Mehr als 650 Angehörige Thüringer Hochschulen und Forschungseinrichtungen haben eine Erklärung gegen die AfD unterzeichnet. Ein Signal vor dem Hintergrund der Landtags-Tumulte – und der Thüringer Geschichte.
DIE AUFREGUNG IST GROß in Thüringen und bundesweit nach dem Eklat, der am Donnerstag die konstituierende Sitzung des neugewählten Landtages überschattete. Der AfD-Alterspräsident Jürgen Treutler verteilte ungehemmt Ordnungsrufe, verweigerte die Zulassung von Anträgen und Abstimmungen zur Tagesordnung, die CDU sprach von "Machtergreifung" und rief am Ende den Verfassungsgerichtshof an. Zeichnet sich hier erstmals ab, wie die Rechtsextremen, sobald sie wie in Thüringen stärkste Fraktion geworden sind, systematisch die Demokratie aushebeln werden?
Und wieder zuerst in Thüringen, kommentierten am Donnerstag viele mit Verweis auf den Aufstieg der NSDAP vor über 90 Jahren. Dort war es, wo die Nationalsozialisten bei der Landtagswahl Ende 1929 ihren Stimmenanteil verdreifachen konnten, obgleich auf im Vergleich zum heutigen AfD-Wahlergebnis noch bescheidene 11,3 Prozent, und anschließend erstmals in der Geschichte der Weimarer Republik Mitglied einer Landesregierung wurden.
Nein, die Parallele ist alles Andere als perfekt. Am Freitag standen CDU, BSW, Linkspartei und SPD bei allen Unterschieden zusammen gegen die AfD, deren Eintritt in eine Landesregierung gleich welcher Konstellation erscheint derzeit ausgeschlossen. Doch die historische Symbolkraft der Thüringer Tumulte schmälert das kaum.
Zugleich war der Donnerstag aber ein Tag mit einem anderem, im positiven Sinne herausragenden Ereignis in Thüringen. Die Initiative "Uni gegen Rechts" an der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU) teilte mit, dass seit Montag über 650 Angehörige aller Thüringer Hochschulen und vieler außeruniversitärer Forschungseinrichtungen die Forderung nach einer stabilen Regierung "ohne die Beteiligung, Unterstützung oder Duldung der rechtsextremen AfD" unterzeichnet haben.
In der Erklärung heißt es: "Dass eine Partei vom äußersten rechten Rand in zwei Bundesländern über 30 Prozent der Wählerstimmen erhalten hat und der als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Thüringer Landesverband der AfD stärkste Kraft im Parlament wird, war für viele ein Schock. Wir verstehen dieses Ergebnis auch als Aufgabe, mit verstärkter Überzeugungsarbeit dazu beizutragen, dass es sich nicht wiederholt. Zugleich fordern wir die demokratischen Parteien in Thüringen auf, jede Einflussnahme der AfD auf Regierungsentscheidungen im Land auszuschließen."
Einst unterstützten vor allem auch Professoren
und Studenten den Aufstieg der Nationalsozialisten
Wie anders verlief die Geschichte in Jena, Thüringen und an Universitäten fast überall in Deutschland in den Jahren vor und nach dem 30. Januar 1933. Ja, es gab mutige Hochschullehrer, die gegen die NSDAP aufbegehrten, aber es waren wenige, und innerhalb kurzer Zeit wurden sie zu Verfemten innerhalb der deutschen Wissenschaft. Der überwiegende Teil der Professorenschaft verteidigte die junge Weimarer Demokratie nicht nur nicht, sondern unterstützte die von der NSDAP ausgerufene "nationale Erhebung", manchmal durch passives Mittun, allzu oft durch zur Schau getragene Begeisterung. Ausgerechnet die intellektuelle Elite des Landes.
Beispiel Universität Jena. Nachdem Wilhelm Frick 1930 zum ersten nationalsozialistischen Minister in Deutschland ernannt worden war, sorgte er dafür, dass noch im selben Jahr ein "Lehrstuhl für Rassefragen und Rassekunde" eingerichtet wurde. Berufen wurde, immerhin gegen den Willen von Senat und Rektor, Hans F. K. Günther. Zu seiner Antrittsvorlesung mit dem Titel "Die Ursachen des Rassenwandels der Bevölkerung Deutschlands seit der Völkerwanderungszeit" kamen Adolf Hitler und Hermann Göring.
