familien mit Sozialleistungsbezug nicht mehr gerecht", erläutert das Ministerium. Der Referentenentwurf wurde unter anderem an die Hochschulrektorenkonferenz, an die Studierendenverbände, die Länder und die Kommunalverbände verschickt.
Aufmerken lässt, dass das Ministerium anstatt der 150 Millionen Euro dieses Jahr nur 62 Millionen Euro zusätzlich für den BAföG-Titel veranschlagt, außerdem vier Millionen für daraus resultierende Mehrkosten im Rahmen des Aufstiegsfortbildungsfördergesetzes (AFBG). Ein wesentlicher Grund dafür dürfte sein, dass von einer Erhöhung des Bedarfssatzes wie auch der Wohnkostenpauschale im Referentenentwurf nicht die Rede ist. Auf Anfrage erklärte das BMBF, für einen großen Teil der Studierenden seien die aktuellen Bedarfssätze ausreichend (siehe unten).
2025 rechnet das Ministerium mit 229 Millionen Euro Mehrkosten, 2026 mit 201 Millionen, 2027 mit 176 Millionen Euro für die Ausbildungshilfe. Der Haushaltsausschuss hatte in seiner Bereinigungssitzung am 17. November die BAföG-Novelle gefordert, "damit die Förderung den stark gewachsenen Lebenshaltungskosten der Studierenden sowie ihrer veränderten Lebens- und Studienrealität gerecht wird." Gleichzeitig solle mit dem Geld die Anpassung des BAföG-Bedarfssatzes an das Existenzminimum und "der Sätze für Unterhaltszahlung infolge der zu erwartenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts" finanziert werden. Der Haushaltsausschuss verlangte also auch die Erhöhung des Bedarfssatzes explizit.
Zugleich sorgten die Haushaltspolitiker mit einem Sperrvermerk dafür, dass die zusätzlichen 150 Millionen erst bei Vorliegen der Novelle fließen sollten – was auch verhindern würde, dass sie vorher im Rahmen einer sogenannten Globalen Minderausgabe verschwinden. Trotzdem warnte zuletzt der Studierendenverband fzs genau vor diesem Szenario: Das "BAföG darf der Schuldenbremse nicht zum Opfer fallen."
Nicht ganz ohne Grund: Das BMBF soll wie berichtet 200 Millionen Euro zusätzlich an Globalen Minderausgaben stemmen, und formal sind die November-Beschlüsse des Haushaltsausschusses noch gar nicht in Kraft. Die Sitzung wurde damals wegen der Haushaltskrise nicht abgeschlossen, sondern offiziell lediglich unterbrochen. Am 18. Januar soll sie fortgesetzt und dann auch abgeschlossen werden.
Studierendenwerk, Studierendenverband und
grüner Koalitionspartner üben scharfe Kritik
"Eine blutleere Klein-Novelle", nennt der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Studierendenwerks (DSW), Matthias Anbuhl, die BMBF-Pläne auf Anfrage. "Dieser Entwurf des Bildungsministeriums ist eine herbe Enttäuschung." Das BMBF lasse deutlich mehr als die Hälfte der vom Haushaltsausschuss bereitgestellten 150 Millionen Euro "einfach liegen". Wenn das Gesetz so komme, würde den BAföG-geförderten Studierenden trotz des rasanten Anstiegs der Lebensmittel- und Energiepreise und explodierender Mieten mindestens sechs Semester Stillstand beim BAföG-Grundbedarf und bei der Wohnkostenpauschale zugemutet. "Jetzt muss – erneut – das Parlament eingreifen und eine kraftvolle BAföG-Novelle festschreiben", fordert Anbuhl.
Der Studierendenverband fzs kommentierte in seiner ersten Reaktion, seine Befürchtungen seien nun "bittere Realität" geworden. "Das Ministerium will einen großen Teil der auferlegten Sparmaßnahmen von den Studierenden nehmen", sagte Vorstandsmitglied Niklas Röpke. 88 Millionen Euro weniger flössen in eine BAföG-Reform, mit den übrigen 62 Millionen Euro bleibe ein Reform-Paket, das hinter der Realität der Studierenden weit zurück bleibe. "So fällt nicht nur das Flexibilitätssemester hinter der durchschnittlichen Studiendauer zurück, sondern es wird auch keine Erhöhung der BAföG-Bedarfssätze geben. Hier vernachlässigt die Bundesregierung ihre sozialen Verantwortung zugunsten des Sparhaushaltes." Es sei ein fatales Signal, dass das Ministerium nicht die vom Haushaltsausschuss gegebenen Möglichkeiten wahrnehme, sondern das BAföG zu seiner Sparbüchse mache und auf eine möglichst spätes Urteil des Bundesverfassungsgerichts hoffe.
2021 war das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis gekommen, dass die Berechnung der BAföG-Sätze zumindest im Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 nicht vereinbar mit dem Grundgesetz gewesen sei. Geklagt hatte eine Osnabrücker Studentin und war durch mehrere Instanzen gegangen. Weil das Bundesverwaltungsgericht aber nicht berechtigt ist, die Verfassungswidrigkeit eines Parlamentsgesetzes festzustellen, legte es die Sache dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. "Viele Expert*innen sind sich sicher, dass dieses in unserem Sinne urteilen und die BAföG-Sätze für verfassungswidrig niedrig erklären wird", kommentierte fas-vorstandsmitglied Röpke weiter und wandte sich direkt an Bettina Stark-Watzinger: "Tun Sie also schon jetzt etwas dagegen, Frau Ministerin!"