Der Physiker Abraham Esau, 1932 Rektor geworden, trat zum 1. Mai 1933 in die NSDAP ein, schlug die Umbenennung in Friedrich-Schiller-Universität vor, die 1934 mit einem Festakt vollzogen wurde, in dem Schiller als Vertreter "deutscher Vaterlandsliebe" und "deutscher Ehre" gefeiert wurde. Bei den Studentenschaftswahlen im Januar 1933 erzielte der NS-Studentenbund in Jena 49,3 Prozent der Stimmen, das zweitbeste Abschneiden im Reich. Nur eine Fußnote: Auch heute erzielt die AfD ihre stärksten Wahlergebnisse bei den jungen Wählern.
Aber nein, Geschichte wiederholt sich nicht. Doch ist es umso wichtiger, aus der Geschichte zu lernen. Waren es 1930 und folgende die Professoren- und Studentenschaft, die überwiegend willfährig die aufziehende Diktatur begrüßten, so sind es heute Thüringer Hochschullehrende, die sich mit maximaler Lautstärke gegen die Höcke-AfD wenden. Das macht Mut, es könnten noch mehr Unterzeichner werden. Vor allem aber sollte die Initiative Vorbild sein für die Mitglieder anderer Hochschulen in Sachsen, Brandenburg und darüber hinaus, ihrer Verantwortung gerecht zu werden.
Die Hochschulfinanzierung
als Druckmittel
Einer Verantwortung, die in der Erklärung der schon mehr als 650 Thüringer Wissenschaftlern und Hochschulangehörigen so beschrieben wird: "Als zivilgesellschaftliche Gruppe sind wir in der Verantwortung, die aktuelle Bedrohung der liberalen Demokratie zu benennen. Zugleich sehen wir unsere Arbeit und das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit gefährdet. Da die Länder die Hochschulen finanzieren, verfügt die Landespolitik über starke Druckmittel, welche die Regierung und das Parlament indirekt gegen politisch unliebsame Positionen oder Personen einsetzen können. Konkret sind zudem Institutionen wie der Studierendenrat, Gleichstellungs- und Diversitätsbüros bedroht. Angesichts dieser Gefahren ist jetzt auch eine vorausblickende Sicherung der Hochschulfinanzierung geboten. Wissenschaft lebt von Vielfalt und internationalen Kooperationen, weshalb wir an den Thüringer Hochschulen und in der Wirtschaft auf ein weltoffenes Klima im Land angewiesen sind."
Womöglich noch heute entscheidet der Thüringer Verfassungsgerichtshof. Am Samstag soll dann die Landtagssitzung fortgesetzt werden. In Thüringen geht es um die Zukunft der deutschen Demokratie. Mal wieder.
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Gerlinde Hofsäß (Freitag, 27 September 2024 09:36)
Man kann dem Innenminister von Thüringen wirklich nur zustimmen, wenn er ein Parteiverbot vertritt.
McFischer (Freitag, 27 September 2024 11:09)
Man sieht im Thüringer Landtag sehr gut, dass die AfD mittlerweile leider kein Haufen zufällig aufgestellter Kandidaten ist, die dann in den Parlamenten und Gemeinderäten sich durch Dilletantismus sofort ins Aus schießen. Nein, sie haben offenbar gelernt, sich juristische Expertise eingeholt, Kandidaten mit mehr Erfahrung aufgestellt... und setzen jetzt ihre Drohungen bezüglich des Umbaus eines demokratischen Systems zu einem autoritären Staat schrittweise um.
Gut, dass zumindest die Wissenschaft in Thüringen hier breit auftritt.
Gerhard Richter (Sonntag, 29 September 2024 11:15)
@1: Ein Verbot der AgD ist kompliziert in der Durchsetzung.
Man muß die AgD inhaltlich stellen.
Ein besorgter Demokrat (Mittwoch, 02 Oktober 2024 19:32)
@3: Das funktioniert ja seit Jahren ganz hervorragend... nicht.
Klar, die Politik der vergangenen Jahrzehnte(!) hat zusammen mit externen Faktoren (Krieg, Klimawandel, etc.) der AfD einen Nährboden geliefert, aber das mit dem "inhaltlich stellen" funktioniert ganz offensichtlich nicht. Die Zeit ist reif für alle Mittel, die die Verfassung hergibt.