Die fürs BAföG zuständige Berichterstatterin der grünen Bundestagsfraktion, Laura Kraft, warf dem BMBF vor, der vorgelegte Referentenentwurf bleibe hinter der Ampel-Vereinbarung einer grundlegenden Reform des BAföG zurück. Studierende bräuchten dringend mehr Unterstützung. "Der Grundbedarfsatz liegt mittlerweile mehr als 100 Euro unter dem Bürgergeld, und von der Wohnpauschale kann sich kaum noch jemand eine warme Wohnung leisten." Das BAföG müsse endlich an die Studienrealitäten angepasst werden. "Deshalb erwarten wir weitreichende strukturelle Verbesserungen. Wir Grüne werden uns im Parlamentarischen Verfahren dafür einsetzen, das BAföG endlich in das aktuelle Jahrzehnt zu holen."
BMBF: Für einen großen Teil der Studierenden
reichen die BAföG-Bedarfssätze
Das BMBF bestritt am Nachmittag auf Anfrage, dass die BAföG-Bedarfssätze durch die Bank zu niedrig liegen. Ein großer Teil der Studierenden befinde sich im Erststudium, in Vollzeit und Präsenz, sei ledig und wohnt auswärts, erklärte eine Sprecherin. Für diese Gruppe habe die Inflations-Wirkungsanalyse im Rahmen der 22. Sozialerhebung monatliche Ausgaben von 986 Euro für das Jahr 2024 prognostiziert – im Vergleich zu einem aktuellen BAföG-Höchstsatz von 934 Euro. "Insgesamt können voll geförderte Studierende mit Kindergeldanspruch also monatlich bis zu 1.184 Euro an staatlicher Unterstützung beziehen, während die Vergleichsgruppe im Schnitt lediglich 986 Euro monatlich ausgibt." Dabei seien Stipendien und Bildungskredit noch gar nicht berücksichtigt und auch nicht Nebentätigkeiten, die bis zur Minijobgrenze ebenfalls nicht auf das BAföG angerechnet würden.
Weiter sagt die Sprecherin, die die Bundesregierung habe bereits im vergangenen Jahr für erhebliche Leistungsverbesserungen im BAföG gesorgt, indem sie die Bedarfssätze um fast sechs Prozent, den Wohnkostenzuschlag um fast elf Prozent und die Elternfreibeträge um knapp 21 Prozent angehoben habe. Zudem seien weitere Entlastungsmaßnahmen umgesetzt geworden, die auch die BAföG-Empfänger entlastet hätten, "etwa die beiden Heizkostenzuschüsse von 230 und 345 Euro. Darüber hinaus konnten Studierende sowie Fachschülerinnen und Fachschüler eine Einmalzahlung von 200 Euro erhalten".
Der CDU-Bildungspolitiker Thomas Jarzombek kommentierte, die Bundesbildungsministerin löse mit ihrer BAföG-Novelle die Notlage vieler Studierender nicht. Während Sozialhilfe und Bürgergeld um über zwölf Prozent gestiegen sind, gingen BAföG-Empfänger trotz weiter steigender Inflation erneut leer aus. "Studierende haben genauso mit Preissteigerungen und hohen Mietkosten zu kämpfen. Und dennoch liegt der monatliche BAföG-Grundbedarfssatz mehr als 100 Euro unter dem Bürgergeld." Angesichts dieser Ungleichheit fehle ihm jedes Verständnis dafür, dass mehr als die Hälfte der für eine BAföG-Reform bereitgestellten 150 Millionen Euro ungenutzt blieben, sagte Jarzombek.
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 11. Januar mehrfach aktualisiert und ergänzt.
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Oliver Iost, Studis-Online.de (Donnerstag, 11 Januar 2024 16:53)
Das BMBF rechnet sich mal wieder alles schön – und macht dabei sogar Fehler. Wer Kindergeld bezieht, dürfte unter 25 sein und dann wird – solange nicht mehr als ein Minijob ausgeübt wird – es keinen Krankenversicherungszuschlag geben. Damit liegt der BAföG-Satz schon mal bei 122 € weniger. Die Annahme, dass das Kindergeld ungeschmälert bei allen ankommt, ist auch gewagt. Und der Durchschnittsbedarf wird leider in immer mehr Städten durch die hohen Mieten weit übertroffen.
Dazu haben alle über 25 eben kein Kindergeld mehr, aber fast immer höhere Ausgaben. Was ist mit lebenslangem Lernen?
T. Schwarzkopf (StuRa Dresden) (Freitag, 12 Januar 2024 20:27)
Es wirkt mal wieder so, als hätte das BMBF selbst keine Ahnung von seinem eigenen Gesetz.
Die Ausgaben von Studierenden von 986 € (2024) werden dem Höchstsatz gegenüber gestellt, dieser wird aber - wie immer - zu hoch angesetzt. Tatsächlich liegt er bei 812 € - die KV+PV, die ab 25 Jahre dazu kommt, wird ja direkt ausgegeben. Höchstsatz bekommt kaum jemand. Durch die geringen Freibeträge für Eltern können dann die wenigsten Familien im Mittelstand die berechneten Sätze zahlen und die Studierenden haben de facto oft weniger als BAföG und müssen arbeiten.
Das MMI hat 2023 berechnet, dass der Wohnanteil im BAföG von 360 € in 72 Unistädten nicht für ein WG-Zimmer reicht
- das trifft 86% der Studis.
Immer noch können Studis nach 4 Semestern aus der BAföG-Förderung fallen, weil sie den Leistungsnachweis (z.T. 100%) nicht schaffen - die Familien haben aber weiterhin kei. Geld. Ein zinsloser Studienkredit - ebenfalls Fehlanzeige - stattdessen bleibt es bei 9% KfW-Kredit.